Seewölfe - Piraten der Weltmeere 494. Burt Frederick

Читать онлайн книгу.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 494 - Burt Frederick


Скачать книгу
nicht daran, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Diese Unholde, die das Paradies besetzt hielten, hatten mit unerhörter Brutalität zugeschlagen. Sie erdreisteten sich, den auserwählten Kindern des Herrn körperlichen Schaden zuzufügen. Für Webster stand schon jetzt fest, daß er höchstpersönlich zum Bannstrahl des Herrn werden würde, der diese Pestilenz aus dem Paradies tilgte.

      Sein zweiter Versuch gelang. Zwar wütete der Schmerz mit nahezu unverminderter Gewalt in seinem Mund, aber das Brennen und Pochen hatte ein wenig nachgelassen. Schwankend stand er da und konzentrierte sich zunächst darauf, das Gleichgewicht zu halten.

      Sanft plätscherte das Wasser auf den feinen Strand. Die Wellen hatten mattsilberne kleine Kronen, und weit entfernt stand die riesige Scheibe des Mondes wie ein bleicher, doch unerschütterlicher Wächter. Das fahle Licht spiegelte sich in der See und verwandelte sie in eine metallen aussehende Schicht, mit der sie bedeckt zu sein schien.

      Webster schaffte es, zwei, drei Schritte zu gehen. Bei jedem Auftreten wuchs die glühende Schmerzwoge in ihm.

      Dem Jünger, der ihm am nächsten lag, trat er in den Hintern.

      Der Mann grunzte, zuckte zusammen und krümmte sich.

      Webster mußte innehalten, denn durch den Tritt rannte der Schmerz erneut mit nahezu vernichtender Gewalt gegen ihn an. Er brauchte lange Sekunden, bis er dem Grunzenden eine zweite Aufmunterung in den Achtersteven verpassen konnte.

      Diesmal wirkte es. Das Grunzen endete und ging in einen langgezogenen Klagelaut über. Der Jünger schlug die Augen auf und wimmerte.

      Webster hätte sich gern gebückt, ihn am Kragen gepackt und auf die Beine gestellt. Aber er wollte es nicht riskieren. Womöglich landete er dabei selbst auf der Nase. Seinem Gleichgewicht traute er noch nicht recht. Und er durfte vor dem niederen Volk um Himmels willen kein schlechtes Bild abgeben.

      Der Wimmernde krümmte sich und wälzte sich von einer Seite auf die andere.

      „Steh auf, du Wurm!“ befahl Webster und versetzte ihm einen erneuten Tritt. Dabei wollte er seine Stimme energisch und schneidend klingen lassen. Doch sosehr er sich auch bemühte, es hörte sich eher lächerlich an.

      Woran, zum Teufel, lag das?

      Er vermochte es noch nicht zu ergründen.

      Der Jünger schrie und krümmte sich heftiger. Es handelte sich um den Ersten Jünger, wie Webster jetzt feststellte. Sonst war er eine eindrucksvolle Erscheinung. Groß und schlank, in einfaches Leinen gekleidet und mit schulterlangem Haupthaar und einem Bart, der bis auf die Brust reichte, wirkte er wie ein Heiliger auf einem dieser Ölgemälde der großen Meister. Man konnte sich vorstellen, daß einer der Jünger oder gar Gottes Sohn selbst damals in dieser Aufmachung im Heiligen Land herumgezogen war. Das rechte biblisch-leidende Bartgesicht hatte der Bursche jedenfalls.

      Im Augenblick allerdings bot er eher ein Bild des Jammers. Schrammen, Beulen und Risse überzogen sein Gesicht, Blut hatte sich in seinen Barthaaren verkrustet.

      „Der Zorn des Herrn wird sich über dir entladen“, sagte Webster unheilvoll, „wenn du nicht gleich auf deinen Beinen bist. Dein großer Meister braucht Hilfe, und du hast nichts anderes zu tun, als zu greinen wie ein Neugeborenes.“ Wieder war da etwas, das ihn am Klang seiner Stimme irritierte. Doch der Schmerz war noch so stark, daß er den Dingen nicht auf den Grund zu gehen vermochte. Irgendwie mußte es damit zusammenhängen, daß hier Teufelswerk im Spiel war.

      Keuchend und ächzend rappelte sich der Erste Jünger auf. Sein Bewußtsein war wieder ausreichend hergestellt. Er begriff, was sich als Zorn des Herrn über ihm zusammenbraute. Jener heraufbeschworene überirdische Zorn äußerte sich meist in einem höchst menschlichen Tobsuchtsanfall Websters.

      Obwohl er vor Schmerzen selbst kaum gehen konnte, befolgte der Erste Jünger den nächsten Befehl des Erhabenen und rüttelte die drei anderen wach. Sie wurden gebraucht, das war ihm jetzt schon klar. Und er war froh, daß er die Hilfeleistungen für den großen Meister nicht allein ausführen mußte.

      „Zerreißt eure Hemden“, befahl Webster, „oder was ihr sonst an Stoff auf dem Leib tragt. Legt die Tücher in Bahnen, und tränkt sie mit frischem Seewasser. Kalte Umschläge werden mir guttun und meine Wunden kühlen.“

      Die vier Jünger standen vor ihm und glotzten wie blöde Schafe. Nein, leicht schwankend und mit Triefaugen wirkten sie eher wie Betrunkene – wie hirnlose Einfaltspinsel, die den Schnaps in sich hineinkippten, bis sie sich nicht mehr aufrecht halten und nur noch lallen konnten.

      Ja, diese Wirkung hatte der hinterhältige Überfall des Natterngezüchts gehabt.

      Webster war jetzt absolut sicher, hier mußte Teufelswerk im Spiel sein. Noch nie hatte jemand seine Männer und ihn so zugerichtet – nicht einmal die Schergen der Königin, von denen sie im lausigen England verfolgt worden waren.

      „Habt ihr mich verstanden?“ Gern hätte er es mit Donnerstimme gebrüllt, aber er war sicher, daß ihm dann der Schädel geplatzt wäre.

      „Ja, Erhabener“, antwortete der Erste Jünger leise. „Wir werden kalte Umschläge herstellen und damit deine Qualen lindern.“

      Die anderen nickten diensteifrig und begannen, sich die Hemden vom Leib zu reißen. Daran, daß auch ihre eigenen Wunden versorgt werden wollten, dachten sie nicht. Es verstand sich von selbst, daß zunächst der Erhabene in den Vollbesitz seiner göttlichen Kräfte versetzt werden, mußte. Nur dann konnte es ihnen allen wohl ergehen.

      „Zwei Mann erledigen das“, verfügte Webster. „Einer sucht eine Wasserstelle in der Nähe. Ich habe großen Durst, der schleunigst gelindert werden muß. Der vierte von euch hält Ausschau nach Früchten. Hell genug ist es. Alles verstanden?“

      Der Erste Jünger bestätigte, und gleich darauf hasteten sie los, um die Anordnungen des großen Meisters in die Tat umzusetzen.

      Er fand ein Stück Treibholz, auf das er sich setzen konnte. Ächzend ließ er sich nieder und begann unter größter Vorsicht, sein geschundenes Gesicht zu betasten.

      Da er bedauerlicherweise keinen Spiegel zur Hand hatte, konnte er sich nur vorstellen, wie er aussah. Es mußte schlimm sein. Einen Moment fragte er sich, ob er es in diesem Zustand überhaupt verantworten konnte, seinen Anhängern unter die Augen zu treten.

      Mußten sie nicht zwangsläufig anfangen, an ihm zu zweifeln?

      Er führte den Gedanken nicht zu Ende.

      Nach Schrammen und Schwellungen erreichten seine tastenden Fingerkuppen den Mund. Seine Lippen waren aufgequollene Wülste, von den Fäusten des narbigen Riesen regelrecht zu einer schwammigen Masse geschlagen.

      Er öffnete den Mund, tastete weiter und erschrak.

      Da klaffte eine Lücke!

      Er zog die Finger zurück, als habe er sich verbrannt. Mit geweiteten Augen stierte er auf die Kuppen von Zeigefinger und Mittelfinger.

      Blut!

      Im Mondlicht war es deutlich zu erkennen. Erneut tastete er nach der Lücke. Da war sie, in der oberen Reihe seiner Vorderzähne. Die Wunde blutete stark, und sie war es auch, die diese Höllenschmerzen verursacht hatte. Ein wenig erträglicher war es geworden, doch nun war es für Webster die seelische Pein, die ins Unerträgliche wuchs.

      Diese Satansbrut hatte ihn gedemütigt! Dieses elende Monster hatte ihn zerschlagen, ihn seines vollkommenen Erscheinungsbildes beraubt! Es war volle Absicht gewesen. Wahrhaftig, Teufelswerk.

      Eine Zahnlücke!

      Allein die Vorstellung brachte ihn fast um den Verstand. Seine Gefolgsleute würden heimlich grinsen oder gar in Gelächter ausbrechen, wenn er ihnen gegenübertrat. Seine Autorität war dahin. Das hatte dieser Abgesandte des Satans in Gestalt des narbengesichtigen Riesenkerls bezweckt. Genau das hatte er bezweckt.

      Webster versank in dumpfes Grübeln.

      Von unten am Strand war das Prasseln reißenden Stoffes zu hören. Im Dickicht, wo die beiden anderen Jünger auf Wasser- und Früchtesuche waren,


Скачать книгу