Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460 - Roy Palmer


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Und wie alle Seefahrer hegten auch sie eine instinktive Abneigung gegen Geistesgestörte.

      Aber es war immer noch der Riese Mustafa, der sich vor Ben Maruf stellte. Ben Maruf war sein Schützling. Wer Ben Maruf auch nur ein Härchen krümmte, legte sich gleichzeitig mit Mustafa an. Wäre Ben Maruf indes bei der Mubarakmeute geblieben, dann hätten ihm Mubarak oder Selim längst die Gurgel durchgeschnitten.

      Mustafa konnte sich noch am besten der Zeiten entsinnen, in denen Ben Maruf klar bei Verstand gewesen war. Er hatte weder Tod noch Teufel gefürchtet und die verwegensten Aktionen durchgeführt, wenn sie ein fremdes Schiff gekapert hatten. Ja, und einmal hatte er ihm, Mustafa, sogar durch blitzschnelles Handeln das Leben gerettet. Darum beschützte Mustafa Ben Maruf, denn auch ein Galgenstrick hatte seine Ehre, und einem Kumpan schlug man nicht einfach den Schädel ein, wenn es keinen sehr triftigen Anlaß dafür gab.

      An einem dieser Tage, Mitte April 1595, kehrte Achmed am Vormittag mit einem der Flöße zu dem Landeplatz im Norden der Insel zurück. Dieser Platz war eine winzige Bucht, die fast völlig von Mangroven, Zypressen und Lianen zugewuchert war und nur eine ganz schmale Einfahrt hatte. Spanisches Moos hing von den Baumästen hinunter und berührte am Ufer die Wasseroberfläche. Nur am Südufer war durch eine unerklärliche Laune der Natur ein Streifen Sand ausgespart geblieben. Dort lagen die Flöße, die die Kerle in langwieriger Arbeit zusammengezimmert hatten.

      Oft liefen sie mit den Flößen aus, nur, um nach Schiffen Ausschau zu halten. Doch es zeigten sich keine Mastspitzen an der Kimm. In zehn Monaten war keine Galeone, keine Karavelle, nicht einmal eine lausige Schaluppe aufgetaucht. Es war ein desolater Zustand des Dahindämmerns. Man überlebte, aber man wußte nicht, warum man sich noch am Leben erhielt.

      Achmed hatte mit simpelsten Mitteln einige recht große Fische gefangen: Zackenbarsche und Rotbarben, Umber und Zahnfische. Stolz paddelte er in die Bucht und zog das Floß neben die anderen auf den Sand. Doch nur ein Mann stand am Ufer, um ihn zu begrüßen: Ben Maruf.

      „Hau ab!“ fuhr Achmed ihn an.

      Ben Maruf kicherte und wedelte mit den Händen. Er stieß ein paar lallende Laute aus, dann kicherte er wieder. Dieses Kichern! Es konnte Stunden andauern. Der Kerl war darin unermüdlich wie ein kleines Kind, das immer wieder dieselben Worte brabbelt.

      „Yalla-yalla“, sagte Ben Maruf. „Alla-alla-alla.“ Es folgte wieder das nervtötende Kichern. Er schien auf etwas zu deuten, das sich hinter Achmeds Rücken befand.

      Aber Achmed dachte nicht daran, sich umzuschauen. Viel zu oft war er auf diesen dämlichen, idiotischen Trick hereingefallen.

      „Ja, Allah“, sagte er. „Ich hoffe, Allah läßt dich in die Hölle abfahren. Verschwinde!“

      Ben Maruf bewegte sich auf das Floß zu. Seine Gangart war grotesk und glich einer Art Torkeln. Jeden Moment schien er zusammenzubrechen, doch es geschah nie. Immer hielt er sich auf den Beinen, und alles in allem schien er über mehr Energien zu verfügen als alle zusammen, obgleich auch er zerlumpt, langhaarig und bärtig war.

      Achmed stand noch neben dem Floß und duckte sich jetzt ein wenig. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse des Hasses.

      „Du sollst abhauen, hab’ ich gesagt!“ schrie er den Verrückten an.

      „Alla-alla“, sagte Ben Maruf grinsend. „Olla-olla.“

      „Noch einen Schritt weiter, und ich hau’ dir den Schädel ein“, sagte Achmed, dann hob er eins der primitiven Paddel und schlug damit nach Ben Maruf.

      Diese Sprache Verstand der Irre schon besser. Er wich zurück, hielt eine Hand vor den Mund und kicherte gedämpft.

      Achmed wandte sich um und wollte seinen Fang von dem Floß aufnehmen, doch plötzlich hüpfte Ben Maruf hinter seinem Rücken herum. Wütend fuhr Achmed zu ihm herum und hieb mit der Faust nach ihm. „Kannst du nicht hören? Verschwinde, du Idiot!“

      Ben Maruf hüpfte an Achmed vorbei und sprang auf das Floß. Es wackelte auf dem Sand, aber Ben Maruf lachte und schien sich prächtig zu amüsieren.

      Achmed stand plötzlich wie vom Donner gerührt da. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Ben Maruf bückte sich, packte mit beiden Händen einen Zackenbarsch und warf ihn ins Wasser der Bucht. Der nächste folgte gleich darauf – und hoch einer.

      „Fisch-fisch!“ rief Ben Maruf. Er wedelte mit den Händen und bückte sich nach dem vierten Fisch. „Olla-olla.“

      Achmed hob den rechten Arm. Seine Augen waren in ungläubigem Entsetzen geweitet, sein Mund stand halb offen.

      „He!“ brüllte er plötzlich. „Aufhören, verdammt!“ Und jetzt geriet wieder Bewegung in seine Gestalt. Er stürzte auf Ben Maruf zu und schrie: „Laß das sein, du räudiger Hund!“

      Ben Maruf dachte jedoch nicht daran, mit seinem Treiben innezuhalten. Er hatte Gefallen daran gefunden, kicherte und stieß immer wieder sein „Alla-alla“ und „Fisch-fisch“ hervor. Er beförderte einen dicken Umber ins Wasser, dann einen Zahnfisch. Sein Kichern ging in ein glucksendes Gelächter über.

      Mit einem gewaltigen Satz war Achmed am Floß und rammte Ben Maruf die Faust unters Kinn. Ben Maruf stieß einen grellen, kreischenden Laut aus, taumelte zurück und kippte ins Wasser. Achmed traf Anstalten, sich erneut auf den Verrückten zu stürzen.

      In diesem Moment ertönte vom Ufer her eine grollende Stimme. „Was geht hier vor?“

      Ben Maruf war untergegangen, tauchte aber wieder auf und spie einen Schwall Wasser in hohem Bogen aus. Er stand bis zum Bauch im Naß, klatschte in die Hände und stieß seine kichernden und glucksenden Laute aus. Er blickte zu dem Sprecher, und auch Achmed wandte den Kopf und sah zu dem Mann.

      Es war Mustafa, der Riese.

      „Was ist hier los, Achmed?“ rief er. „Kannst du mir das vielleicht mal erklären, du Sohn einer Natter?“

      „Ja!“ stieß Achmed empört hervor. Er deutete auf die Reste seines Fanges. Nur zwei Fische lagen noch auf der Kante des Floßes, die anderen hatte Ben Maruf ins Wasser befördert. „Der blöde Hund schmeißt die Fische, die ich eben mühsam gefangen habe wieder rein!“ brüllte er.

      „Und du hast ihn geschlagen?“ fragte Mustafa drohend.

      „Nein, das habe ich nicht. Ich hab’ aber versucht, ihn an diesem Quatsch zu hindern, und da ist er vom Floß gekippt.“

      „Und das soll ich dir glauben?“

      „Es ist die Wahrheit“, erwiderte Achmed.

      „Ben Maruf!“ rief Mustafa. „Hat er dir was getan?“

      „Nein-nein-nein“, sagte Ben Maruf, kicherte dämlich und planschte im Wasser herum.

      „Hol die Fische wieder heraus!“ stieß Mustafa zornig hervor. „Sofort!“ Er trat hart an den Rand des Ufers und stemmte die Fäuste in die Hüften.

      Ben Maruf nickte unterwürfig. Er tauchte, schnellte wieder hoch und legte einen Zackenbarsch auf das Floß – sehr zum Erstaunen von Achmed, der nicht fassen konnte, daß der Irre die toten Tiere unter Wasser wiederfand. Eigentlich hätten sie längst von den Unterströmungen erfaßt und fortgetrieben sein müssen. Aber das Wunder geschah: Ben Maruf förderte den kompletten Fang zutage und packte ihn auf den Rand des Floßes.

      Achmed beeilte sich, die Fische an Land zu schaffen. Ben Maruf war unberechenbar. Jeden Augenblick konnte er etwas Neues aushecken.

      „Komm her“, sagte Mustafa zu dem Irren. Er wartete, bis dieser aus dem Wasser gestiegen war, dann hob er tadelnd den Finger. „Das war böse von dir, Ben Maruf. Mach so was nicht wieder. Wir haben sonst nicht genug zu essen.“

      „Essen, essen“, sagte der Verrückte. Er nickte, rieb sich die Hände und kicherte, aber es war daraus nicht zu erkennen, ob er diese Worte wirklich verstanden hatte.

      Achmed hatte die Fische mit dünnen, biegsamen Zweigen zu einem Bündel zusammengefügt. Er trat neben Mustafa und sagte: „Es


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