Höllen-Lärm. Ian Christe
Читать онлайн книгу.die bis dahin als Rock ’n’ Roll bekannte Musik, die seither nichts weiter sein sollte als eine gezähmte Verwandte des Heavy Metal. „Black Sabbath haben jede einzelne Band beeinflusst, die es gibt“, sagt Peter Steele von Type O Negative, einer Band, die sich dreißig Jahre später von Sabbath inspirieren ließ.„Für mich waren sie das Heftigste überhaupt,und das sind sie immer noch. Härter kann man nicht werden. Ich liebe diesen langsamen, monotonen Sound, der so klingt, als ob ein Dinosaurier durch den Wald stapft.“
Sie waren aufgetaucht wie der Monolith in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum, der damals gerade höchst aktuell war, und sie ließen sich ebenso wenig klein reden wie der bodenlose Ozean, der immer währende Himmel und die sterbliche Seele. Es gab keine Vorläufer – und es war keine Erklärung ihrer Macht nötig. Ihre düsteren Klänge glichen einem Sirenenruf, gerichtet an eine tiefe, unbefriedigte Leere im modernen Bewusstsein. Die donnernde Lawine des Heavy Metal ließ sich nun nicht mehr aufhalten – sie hatte lange genug darauf gewartet, von Black Sabbath 1970 losgetreten und von Menschenmassen ungeahnten Ausmaßes angebetet zu werden.
In den folgenden dreißig Jahren flüchteten einhundert Millionen Hörer in den sich schnell ausbreitenden Trend und fanden dort unverklärte Reinheit, frei von kleinlichen Zweifeln oder Ablenkungen. Sabbath erfanden den Heavy Metal, eine Musikform, die später in doppelter Intensität zum Power Metal werden sollte und aus der dann der Thrash Metal hervorging. Von dort aus kreuzten sich die Wege dieser Musik mit anderen Formen, bis sie schließlich den Black Metal hervorbrachten, sich zum unglaublichen Soundgefüge des Death Metal veredelten und sich schließlich mit jeder anderen Art von Musik verbanden. Nach drei Jahrzehnten der Marshall-Verstärker, Gitarrenmassaker und Schlagzeugtrümmer bilden Black Sabbath noch immer die Grundlage – die schwere Steinplatte, auf deren Fundament sich der Heavy Metal erhebt.
I: Die Siebzigerjahre: Auftakt zur Härte
13. Februar 1970: Black Sabbath veröffentlichen ihr Debütalbum
4. Juni 1971: Black Sabbath erhält Gold in Amerika
Dezember 1975: Judas Priest nehmen Sad Wings Of Destiny auf
28. Oktober 1978: NBC zeigt den Fernsehfilm Kiss Meets the Phantom of the Park
11. Dezember 1978: Das letzte Konzert von Ozzy Osbourne auf seiner Abschiedstour mit Black Sabbath
Heavy Metal entstand zu einem Zeitpunkt, als sich der Rock ’n’ Roll, die Heilslehre der vorangegangenen Generation, in einem schrecklichen Auflösungsprozess befand. Vier Tote bei einem Gratiskonzert der Rolling Stones am Altamont Raceway im Dezember 1969 erschütterten die Rockgemeinde und desillusionierten die Jugend mitsamt ihren pazifistischen Idealen. Als Black Sabbath in die Popcharts einstieg, verkündete Paul McCartney das Ende der Beatles. Statt ihr Publikum in einer unsicheren Welt zu trösten, waren die Rockgiganten Janis Joplin, Jimi Hendrix und Jim Morrison längst tot, alle innerhalb eines Jahres an einer Überdosis Drogen gestorben.
Kurz nachdem John F. Kennedy, Robert Kennedy und Martin Luther King den Kugeln von Attentätern zum Opfer gefallen waren, erlagen die Initiatoren des Rock ’n’ Roll ihren naiven Exzessen. Erledigt und frustriert verließen die Kinder der Love Generation, die diese Gegenkultur einst geschaffen hatten, scharenweise die Städte, kehrten in ihre Heimatorte zurück oder verkrochen sich in den Bergen, um irgendwie den kollektiven Albtraum einer gescheiterten Utopie zu vertreiben. Es war das Ende der Sechzigerjahre und dessen, wofür sie standen. Als die gewaltlosen Blumenkinder durch die militanten Black Panthers, das Massaker auf dem Campus der Kent-State-Universität und die zunehmend brutaleren Straßenrevolten frustrierter Studenten in Paris, Berlin und Italien verdrängt wurden, warf man die alten Hoffnungen über Bord und wandte sich einem neuen Pragmatismus zu.
Black Sabbath schienen in dieser Misere zu gedeihen: Abgesehen von gelegentlichen Appellen an die Nächstenliebe gaben sie niemals vor, Antworten parat zu haben. Obwohl die Legende sie als zu spät gekommene Underdogs darstellt, eroberte die Band mit ihrem Debüt sehr bald die britischen Top Ten und setzte sich dort monatelang fest. Die erste Amerikatournee, die für den Sommer 1970 geplant war, wurde wegen des Mordprozesses gegen die Manson Family abgesagt. In den Vereinigten Staaten herrschte ein extrem feindseliges Klima gegenüber
gefährlichen Hippies. Dennoch stieg das Album auch in den amerikanischen Charts und verkaufte sich im ersten Jahr über eine halbe Million Mal.
Vertigo Records gaben sich alle Mühe, mehr Material aus ihren finsteren und geheimnisvollen Vertragspartnern herauszuquetschen, und unterbrachen die pausenlosen Tourneen der Band im September 1970 für eine weitere Aufnahmesession. Gut eingespielt wie immer und mit verstärkter kreativer Entschlossenheit trat die Band nach zwei Tagen mit dem gigantischen Paranoid auf den Plan, dem bestverkauften Sabbath-Album, auf dem Songs wie „War Pigs“, „Paranoid“ und „Iron Man“ zu hören waren. Sie wurden zu ihren Markenzeichen. Obwohl Paranoid den gespenstischen Geist von Black Sabbath beibehielt, waren die Themen des zweiten Albums weniger mystisch, dafür greifbarer. Fasziniert von Zerstörung und Kontrollverlust, beklagte Ozzy Osbourne mit
melancholischer Stimme das Elend der Drogenabhängigkeit in „Hand Of Doom“, den Atomkrieg in „Electric Funeral“ und quälende Kriegsneurosen in „Iron Man“. Wie das packende Titelstück auf Black Sabbath entwuchs die Seele von Paranoid ebenfalls einem okkult ausgerichteten Titel, „Walpurgis“, dessen starke Bildlichkeit Hexen bei schwarzen Messen und todbringende Zauberer – „witches at black masses“ und „sorcerers of death’s construction“ – heraufbeschwor. Als der Song jedoch für Paranoid aufgenommen wurde, schrieb man ihn in „War Pigs“ um und machte daraus eine vernichtende Antikriegshymne, in der Politikern vorgeworfen wird, junge und arme Männer loszuschicken und sie die blutige Arbeit für Banken und Nationen verrichten zu lassen.
Sabbath waren nun erfahrener, nicht nur als Musiker, sondern auch als Sprachrohr einer Generation. Wenn Veränderung durch Musik herbeigeführt werden sollte, so wusste der Sabbath-Texter Geezer Butler, dass er Hässlichkeit an vorderster Front bekämpfen musste. Die neuen Black-Sabbath-Songs strebten nach Frieden und Liebe – nicht in den Blumenbeeten von Donovan und Jefferson Airplane, sondern in der harten Realität der Schlachtfelder und Verbrennungsöfen. Ozzy Osbourne sang diese Texte wie in Trance – als läse er in den Himmel geschriebene Wahrheiten ab.
Das Billboard-Magazin schrieb gut gelaunt, Paranoid „verspricht so groß zu werden wie ihr erstes Album“, und tatsächlich knackten die Songs „Paranoid“ und „Iron Man“ beinahe die amerikanischen Top Forty der Singlecharts. Es schien, als hätten die musikalischen Veränderungen der Sechzigerjahre nur stattgefunden, um das Publikum an die harten Prophezeiungen von Sabbath heranzuführen. Die manische Dreiminutensingle „Paranoid“ – ein Stück, das angeblich schneller geschrieben als gespielt wurde – brachte das zweite Album der Band auf Platz eins der britischen und auf Platz acht der amerikanischen Charts.
Während um sie herum die Rock ’n’ Roll-Hierarchie zerbarst, fühlten sich Beobachter von der Einsicht überwältigt, dass mit Black Sabbath ein vollkommen neues musikalisches Zeitalter begonnen hatte. „Paranoid ist ein Anker“, meint Rob Halford, der Sänger von Judas Priest, die zu jener Zeit als Birminghamer Lokalband aktiv waren. „Es fasst die gesamte Metal-Bewegung auf einer einzigen Platte zusammen. Da ist alles drauf: die Riffs, die Stimme von Ozzy, die Songtitel, das, wovon die Texte handeln. Es ist einfach ein Klassiker, der das ganze Genre definierte.“
Schon bald nisteten sich Mitbewohner in Sabbaths riesigem Klangraum ein. Begeisterte Sabbath-Jünger, die es bis zum Vertrag für ein einzelnes Album geschafft hatten, spielten in den Studentenclubs der Universitäten und ließen dem großen Knall ein frühzeitiges und schnelllebiges Nachbeben folgen. Die bizarre Flower Travelin’ Band aus Japan und die stümperhaften Suck aus Südafrika nahmen schon 1970, als das Vinyl der Originalplatten kaum trocken war, Black-Sabbath-Coverversionen auf. Andere waren durch die Aussicht auf schnelles Geld motiviert, Sabbath nachzuahmen. Auf einem Album des Duos Attila von 1970 präsentierte sich Billy Joel, der junge Schnulzensänger aus Long Island (damals Rockkritiker und zeitweise Psychiatriepatient), in einem mongolischen Kriegeranzug, spielte eine