Sympathy For The Devil. Paul Trynka

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Sympathy For The Devil - Paul  Trynka


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gar nicht glauben konnte“.

      Die möglicherweise besten Beweise für Cheltenhams Jekyll-und-­Hyde-Charakter lassen sich auf den Seiten der kultivierten und würdevollen Tageszeitung Gloucestershire Echo finden. Die Echo fokussierte militärische und religiöse Themen, wobei die grundsätzliche Einstellung voller Stolz die Werte der High Church of England widerspiegelte. Ihre Leser sahen sich oftmals schockierenden Wutpredigten ausgesetzt, die anprangernd auf die lasche Moral der Stadt abzielten. 1956 beklagte sich Reverend Ward über „eine immanente Tendenz, eine besondere Form des Bösen, die in Cheltenham ausgeprägter ist als in den meisten Städten dieses Landes“, damit auf die Zahl unehelicher Geburten anspielend, die, abgesehen von London, nirgendwo höher waren. Besorgte Bürger gaben detailliertere Untersuchungen in Auftrag, um zu ergründen, ob denn nun die Amerikaner oder die Iren für die entsetzliche Statistik verantwortlich waren. Die Zahlen belegten, dass die Briten selbst verantwortlich zeichneten! In späteren Jahren wunderten sich Brians Bandkollegen bei den Stones oft darüber, wie ein sexuell so unersättlicher Mann aus einer Stadt wie Cheltenham kommen konnte. Sie hätten schwerlich erahnen können, dass er ein Musterbeispiel für einen „Cheltonian“ war.

      Lewis Blount Jones, ein talentierter Absolvent der Ingenieurwissenschaften der Leeds University, ergatterte 1939 eine Anstellung bei der prestigeträchtigen Firma Rotol und heiratete kurz darauf Louisa Simmonds. Das Paar richtete sich in der Eldorado Road ein, in einem gedämpft düster wirkenden roten Ziegelsteinhaus nahe dem Stadtzentrum. Genau hier wuchs der junge Lewis Brian Hopkins Jones auf, geboren am 28. Februar 1942 im Cheltenham’s Park Nursing Home. Schon bald war er nicht mehr alleine, denn seine Schwester Pamela erblickte am 3. Oktober 1943 das Licht der Welt. Nur zwei Jahre später erschütterte eine Tragödie die Familie, denn Pamela verstarb am 14. Oktober 1945 an den Folgen von Leukämie. Lewis und Louisa redeten niemals über den Tod ihres Kindes. Der Schicksalsschlag wurde zu einem weiteren Geheimnis Cheltenhams. Im darauf folgenden Sommer, am 22. August, kam Brians zweite Schwester auf die Welt – Barbara, die ihm das ganze Leben lang ähnlich sehen sollte.

      Circa 1950 zog die Familie in die Hatherley Road, aus heutiger Perspektive die Quintessenz einer charakteristischen Vorstadt. Eine neue Doppelhaushälfte mit Garage und einer modernen Küche, dazu noch in einer idyllischen Umgebung gelegen, wirkte während der Entbehrungen der Nachkriegsjahre wie das Symbol eines hohen Status. „Es war eine angesehene und renommierte Gegend“, erinnerte sich Roger Jessop, der direkte Nachbar. „Die Häuser waren als individuelle Einzelgebäude konzipiert und sehr begehrt. Die Anwohner hier gehörten überwiegend zur Mittelschicht.“

      Lewis Jones sollte später den Generationenkonflikt symbolisieren – die Kluft, die sich zwischen den Generationen öffnete, als Jungen wie Brian Jones die Pubertät erreichten. Brian gestaltete sein Leben in eklatanter Opposition zu den Werten des Vaters, der verklemmt war, dominierend agierte und niemals, niemals das Wort „Liebe“ benutzte. Doch Lewis war alles andere als ein alter verknöcherter Kauz. Während Brian sich zur Verkörperung einer kulturellen Revolution entwickelte, verkörperte Lewis die technologischen Innovationen. Seine Aufgaben bei Rotol beinhalteten die Arbeit an den fortschrittlichsten Propellern und Düsentriebwerken der Zeit. Nicht nur besaß er ein beneidenswertes Domizil in der Vorstadt, er verfügte zusätzlich über ein Auto und ein Telefon, beides seltene Besitzgüter in den frühen Fünfzigern. Doch das war typisch für eine neue Generation britischer Ingenieure, die weltweit die Entwicklung des Radars bestimmten, des Düsentriebwerks und der Militärelektronik. „Er zeigte sich weitsichtig, besorgt über die Zukunft des britischen Ingenieurwesens und verfasste schlüssig argumentierende Berichte für Zeitungen, in denen er empfahl, diesem Gebiet eine höhere Priorität einzuräumen“, erzählt Roger Jessop.

      Der junge Keith Richards sah Hurricanes und Spitfires fliegen, welche die wenigen noch vorhandenen Dorniers aus Kent vertrieben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ihre Propeller von Rotol stammten, wie auch die wichtigsten Motorteile für Großbritanniens richtungweisende Düsenjäger. Vergleichbar mit dem GCHQ und der Firma Dowty (mit der Rotol später fusionierte), bot Rotol für einen „Cheltonian“ einen angesehenen Arbeitsplatz. Lewis hatte sich großen Respekt erworben und wurde schließlich Abteilungsleiter der wichtigen Abteilung für Flugtüchtigkeit. „Er war ein gut erzogener Gentleman“, meint Kollege Robert Almond, „eher formell, so wie sich die Menschen in jenen Tagen eben gaben.“ Linda Partridge, eine andere Angestellte von Dowty Rotol, beschreibt ihn als „angenehm, ein sehr netter und sanfter Mann“. Lindas Brüder kannten Brian gut und wiesen auf die Ähnlichkeiten der beiden hinsichtlich des Aussehens und der Körpergröße hin – kleine Füße, zarte Musikerhände, durchschnittliche Größe – nicht zu vergessen eine gewisse Schüchternheit.

      Louisa Simmons war Lewis in Südwales begegnet. Beide verbanden religiöse Erfahrungen, denn sie wurden in der Tradition der walisischen Methodistenkirche erzogen. Die meisten noch verfügbaren Berichte über Brians Mutter stammen von seinen Teenager-Freundinnen, wie zum Beispiel Pat Andrews, die Louisas Haushalt als „Leichenhalle“ beschreibt, düster und bedrückend. Doch zu diesem Zeitpunkt verursachte Brians eigenwilliges Verhalten schon schwere Spannungen innerhalb der Jones-Familie.

      In den Fünfzigern kannte man Louisa – eine dünne, ordentlich gekleidete Frau mit einer praktischen, mittellangen Frisur – in den Kreisen der Cheltenhamer Mittelschicht. Sie und ihr Ehemann zeichneten sich durch ein ernsthaftes und stets engagiertes Sozialverhalten aus, nahezu vergleichbar mit dem viktorianischen Lebensstil. Das Paar war stolz auf seine walisischen Wurzeln, und sie engagierten sich in der lokalen Cymmrodorion-Gruppe, die Gesprächsrunden und Vorträge über die walisische Geschichte und Kultur organisierte. Laut des Familienfreundes Graham Keen wirkte die walisische Kirche durch eine starke Präsenz in Cheltenham: „Nach dem Zusammenbruch des Kohlebergbaus gab es ab 1917 eine große wirtschaftlich bedingte Abwanderung aus Wales.“ Grahams Eltern, Marian und Arthur, kannten die Jones’ gut, und zwar aus walisischen und an Musik interessierten Kreisen. Sie teilten dasselbe Ethos der ständigen Weiterentwicklung, jedoch mit einem grundlegenden Unterschied: „Nach Auffassung der Kirche durfte man weder trinken noch rauchen“, erklärt Graham. „Doch es bestand eine gewisse Flexibilität, beeinflusst durch den gesunden Menschenverstand.“ Grahams Vater Arthur genoss seinen gelegentlichen Drink, ohne zu befürchten, dass er sich damit Verdammnis und Höllenfeuer einhandelte. Die Keens beobachteten aber, dass die Haltung der Jones’ „geradezu fundamental“ war.

      Louisa erfreute sich eines unverkennbaren Charakterzuges: der Begeisterung für die Musik. Obwohl sie eine viel beschäftigte Hausfrau war, gab sie Klavierunterricht und mischte sich unter die lokale Kunstszene. In den späten Vierzigern gehörte sie der Cheltenham Townswomen’s Guild an, eine urbane und künstlerisch gewandtere Gruppe als das konservative Women’s Institute. Sie zählte zudem zu den regelmäßig anwesenden Mitgliedern des Guild Choir, geleitet von Marian Keen. Die beiden arbeiteten an Kompositionen von Elgar, Vaughan Williams und Chorarrangements moderner Komponisten im Haus der Keens an der Old Bath Road oder in der Congregational Church an der Priory Terrace. Die kleine Gruppe wurde bei den Veranstaltungen der Gilde oder bei lokalen Künstlerwettbewerben schnell zu einer kleinen Attraktion. Als Louisas Chor einen Pokal beim Cheltenham Festival of Performing Arts gewann – beurteilt von einer professionellen Jury –, war sie noch monatelang sehr stolz auf diesen Triumph.

      Die Musik stellte darüber hinaus die Grundlage für eine der innigsten Freundschaften von Louisa dar, nämlich mit Muriel Jessop, Rogers Mutter, die gleich nebenan wohnte: Beide Familien besaßen ein Klavier, und so verbrachten Louisa und Muriel in dem einen oder anderen Haus viele Stunden mit dem Einüben leichter Klassik und diverser Gesangsduette (Debussy, Gilbert and Sullivan). Damit gewappnet traten sie bei Wettbewerben im Rahmen des Cheltenham Music Festivals oder ähnlicher Veranstaltungen auf. „Sie wurden von den Darbietungen der Profis übertroffen. Es gelang ihnen jedoch immer eine ehrenwerte, wohl gebildete Aufführung, wie sie Ladies der Mittelschicht gebührt“, erzählt Roger. Louisa besaß ein Grammophon, was in den Fünfzigern eher ungewöhnlich war, wie auch das moderne Haus, der Wagen und das Telefon. Im ganzen Gebäude erklang ständig Musik.

      Trotz der Generationenkluft war der junge Brian eindeutig als Sohn seiner Eltern erkennbar – leise sprechend, mit einem unüberhörbaren Akzent der Mittelschicht und schon von frühem Alter an fasziniert von der Musik.

      Die


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