Seewölfe - Piraten der Weltmeere 149. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 149 - Roy Palmer


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das Licht unter Wasser ist sehr schlecht, aber wir haben trotzdem noch etwas feststellen können“, antwortete der Mann etwas außer Atem. Er verharrte neben dem Boot und konnte nun wieder auf dem Grund stehen. „Unser Schiff hat keine nennenswerten Beschädigungen.“

      „Keine Lecks?“

      „Ich glaube nicht.“

      „Glauben, glauben“, sagte der Kapitän zornig. „Glauben ist nicht wissen.“

      Der zweite Taucher war jetzt ebenfalls zurückgekehrt, und Tarrega richtete an alle beide die Frage: „Besteht die Möglichkeit, daß die ‚Asturias‘ aus eigener Kraft wieder von diesem dreimal verfluchten Felsenriff freikommt? Ich will die Wahrheit wissen.“

      „Es ist unmöglich, Senor“, erwiderte der eine Taucher.

      „Bei Ebbe völlig ausgeschlossen“, fügte der andere hinzu.

      Tarrega schaute an der Bordwand der Galeone hoch. Er hakte die Daumen in seinen ledernen Leibgurt und fuhr mit der Zungenspitze über die spröde gewordenen Lippen. Was jetzt? fragte er sich, dann sah er das Gesicht des Zuchtmeisters über dem Schanzkleid auftauchen.

      „Keine Lecks“, verkündete dieser stolz. „Kein Wasser, das in die Schiffsräume dringt, Senor. Wir haben mächtiges Glück gehabt.“

      „Ja, das kann man wohl sagen“, erwiderte Tarrega sarkastisch. „Es besteht also wenigstens nicht die Gefahr, daß die ‚Asturias‘ bei auflaufendem Wasser absäuft.“ Er wandte sich zu seinen Offizieren um. „Senores, wir hoffen also auf die Flut – und daß unser Schiff sich dann freisegelt. Etwas anderes bleibt uns ja nicht übrig.“

      „Sechs Stunden warten“, sagte der Erste ziemlich zerknirscht. „Aber wir werden das schon überstehen, Senor.“

      „Wir haben den Befehl, auf der Insel zu landen“, entgegnete der Kapitän. „Und das tun wir auch. Nur ein kleiner Trupp Männer bleibt unter dem Kommando des Profos an Bord und ist gefechtsklar, damit wir für den Ernstfall gerüstet sind. Der Rest der Mannschaft pullt unter meiner Führung in den zwei Beibooten an Land. Wir begeben uns zu Fuß nach Norden und treffen dann hoffentlich mit dem Comandante und dessen Männern zusammen. Irgendwelche Aufenthalte wird es nicht geben, denn die Insel scheint unbewohnt zu sein, soweit unser Ausguck feststellen konnte.“

      „Ja, offenbar ist sie ein einziger öder Felsen“, sagte der erste Offizier, der bei dem Gedanken an die Landung nicht die geringste Begeisterung empfand und sich in diesem Augenblick in die liebliche Mittelmeerlandschaft zurücksehnte, die seine Heimat war.

      Als das Schiff plötzlich wie ein Gespenst aus Dämmerung und Nebel erschien, erschrak Arthur Nolan zutiefst. Seine nächste Reaktion war, daß er die Augen zusammenkniff, graue Augen in einem verwitterten Gesicht, und den Dreimaster etwas genauer musterte.

      Dann fuhr er zu seinem Sohn herum.

      Harry kauerte weiter achtern zwischen zwei Duchten der einmastigen Schaluppe und blickte mit offenem Mund und anscheinend völlig entgeistert zu dem Schiff hinüber.

      „Harry“, sagte Nolan. „Zieh das Netz hoch, na los, beeil dich! Himmel, bist du schwerhörig?“

      „Pa – nun sieh dir das an!“

      „Ja, sieh dir das an.“ Nolan stieg über die Duchten und griff selbst zu dem Netz, das sie erst vor einer halben Stunde ausgebracht und ein Stück durch die Nordostbucht der Insel geschleppt hatten. „Zum Teufel, hast du noch nie ein Segelschiff gesehen?“

      Jetzt wurde Harry aktiv. Er war erst sechzehn Jahre alt und riskierte immer noch, sich eine Ohrfeige einzuhandeln, wenn er die Anordnungen seines Vaters nicht rechtzeitig genug befolgte. Seine Hände packten das Netz und beförderten es Zug um Zug binnenbords. Immer wieder sah, sich Harry nach dem großen Segler um, der hoch am Wind mit prallen Segeln in die Bucht segelte.

      „So ein großes, herrliches Schiff noch nicht“, antwortete Harry auf die Frage seines Vaters. „Wirklich nicht, das weißt du doch. Mein Gott, was will denn der hier bloß?“

      „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“ Arthur Nolan schaute kurz auf. Sein Blick huschte zu den beiden anderen Schaluppen hinüber. Die Harveys und die Crapes folgten seinem Beispiel, sie holten ebenfalls ihre Fischernetze ein, denn man konnte nicht wissen, ob die Ankunft des fremden Seglers Gutes oder Böses verhieß.

      Makrelen, Heringe, ein paar verirrte Taschenkrebse und anderes Getier zappelten in der sackförmigen Ausbuchtung des Netzes, die Nolan und sein Sohn in die Schaluppe hoben.

      „Anbrassen und an den Wind“, sagte Arthur Nolan etwas zu hastig. „Wir kehren an Land zurück.“

      Harry folgte der Anweisung. Sein Vater kletterte über die Duchten nach achtern zurück und bediente die Ruderpinne der Schaluppe.

      Die Schaluppe drehte mit dem Bug nach, Süden. Das gleiche taten auch die beiden anderen Schaluppen, in denen Kay Harvey und sein greiser Vater Bertrand sowie Jonathan und Frank Crape saßen. Vor der heranrauschenden Galeone steuerten die drei Schaluppen zum Ufer der Bucht – ihre Flucht hätte nicht offensichtlicher sein können.

      „Pa!“ rief Harry. „Hast du etwa Angst?“

      „Ich habe Angst, wir kriegen Ärger.“

      „Warum denn?“

      „Das ist kein englisches Schiff, Sohn.“

      „Aber es weht keine Flagge in seinem Topp!“

      „Und es baumelt auch kein Holzkreuz unter seinem Bugspriet“, erwiderte Arthur Nolan mit galliger Miene. „Aber sieh dir genau an, wie der Kahn gebaut ist.“

      „Er sieht einfach prächtig aus.“

      „Prächtig“, murmelte sein Vater. „Man braucht kein Hellseher zu sein, um rauszukriegen, woher das Schiff kommt, wirklich nicht. Er ist kein Holländer und auch kein Franzose, und die Iren haben nur ein paar armselige Kähne. O Himmel, das ist ein Don, Sohn. Der Teufel soll ihn und seine Mannschaft holen.“

      Harry hatte nur die letzten Worte verstanden und rief gegen den summenden Wind und das Plätschern der Wellen an: „Was, ein Don? Ein Spanier, Pa?“

      „Ja.“

      Harry wurde wachsbleich im Gesicht. „Der Herr steh uns bei. Die sind doch nicht hier, um uns um Trinkwasser und Proviant zu bitten. Die haben was anderes vor.“

      Arthur Nolan griff mit einer Hand unter die Heckducht und vergewisserte sich, daß die Muskete an ihrem gewohnten Platz lag. Sie war geladen, und er wußte sie auch zu benutzen, wenngleich er bisher damit auch nur auf die großen Graugänse und Enten gefeuert hatte, die sich im beginnenden Frühjahr auf der Heimreise vom Süden in den Norden auf der Insel niederließen. Arthur Nolan war ziemlich sicher, daß er die Muskete mit dem Steinschloß an diesem Abend zum ersten Mal in seinem Leben gegen einen Menschen verwenden würde. Denn so abseits und verloren die Insel Bryher auch lag, die Nolans, die Harveys und die Crapes waren durch die Besatzungen von Küstenseglern unlängst über die zunehmenden Spannungen zwischen England und Spanien unterrichtet worden. Sie hatten auch von Drakes Überfall auf Cadiz erfahren. All das konnte einen halbwegs klug denkenden Mann nur davon überzeugen, daß der Feind früher oder später zu einem Gegenschlag rüsten würde.

      War es jetzt soweit?

      Sollte die Invasion wirklich hier, auf den Scilly-Inseln, beginnen?

      Es war schon einige Zeit her, daß die drei Familien von Bryher ein annähernd großes Schiff wie diese Dreimast-Galeone gesehen hatten.

      Das letzte Mal vor zwei Jahren war es eine stolze englische Galeone gewesen, die mit Kurs auf den St.-Georgs-Kanal und die Irische See an den Scilly-Inseln vorbeigeglitten war. Sie war ein Meisterwerk der Schiffbaukunst gewesen, diese Galeone, der Inbegriff von Macht und Stärke und menschlichem Genie. Nolans zutiefst patriotisch empfindendes Herz hatte damals höher geschlagen, denn auch die wenigen Menschen, die auf Bryher und den anderen Scilly-Inseln lebten, waren vaterlandstreue Engländer – oder vielleicht gerade wegen der Abgeschiedenheit, in


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