Das Übernatürliche. Gregor Bauer
Читать онлайн книгу.und Naturalisten, die sich als spirituell bezeichnen. Es gibt Atheistinnen und Atheisten, die an übernatürliche Phänomene glauben, besonders in China, wo im 17. und 18. Jahrhundert unsensible Kirchenmänner den Gottesbegriff in Misskredit brachten. Und es gibt die Unentschiedenen, die „Agnostiker“, die den Konflikt für unlösbar halten.
Umso mehr werde ich darauf achten, dass die Zwischentöne nicht verloren gehen. Beispielsweise werde ich den katholischen Theologen Hans Küng (*1928) vorstellen, der den Naturwissenschaften so weit entgegen kommt, dass sich manche Gläubige fragen mögen: Was ist an diesem Weltbild eigentlich noch religiös? Und es wird von Nobelpreisträgern die Rede sein, die über die Wunder der Quantenwelt neue Verbindungen zur Religion herstellen.
Wie gehe ich nun das Thema an? Beginnen wir mit der Frage nach Gott.
Worauf basiert heute die Überzeugungskraft des Atheismus?
Unter Theologen ist die Beschäftigung mit folgender Frage beliebt: Wie kann Gott gleichzeitig allmächtig und gut sein? Wenn Gott das wäre, dann würde er das Leid auf der Erde nicht zulassen. Nun gibt es aber unsägliches Leid, auch von offensichtlich unschuldigen Wesen, von kleinen Kindern beispielsweise, oder auch von Tieren. Wie kann Gott da existieren?
Diese so genannte „Theodizee“-Frage hat zur Voraussetzung, dass wir uns Gott als gleichzeitig allmächtig, gütig und gerecht vorstellen, in einem für uns Menschen begreifbaren Sinn. Das aber ist keineswegs selbstverständlich. Deshalb ist fraglich, ob heute noch gilt, was der Schriftsteller Georg Büchner (1813–1837) noch behaupten konnte: dass das Leid der „Fels des Atheismus“ sei.
Natürlich kann es auch heute noch geschehen, dass ein Mensch über einem unerträglichen Schmerz oder angesichts des unermesslichen Leids auf der Welt seinen Glauben an Gott verliert. Aber insgesamt ist das Leid eher der Fels des Glaubens als des Atheismus. Gerade dann, wenn es den Menschen schlecht geht: In Zeiten von Not, Krieg, Armut und Vertreibung, gerade dann nehmen sie ihre Zuflucht zum Glauben. Wo – wie in Nigeria, Mali oder den USA – große Teile der Bevölkerung in Armut leben oder ständig von Armut bedroht sind, da sind die Gotteshäuser voll. Wo jedoch – wie in den skandinavischen Ländern – ein starker Sozialstaat für allgemeinen Wohlstand und materielle Sicherheit sorgt, dort ist das Interesse am Glauben erheblich geringer.
Nein: Der Fels des Atheismus ist heute nicht das Leid, es sind die Naturwissenschaften. Die Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlich argumentierenden Atheismus zieht sich deshalb wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.
Was erwartet Sie in diesem Buch?
Hier nun ein Überblick über unsere Themen:
Wissenschaftsgeschichte: Warum ist es eigentlich zu dem Zerwürfnis zwischen Naturwissenschaft und Glauben gekommen? Um das besser zu verstehen, blicken wir zunächst in die Kirchengeschichte. Lange hat die Kirche versucht, den wissenschaftlichen Fortschritt zu verhindern, auch mit Gewalt. Aber ist der Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Religion nicht viel grundsätzlicher?
Gottesbeweise: Philosophen und Theologen haben immer wieder versucht, zwingende Beweise für den Glauben an Gott vorzulegen. Offensichtlich konnten sie damit nicht alle Menschen überzeugen. Seit der Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) sich die Gottesbeweise vorgeknöpft hat, gelten sie als erledigt. Zu Recht? Und selbst wenn es so ist: Vielleicht ist dennoch der eine oder andere Gedanke darunter, der Sie beeindruckt?
Evolution: Der Biologe Richard Dawkins ist überzeugt: Die Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809–1882) macht den Glauben an einen Gott überflüssig. Warum ist er sich da so sicher? Wie geht er damit um, dass so viele Menschen unbeeindruckt weiter an einen Gott glauben? Und gelten die Prinzipien der Evolution absolut, wie Dawkins lehrt, oder stoßen sie an Grenzen?
Hirnforschung: Hirnforscher fühlen sich jeden Tag mehr darin bestätigt, dass unser Bewusstsein ausschließlich physiologische Ursachen hat. So sieht das auch Daniel C. Dennett (*1942). Er glaubt erklären zu können, wie sich das Bewusstsein aus unbewussten Anfängen heraus entwickelt hat. Wie macht er das? Und würde das wirklich bedeuten, dass wir keine unsterbliche Seele haben?
Quantenmechanik: Der Geist ist nichts als ein Nebenprodukt komplexer Materie? Widerspruch gegen diese These kommt auch aus den Naturwissenschaften selbst: Was meinen wir, wenn wir „Materie“ sagen? Besteht Materie überhaupt aus Materie? Warum verhalten sich Elementarteilchen anders, wenn sie beobachtet werden? Wie kann es sein, dass verschränkte Teilchen unabhängig von Zeit und Raum miteinander kommunizieren? So fragen Quantenmechaniker. Religiös und spirituell orientierte Menschen knüpfen daran große Erwartungen. Zu Recht?
Naturwissenschaft als Segen und Alptraum: Niemand will auf Naturwissenschaft und Technik verzichten. Aber durch sie sind wir auch bedroht von Atomwaffen, Klimawandel, Artensterben, digitaler Überwachung, Genmanipulation und Künstlicher Intelligenz. Dürfen wir den Wissenschaftlern noch vertrauen? Müssen wir ihrem Einfluss Grenzen setzen? Auch ihrem Einfluss auf unsere Glaubensentscheidungen?
Theologie: Sind Evolutionstheorie und der Glaube an ein ewiges Leben Gegensätze? Nein, sagen moderne Theologinnen. Sie halten die Naturwissenschaften und die Religion für vereinbar. Das meint auch Hans Küng (*1928), einer der meistgelesenen Theologen der Gegenwart. Wie argumentiert er? Und was bleibt von der transzendenten Dimension, wenn man das heutige naturwissenschaftliche Weltbild uneingeschränkt akzeptiert?
Parapsychologie: Wenn eine Weltanschauung so selbstsicher auftritt wie die naturwissenschaftliche, dann liegt die Frage nahe: Gibt es Phänomene, die mit diesem Weltbild in Widerspruch stehen, sei es tatsächlich oder scheinbar? Parapsychologen arbeiten daran, solche Phänomene aufzuspüren. Was ist ihnen bisher gelungen? Wie reagieren anerkannte Wissenschaftler darauf? Und wie verhalten sich parapsychologische Forschung und religiöse Wunder zueinander?
Nahtoderfahrungen: Viele Menschen machen an der Grenze zum Tod tiefe seelische Erfahrungen. Danach ist für sie nichts mehr wie zuvor: Materielle Ziele werden unwichtig, die Liebe wird zum zentralen Lebensinhalt, und an einem Leben nach dem Tod gibt es für diese Menschen keinen Zweifel mehr. Wie begründen sie ihre Zuversicht? Und was sagt dazu ihre schärfste Gegnerin, die Ex-Parapsychologin Susan Blackmore?
Tod: Was bleibt von all unseren Argumenten für oder gegen den Glauben an Gott, wenn wir eines Tages im Sterben liegen? Werden wir dann immer noch sicher sein, was danach kommt – sei es, dass uns das erlösende Nichts erwartet, sei es, dass unsere Seele weiterlebt? Natürlich können wir das vorher nicht wissen. Aber ich möchte Ihnen doch weitergeben, was mir Hospiz-Mitarbeiterinnen dazu gesagt haben, die schon viele Menschen in ihren letzten Tagen und Stunden begleitet haben. Und ich stelle Ihnen Christopher Hitchens (1949–2011) vor. Der Autor hat, schwer an Krebs erkrankt, bis kurz vor seinem Tod geschrieben und ist bis zuletzt ein Atheist geblieben.
Was erwartet Sie in diesem Buch nicht?
Nicht beschäftigen werde ich mich mit Atheisten, die gegen einen Gott vor allem moralisch argumentieren, wie Friedrich Nietzsche (1844–1900) oder Albert Camus (1913–1960). Denn uns interessiert hier weniger, ob Gott etwas vorzuwerfen sei, sondern ob Gott – oder wie immer wir das Transzendente nennen wollen – tatsächlich existiert.
Beiseite lasse ich auch Atheisten, die die Religion pathologisieren, also als etwas Krankhaftes betrachten, wie Ludwig Feuerbach (1804–1872), Karl Marx (1818–1883) oder Sigmund Freud (1856–1939). Denn auch sie tragen wenig zu der Frage bei, die uns hier vor allem beschäftigt: ob es eine transzendente Wirklichkeit gibt oder nicht.
Nicht eingehen werde ich auch auf die spezifischen Vorstellungen der verschiedenen Religionen. Was die christlichen Kirchen voneinander unterscheidet, warum Muslime den Ramadan begehen oder welche buddhistischen Schulen es gibt: All das wird uns hier nicht beschäftigen.
Ich konzentriere mich auf das, was die Transzendenz-Gläubigen