Die Kunst des Krieges. Сунь-цзы
Читать онлайн книгу.erlebt.30 Dass ein Krieg lange andauert und das Land davon einen Nutzen hat, das hat es noch nie gegeben.
2.3. Wenn man daher nicht in vollem Umfang über den möglichen Schaden infolge des Gebrauchs einer Streitmacht Bescheid weiß, dann vermag man auch nicht in vollem Umfang über den Nutzen infolge des Gebrauchs einer Streitmacht Bescheid zu wissen. Wer sich gut im Gebrauch einer Streitmacht versteht, hebt Soldaten nicht ein zweites Mal aus, sondern erreicht aufgrund vorgängiger Kalküle dank seiner eigenen ein Mal ausgehobenen überlegenen Streitmacht einen schnellen Sieg beziehungsweise ergänzt die eigenen Truppen allenfalls durch Kriegsgefangene. Er lässt nicht wiederholt Lebensmittel zur Feldtruppe hintransportieren. Er beschafft sich die Ausrüstung, die er braucht, im eigenen Land, den Proviant stellt er im Feindesland sicher, daher kann er die Verpflegung der Streitmacht ausreichend gewährleisten.
Ein Grund für die Verarmung eines Landes infolge eines Truppeneinsatzes sind die Ferntransporte für die Armee. Werden Ferntransporte durchgeführt, dann verarmen die Träger der hundert Familiennamen31. Händler in der Nähe der Armee verkaufen Güter zu teuren Preisen. Werden die Waren teuer verkauft, dann wird bei einem lang dauernden Krieg das Vermögen der Armee aufgebraucht. Wenn das Vermögen der Armee aufgebraucht ist, dann ist die Erhebung von Militärsteuern und die Beanspruchung von Frondiensten32 dringend erforderlich. An der Front sind die Kräfte erschöpft und die Güter aufgebraucht, und im Landesinneren33 herrscht gähnende Leere in den Häusern der wohlhabenden Familien. Die Ausgaben der Träger der hundert Familiennamen haben zur Folge, dass sie sieben Zehntel ihres Vermögens verlieren. Die Ausgaben des öffentlichen Haushaltes, wie für den Ersatz beschädigter Kriegswagen, die Auswechslung von ausgezehrten Pferden, die Herstellung von Panzern34 und Schutzhelmen35, Pfeilen und Bogen, die Wiederherstellung von Hellebarden36, Speeren und Schilden, für Zugochsen und große Wagen, haben eine Vermögenseinbuße um sechs Zehntel zur Folge. Daher wird sich der weise Feldherr37 unbedingt die Verpflegung im Feindesland beschaffen. Wenn man eine Zhong-Maßeinheit von beim Feind beschaffter Nahrung isst, dann entspricht dies zwanzig Zhong-Maßeinheiten von aus unserem Land an die Front transportierter Nahrung. Braucht man eine Shi-Maßeinheit Futter, das man im Feindesland beschafft hat, so entspricht dies zwanzig Shi-Maßeinheiten Futter, die man aus unserem Land an die Front transportiert hat.
Will man, dass die Soldaten den Feind töten, dann muss man ihren Hass anstacheln. Will man, dass die Soldaten Nutzgüter des Feindes erbeuten, muss man sie mit Hab und Gut belohnen. Werden daher in einem mit Kriegswagen ausgefochtenen Waffengang zehn und mehr Kriegswagen erbeutet, belohnt man jenen Soldaten, der zuerst einen Wagen erbeutet hat, und dann wechselt man die feindlichen Flaggen auf den erbeuteten Kriegswagen aus und hisst auf diesen eigene Flaggen. Man gliedert die Kriegswagen in das eigene Wagenarsenal ein und bemannt sie. Die gefangenen Soldaten behandelt man gut und hegt sie, um sie in die eigenen Truppen einzugliedern und sich so nutzbar zu machen. Dies nennt man »Den Feind besiegen und dadurch noch stärker werden«.
2.4. Daher gilt: Im Krieg legt der Feldherr Wert auf einen schnellen Sieg. Er legt nicht Wert auf einen lange andauernden Krieg.
2.5. Daher ist der Feldherr38, der über die Kriegführung Bescheid weiß, der Gebieter über das Leben der Bevölkerung, er ist der Herr über Sicherheit und Gefährdung des Landes.
3. Kapitel
Angriff mit Strategemen39
3.1. Meister Sun sagt: Nun, gemäß den Regeln betreffend den Armeeeinsatz gilt Folgendes: Das feindliche Land in unversehrtem Zustand, also ohne Waffengewalt und Blutvergießen, gefügig zu machen ist das Beste. Dem feindlichen Land mit Waffengewalt und Blutvergießen eine naturgemäß zerstörerische und verlustreiche militärische Niederlage beizubringen und es so gefügig zu machen, ist nachgeordnet, also suboptimal. Eine feindliche Armee40 in unversehrtem Zustand, also ohne Waffengewalt und Blutvergießen, gefügig zu machen, ist das Beste, weil dann auch die eigene Streitmacht keinen Kampfeinsatz durchführen muss und folglich keine Verluste erleidet. Der feindlichen Armee mit Waffengewalt und Blutvergießen eine naturgemäß zerstörerische und verlustreiche militärische Niederlage zu bereiten, ist nachgeordnet. Eine feindliche Division41 in unversehrtem Zustand, also ohne Waffengewalt und Blutvergießen, gefügig zu machen, ist das Beste. Der feindlichen Division mit Waffengewalt und Blutvergießen eine naturgemäß zerstörerische und verlustreiche militärische Niederlage zu bereiten, ist nachgeordnet. Ein feindliches Regiment42 in unversehrtem Zustand, also ohne Waffengewalt und Blutvergießen, gefügig zu machen, ist das Beste. Dem feindlichen Regiment mit Waffengewalt und Blutvergießen eine naturgemäß zerstörerische und verlustreiche militärische Niederlage zu bereiten, ist nachgeordnet. Einen feindlichen Zug43 in unversehrtem Zustand, also ohne Waffengewalt und Blutvergießen, gefügig zu machen, ist das Beste. Dem feindlichen Zug mit Waffengewalt und Blutvergießen eine naturgemäß zerstörerische und verlustreiche militärische Niederlage zu bereiten, ist nachgeordnet.
3.2. In hundert Waffengängen hundert Siege zu erringen, ist daher nicht das Gute vom Guten. Ohne einen Waffengang die Streitmacht der Männer44 der Gegenseite45 gefügig zu machen, ist erst das Gute vom Guten. Daher besteht die beste Kriegführung darin, mittels Strategemen gegen die Kriegsplanungen des Feindes vorzugehen, so dass sie versanden und der Feind ohne Waffengang gefügig gemacht wird. Dem nachgeordnet ist es, gegen die diplomatischen Beziehungen des Feindes vorzugehen, ihn zu isolieren und so gefügig zu machen. Dem nachgeordnet ist es, in einem Waffengang gegen die feindliche Streitmacht vorzugehen. Das Schlechteste ist es, feindliche Städte anzugreifen. Greift man zum Mittel des Angriffs auf Städte, so tut man dies, weil nichts anderes übrig bleibt. Die Herstellung von beim Angriff auf eine Stadt benötigten Spähwagen46 und von Wagen, die mit Plachen die Soldaten, welche Tunnels usw. nahe der Stadtmauer graben, vor feindlichen Pfeilen usw. schützen, ferner die Bereitstellung von Geräten zur Bezwingung der Stadtmauern, ist erst nach drei Monaten abgeschlossen. Die Errichtung von Erdwällen zur Beobachtung des Geschehens innerhalb der feindlichen Stadt erfordert erneut drei Monate, bis sie abgeschlossen ist. Wenn der Feldherr seines Zorns und seiner Ungeduld nicht Herr wird und er die Soldaten antreibt, sich wie Ameisen an die Stadtmauer zu heften, um an ihr emporzuklettern und in die Stadt einzudringen, erleidet ein Drittel der Soldaten den Tod, und die Stadt ist noch immer nicht erobert. Dies ist das durch einen Angriff auf eine feindliche Stadt heraufbeschworene Unheil. Wer sich also gut in einem Armeeeinsatz versteht, macht sich die Streitmacht der feindlichen Männer gefügig, ohne einen Waffengang47 durchzuführen. Er erobert die Stadt der feindlichen Männer, ohne sie anzugreifen. Er bringt dem Land der feindlichen Männer eine Niederlage bei, ohne einen langwierigen Feldzug durchzuführen. Er will unbedingt unter Wahrung der Unversehrtheit der eroberten Gebiete die Vorherrschaft über die Länder unter dem Himmel erkämpfen. Daher bleiben die eigene und die feindliche Streitmacht unversehrt und kann der Nutzen einer auf diese Weise gewonnenen machtpolitischen Auseinandersetzung, da keinerlei Schäden entstehen, vollkommen sein. Das ist die Methode des Angriffs mit Strategemen.
3.3. Die Regeln für den Armeeeinsatz besagen: Ist man zehn Mal stärker als die feindliche Streitmacht, dann umzingelt man sie. Ist man fünf Mal stärker als die feindliche Streitmacht, dann greift man sie an. Ist man doppelt so stark wie die feindliche Streitmacht, dann zersplittert man sie und greift mit überlegenen eigenen Kräften die isolierten feindlichen Truppenteile an. Ist der Feind gleich stark, dann ist die Fähigkeit gefragt, mit Hilfe von Strategemen einen erfolgreichen Waffengang mit ihm auszutragen. Hat man die kleinere Streitmacht als der Feind, dann ist die Fähigkeit gefragt, ihm die Stirne zu bieten, indem man die eigene Stellung hält und sich nicht auf allfällige Provokationen einlässt.48 Ist die eigene Streitmacht der Streitmacht des Feindes allzu unebenbürtig, ist die Fähigkeit gefragt, ihm auszuweichen. Denn die Hartnäckigkeit einer kleinen feindlichen Streitmacht, die halsstarrig ihre Stellung halten will, hat Gefangennahme seitens der großen feindlichen Streitmacht zur Folge.49
3.4. Nun, der Feldherr ist eine Stütze des Landes. Ist die Stütze umfassend, dann ist das Land bestimmt stark. Ist die Stütze lückenhaft, dann ist das Land bestimmt schwach. Das Unheil, das der Fürst in seinem vom Kriegsgeschehen weit entfernten Palast der Armee zufügen kann, ist dreifacher Art. Er weiß nicht,