Seewölfe Paket 23. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 23 - Roy Palmer


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      „Nicht so laut“, sagte Roger und zupfte ihn am Ärmel.

      Glücklicherweise hatte Grand Couteau die Geistesgegenwart gehabt, sich des Spanischen und nicht seiner Muttersprache zu bedienen. Er blickte der davonfahrenden Kutsche nach – sie überquerte die Plaza. Um ein Haar wäre er über die Füße eines auf einer Eingangstreppe sitzenden Mannes gestolpert. Er wandte sich halb um und murmelte eine Entschuldigung.

      Der Mann grinste die beiden an. Er war mager und hatte ein runzliges, verkniffenes Gesicht. Sein Alter war schwer zu schätzen, er mochte vierzig oder aber auch sechzig Jahre alt sein.

      „Legt euch mit dem nicht an“, sagte er. „Das ist Diego de Xamete, der Bürgermeister.“

      „Aha“, sagte Roger Lutz: „Und der braucht auf keinen Rücksicht zu nehmen, wie?“

      „Er tut, was er will“, erklärte der Spanier. „Und ich wünsche ihm, daß er sich den Hals bricht.“

      „Hast du einen besonderen Grund dafür?“ fragte Grand Couteau überrascht.

      „Ihr seid neu hier, was?“

      „Wir kommen gerade aus dem Hafen“, antwortete Roger Lutz.

      Der Spanier musterte sie aufmerksam aus seinen kleinen, wachen Augen. „Ich kann mich nicht entsinnen, daß heute früh ein Schiff eingelaufen ist. Na, ist ja auch egal.“ Er grinste immer noch. „Ich heiße Furio Benares. Und ihr?“

      „Ich bin Rujero“, erwiderte Roger. „Das ist Cotello, mein Freund.“

      Furio Benares nickte ihnen zu. „Herzlich willkommen in dieser verfluchten Stadt. Ich wäre schon längst abgehauen, aber dazu fehlt mir das Geld. Ich hatte einen kleinen Laden als Schiffsausrüster, aber der Hund von einem Bürgermeister hat mich kaputtgemacht. Er hat nicht nur hohe Steuern verlangt, er hat auch Schmiergeld kassiert – um wegen kleiner Unregelmäßigkeiten, die die Größe und Einrichtung meines Ladens betrafen, beide Augen zuzudrücken. Ich mußte mir Geld leihen und konnte die Wucherzinsen nicht bezahlen. So ging ich pleite. Jetzt sitze ich da und verdiene mir mit Gelegenheitsarbeiten mein Brot.“

      „Bei wem hast du dir das Geld denn gepumpt?“ fragte Roger.

      „Dreimal darfst du raten.“

      „Bei Diego de Xamete?“

      „Ja.“

      „Heiliger Strohsack“, sagte Grand Couteau. „Das scheint ja ein ganz übler Hai zu sein.“

      „Der schlimmste von allen“, brummte Benares. „Aber komm rein, ich lade euch auf ein Gläschen Wein ein. Ich bin froh, mal mit jemandem sprechen zu können.“

      „Nachher“, sagte Roger. „Auf dem Rückweg. Erst müssen wir ein paar Besorgungen erledigen.“

      „Laßt euch nicht übers Ohr hauen“, sagte Benares. „Die meisten Läden gehören dem Bürgermeister.“

      Roger und Grand Couteau gingen weiter und zur Plaza.

      „Dieser de Xamete scheint ein prächtiges Kerlchen zu sein“, sagte Roger leise. „Hast du ihn in der Kutsche gesehen? Er ist dick und fett wie alle diese Bastarde, die ein höheres Amt haben.“

      „Ich hätte Lust, dem eine Flaschenbombe in die Karosse zu werfen“, sagte Grand Couteau.

      Roger war fast versucht, zu lachen. „Wir können ja mal mit Ferris darüber reden.“

      Sie gingen über die Plaza, und Roger fiel plötzlich eine junge Frau mit pechschwarzen, gelockten Haaren auf, die in einer Schenke verschwand.

      „Hast du die gesehen?“ fragte er Grand Couteau. „Mann, dieses Gesicht! Und die Figur! Hinreißend!“

      „Ich habe sie gesehen“, erwiderte Grand Couteau. „Aber sie ist eine Hure, mein Freund.“

      „Habe ich das bezweifelt? Die meisten Frauen in den Hafenstädten sind das, aber welche Rolle spielt das schon?“

      Grand Couteau seufzte. „Sicher hast du recht. Aber denk daran, Le Testu hat gesagt, wir sollen die Finger von Weiberröcken lassen. Das ist ein Befehl.“

      „Für heute“, sagte Roger. „Morgen – oder heute abend – sieht’s vielleicht schon wieder anders aus. Möglicherweise gehört es zu den taktischen Mitteln, auch mal einen schrägen Vogel über die Zustände in Arica auszufragen.“

      „Du kannst es wohl nicht lassen, was?“

      „Vielleicht kennt sie den Sargento“, sagte Roger.

      „Da kannst du auch diesen Furio fragen“, sagte Grand Couteau. „Der wird dir bereitwillig Auskunft geben, wenn du ihm die Zeichnung zeigst.“

      „Immer vorsichtig sein“, sagte Roger. „Er könnte auch ein Spitzel sein. Noch wissen wir es nicht.“

      Sie gingen am westlichen Rand der Plaza entlang und näherten sich der Nordseite, und dann wurde ihre Aufmerksamkeit durch etwas völlig anderes gefesselt. Ein düsterer Bau ragte an der Nordseite auf, er stand hinter einer hohen Mauer.

      „Das ist das Stadtgefängnis, jede Wette“, sagte Roger. „Herrgott, nun sieh dir das an.“

      Vor dem Mauertor, der Plaza zugewandt, standen fünf Indios am Pranger, die Hälse zwischen den beiden aufklappbaren Holzhälften eingeschlossen. Sie waren nur mit ihren Lendenschurzen bekleidet – und völlig hilflos den Passanten ausgeliefert.

      An der Mauer war eine Tafel angebracht, auf die jemand mit schwarzer Farbe etwas geschrieben hatte. Roger und sein Freund blieben stehen und lasen, was da stand.

      „Bürger von Arica“, las Roger leise vor. „Diese fünf Wilden haben sich geweigert, die ehrenvolle Aufgabe anzunehmen, für Seine Allerkatholischste Majestät, den König von Spanien, in den Minen von Potosi zu arbeiten. Dorthin aber werden sie zur Strafe jetzt erst recht gebracht.“

      Grand Couteau blickte zum Pranger, während Roger dies vorlas. Er sah, wie ein junger Spanier die Indios nacheinander ohrfeigte. Ein paar andere junge Männer lachten und spuckten die armen Teufel an.

      Eine dicke Frau schrie: „Ihr Affen! Früher habt ihr Menschen gefressen! Seid froh, daß man euch nicht aufhängt!“

      „O Mann“, sagte Grand Couteau mit verzerrtem Gesicht. „Mir steigt die Galle hoch, Roger. Halt mich fest.“

      „Reiß dich zusammen“, zischte Roger. „Es wäre mehr als dumm, wenn wir jetzt was unternehmen würden. Halt die Luft an und bezwing dich.“

      Die Indios mußten nach vorn gebückt stehen, weil die Löcher für die Hälse niedriger als in gewöhnlicher Schulterhöhe angebracht waren. Sie wurden immer wieder geohrfeigt, bespuckt und vom Pöbel verhöhnt und beschimpft.

      „Ein schamloses Schauspiel“, murmelte Grand Couteau, als sie weitergingen, um nicht aufzufallen. „Man sollte diesen fetten Bürgermeister, dieses korrupte Schwein, an den Pranger stellen. O Hölle, ich brauche was zu trinken, sonst haue ich diese Kerle da noch um.“

      Sie suchten eine kleine Kneipe auf und bestellten sich jeder einen Becher Wein. Schweigend tranken sie und blickten aus dem Fenster auf die Plaza. Der Pöbel bereitete sich einen Spaß daraus, die Indios zu schlagen und mit den unflätigsten Ausdrücken zu beschimpfen. Am allerschlimmsten benahm sich die dicke Frau.

      „Da, jetzt werden sie erlöst“, sagte Roger plötzlich. „Was hat das zu bedeuten? Hat man sie begnadigt? Das kann ich nicht glauben.“

      Soldaten marschierten aus dem Gefängnis und öffneten die Holzhälften. Andere Soldaten trieben fünf Indios heran, und jetzt wurde klar, welchem Zweck die Aktion diente. Die fünf Indios wurden vom Pranger gezerrt und ins Gefängnis zurückgeführt. Dafür wurden die fünf „Neuen“ an den Pranger gestellt und mußten die Prozedur über sich ergehen lassen.

      „Wir bleiben erst mal sitzen“, sagte Roger. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. „Ich will wissen, wie das weitergeht.“


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