Seewölfe - Piraten der Weltmeere 395. Frank Moorfield
Читать онлайн книгу.Blick ins Innere geworfen hatte.
Im stillen dankte Jussuf Allah und seinem Propheten und nahm sich fest vor, sich durch nichts mehr ablenken zu lassen.
Schon bald führte der Weg aus dem Hafengewirr hinaus. Nach einem Fußmarsch von etwa zwei Meilen, bei dem das unwegsame Dschungelgelände das Vorhaben Jussufs sehr begünstigte, nahm der Kreole Kurs auf eine kleine, versteckte Bucht, in der eine Zweimastschaluppe vor Anker lag.
Jussufs Herz schlug höher. Also doch, sagte er sich. Ich bin genau dem richtigen Mann gefolgt. Da der Kreole nur noch wenige Schritte vom sandigen Ufer entfernt war, blieb er jetzt in der Deckung weit ausladender Farnbäume zurück. Eine Schar bunter Vögel hob sich lärmend in die Luft, doch darum kümmerte sich niemand, denn der Dschungel, der einen Großteil der Insel überwucherte, gab Tag und Nacht vielfältige Geräusche von sich.
Der Kreole blieb im Ufersand stehen und rief die Schaluppe an. An Bord hatte man ihn offenbar sofort bemerkt, denn zwei muskulöse Kerle enterten flink in ein winziges Beiboot ab und pullten es mit kräftigen Riemenschlägen zum Ufer.
Jussuf harrte bewegungslos in seinem Versteck aus und beobachtete, wie der Kreole an Bord gebracht wurde. Einen Augenblick später hielt er sogar kurz den Atem an, als er die beiden Gestalten entdeckte, die aus den Achterdecksräumen erschienen. Es handelte sich um eine halbnackte und gutgebaute Negerin und um einen herkulischen Schwarzen.
Jussuf erkannte den hünenhaften Kerl sofort. Es war niemand anderes als der gefürchtete Caligula. Er hatte ihn vor einiger Zeit in Havanna beschattet, als er im Auftrag der Black Queen dort aufgetaucht war. Und wenn dieser muskelbepackte Mann Caligula war, dann konnte die rassige Negerin an seiner Seite nur die berüchtigte schwarze Piratin sein. Jussuf kniff die Augen zu und öffnete sie wieder. Aber er hatte sich nicht getäuscht, es bot sich ihm noch immer dasselbe Bild.
Die Piraten hatten sich in dieser winzigen Bucht unweit des Hafens versteckt und würden erst dann abziehen, wenn sie sich über die Weiterentwicklung der Dinge in Havanna informiert hatten.
Der Kreole, dem Jussuf gefolgt war, gab offensichtlich einen ausführlichen Bericht. Der Türke bedauerte lebhaft, daß er von all dem nichts verstehen konnte, weil die Entfernung zu groß war. Dafür aber fiel ihm auf, daß der Kreole während seines Berichtes häufig den Kopf schüttelte und mit den Schultern zuckte. Daraus war zu schließen, daß sich im Hafen noch nichts tat und er der Queen deshalb keine positiven Nachrichten überbringen konnte.
Die endgültige Bestätigung für seine Vermutung erhielt Jussuf sofort, als die Queen in höchster Wut irgend etwas Unverständliches schrie. Der Kreole wich ängstlich zurück, aber er konnte dem kraftvollen Fausthieb der Frau nicht mehr ausweichen. Der Schlag fegte ihn wie eine Puppe über das Achterdeck der Schaluppe.
Jussuf konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er war sich darüber im klaren, daß es hier nicht mehr viel zu erkunden gab. Demnach war es höchste Zeit für ihn, sich zurückzuziehen und Arne von Manteuffel seine Beobachtungen mitzuteilen.
Vorsichtig, stets die Deckung des Gestrüpps und der Farnbäume ausnutzend, begab er sich auf den Rückweg. Er durfte auf keinen Fall riskieren, von den Leuten der Black Queen entdeckt zu werden, denn das würde nicht nur ihn selber in Lebensgefahr bringen, sondern auch seine Kameraden.
Erst als er außer Sichtweite war, schlug er eine schnellere Gangart ein und kehrte in relativ kurzer Zeit zum Hafen zurück. Dort traf er an dem vereinbarten Treffpunkt auf Jörgen Bruhn, der schon eine ganze Weile auf ihn gewartet hatte.
„Da bist du ja endlich“, sagte Jörgen verwundert. „Warum schnaufst du wie ein altes Walroß?“
„Ich bin ziemlich schnell gelaufen“, erwiderte Jussuf, „denn es gibt eine Menge Neuigkeiten.“
Jörgen horchte auf. „Bist du etwa fündig geworden?“
„Das kann man wohl sagen. Und was hast du die ganze Zeit über getrieben?“
Jörgen winkte ab. „Ich hatte meine Not, nicht von zwei liebeshungrigen Señoritas untergemangelt zu werden.“
Der Türke grinste. „Das hat man davon, wenn man so schrecklich schön ist. Aber Spaß beiseite. Am besten, wir trennen uns jetzt und kehren auf verschiedenen Wegen zur Faktorei zurück. Nachdem ich die Black Queen samt ihrem Geliebten gefunden habe, bin ich der Meinung, daß Arne das so schnell wie möglich erfahren sollte.“
Jörgen klopfte dem Türken anerkennend auf die Schulter. Danach marschierten sie getrennt zur Faktorei zurück.
2.
Im Kontor des Handelshauses war es ebenfalls brütend heiß. Trotzdem waren die hohen Temperaturen hier leichter zu ertragen als draußen in der prallen Mittagssonne.
Die drei Männer, die um einen wuchtigen Tisch saßen, hatten jedoch ganz andere Sorgen.
Das Gesicht Arne von Manteuffels, das demjenigen des Seewolfs so sehr ähnelte, wirkte ernst, während Jussuf seine Beobachtungen schilderte. Der ehemalige Kaufmann aus Kolberg an der deutschen Ostseeküste hatte bis jetzt nur zugehört und den Türken kaum unterbrochen. Nun aber trank er einen Schluck aus dem irdenen Becher, den er seit einigen Minuten langsam zwischen den Fingern drehte.
„Alle unsere Vermutungen haben sich demnach bestätigt“, sagte er. „Die Black Queen hat eine Gelegenheit gefunden, den Schritt zu tun, den wir seit langem zu verhindern suchten. Sie hat die Position der Schlangen-Insel an den Gouverneur verraten und wartet darauf, daß die Spanier einen Kampfverband zusammenstellen, um jene schmutzige Arbeit zu tun, für die sie zur Zeit selber zu schwach ist.“
„Diese Queen ist ein wahres Teufelsweib“, sagte Jörgen. „Der kann wohl niemand was anhaben. Kaum liegt sie mit der Nase im Dreck, da erholt sie sich wieder und beginnt von vorn.“
Er goß sich aus einem schweren Steinkrug, der auf dem Tisch stand, von dem erfrischenden Getränk in den Becher, das Jussuf mit wenigen Handgriffen zubereitet hatte. Es handelte sich um frischen Limonen- und Zitronensaft, etwas Grenadinesirup, einen Schuß Wasser und Rum. Obenauf schwamm eine Scheibe Ananas, und ein Hauch von geriebener Muskatnuß gab dem Getränk die feine Würze.
„Dieses Weib ist wie eine Katze“, sagte Jussuf. „Sie kann das Mausen nicht lassen. Dabei ist sie zäh wie Leder, und stutzt ihr jemand die scharfen Krallen, dann wachsen sie sofort wieder nach.“
Arne nickte zustimmend.
„Trotzdem kann man ihr ein gewisses Maß an Mut und Intelligenz nicht absprechen“, meinte er. „Sie spinnt die Fäden ihres Netzes so fein wie eine Spinne, um ihr Ziel zu erreichen. Das gleiche kann man von Caligula sagen, denn kaum jemand anders würde sich in seiner Situation auf Kuba blicken lassen. Wenn er dem dicken Don Antonio ein zweites Mal in die Hände fällt, kommt er gewiß nicht mehr lebend davon.“
Er spielte damit auf die spektakuläre Flucht an, die Caligula vor einiger Zeit gelungen war. Trotz Folter und schärfster Bewachung war er aus dem Kerker des Gouverneurs ausgebrochen und hatte dabei eine blutige Spur hinterlassen. Selbst die Bluthunde und Reitersoldaten, von denen er verfolgt worden war, hatten ihn nicht aufhalten können. Er hatte sich zu den Islas de Mangles durchgeschlagen, wo die Black Queen von den Meuterern der „Caribian Queen“ an Land gesetzt worden war.
Hinter den Stirnen der drei Männer arbeitete es. Sie waren sich der Gefahr, in der sie und ihre Freunde schwebten, durchaus bewußt. Es ging um den Fortbestand des wichtigsten Stützpunktes des Bundes der Korsaren – um die Schlangen-Insel. Sie war ihnen allen zur zweiten Heimat geworden. Außerdem hatte sie bisher hervorragenden Schutz gegen Überraschungsangriffe geboten, weil kaum jemand die genaue Position jener bei der Caicos-Gruppe liegenden Insel kannte.
Arne, Jörgen und Jussuf dachten in dieser Stunde mehr denn je an Philip Hasard Killigrew und seine Männer, an Siri-Tong, den Wikinger, die Kameraden von der „Wappen von Kolberg“ sowie an den Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate und die Araukaner. Und sie waren fest entschlossen, alles zu tun, um die Zerstörung ihrer karibischen Heimat zu verhindern. Nur über die Art und Weise ihres Vorgehens