Seewölfe - Piraten der Weltmeere 556. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Befehl gegeben, Boris Knaaks Boot zu bergen. Es wurde aus den Fluten gehievt und auf dem Vordeck festgezurrt.
Zoltan Delanoff verfolgte die Bemühungen seiner Männer mit unbewegter Miene. Schließlich gab er das Kommando, wieder die Segel zu setzen. Die Dubas glitt weiter.
Boris Knaak kauerte in der Vorspiele und rieb sich stöhnend den Schädel. Als die Bezwinger ihn unsanft in das winzige Loch befördert hatten, hatte er sich den Kopf am Eingangspfosten gestoßen. Er fluchte vor sich hin und verwünschte Delanoff in die tiefsten Schlünde der Hölle.
Was würde der Despot jetzt mit ihm anstellen? Zweifellos brachte er ihn nach Batumi. Und dort würde er ihn in den Kerker stecken.
Boris hielt plötzlich den Atem an. Was war das? Hatte sich da nicht etwas geregt? Er hatte mit einemmal das Gefühl, nicht allein in der Vorpiek zu sein. Zunächst dachte er an Ratten, dann aber registrierte er, daß es sich um ein größeres Lebewesen handeln mußte, das da neben ihm atmete und schnaufte.
„Wer ist da?“ fragte Boris.
„Ich“, antwortete eine tiefe Stimme. „Und wer bist du?“
„Ich bin Boris Knaak, ein Fischer.“
„Ich bin Jarowelsky.“
„Nie gehört“, erwiderte Boris. „Ich kenne dich nicht.“
„Das ist nicht schlimm“, sagte Jarowelsky. „Jedenfalls sind wir Leidensgenossen. Erst habe ich gedacht, du seist ein Spion. Na ja, dieser Delanoff könnte ja auf die verrücktesten Ideen verfallen. Beispielsweise, hier einen Kerl reinzustecken, der mich ein bißchen aushorchen soll.“
„Ich bin kein Spion.“
„So, wie du Delanoff verflucht hast, kannst du keiner sein.“
„Warum haben sie dich festgenommen?“ wollte Boris von dem anderen wissen.
„Ach, ich komme von der Krim und habe ein bißchen Schmuggelgut abladen wollen, Schnaps. Dabei haben mich diese Bastarde erwischt. Sie haben meine Ladung beschlagnahmt und meinen Kahn versenkt. Und da hocke ich nun. Delanoff wird mir den Hals abschneiden und meinen Schnaps aussaufen.“
„Delanoff ist ein gemeiner Drecksack“, murmelte Boris.
„Hast du auch geschmuggelt?“
„Nein.“
„Das sagen alle.“
„Rede doch keinen Mist“, entgegnete Boris wütend. „Ich bin ein Fischer, das habe ich dir eben schon gesagt.“
„Was gibt es nachts zu fischen?“
„Na, rate mal“, erwiderte Boris spöttisch. „Also, du machst mir Spaß. Es gibt bestimmte Fische, die beißen nur nachts. Die sind viel zu schlau und raffiniert, dir tagsüber ins Netz zu gehen oder an deiner Angel hängenzubleiben, klar?“
„Ja, das leuchtet mir ein.“
„Gut. Und der schlauste und gerissenste Bursche von allen ist Thelonius.“
„Was? So heißt ein Fisch?“
„Jawohl“, antwortete Boris. „Thelonius ist der größte Stör, den es jemals gegeben hat. Er ist siebzehn Fuß lang.“
„Ich höre wohl nicht richtig“, sagte Jarowelsky staunend.
„Es stimmt, es ist keine Übertreibung“, erklärte Boris Knaak. „Schon viele Männer haben versucht, Thelonius zu fangen. Keinem ist es gelungen. Der hustet dir was. Aber ich kenne ihn am besten von allen Fischern. Ich weiß über seine Gewohnheiten Bescheid. Heute nacht habe ich den Burschen fassen wollen. Aber ausgerechnet dieser Mistkerl Delanoff mußte mir mit seiner Bande in die Quere geraten.“
„Das tut mir leid für dich“, brummte Jarowelsky. „Wenn ich dir helfen könnte, würde ich es tun. Aber ich sitze ja selbst in der Klemme, verdammt noch mal.“
„Danke.“ Boris streckte ihm im Dunkeln die Hand entgegen. „Wir sind also Freunde.“
Jarowelsky spürte, wie Boris’ Hand seinen Arm berührte. Er ergriff sie und drückte sie. „Auf unsere Freundschaft. Also, diesen Thelonius würde ich gern mal sehen. Teufel, gibt’s denn keine Möglichkeit, von diesem höllischen Kahn zu verschwinden?“
„Hast du eine Ahnung, wie wir das Schott aufbrechen können?“ zischte Boris Knaak.
„Nein.“
„Dann haben wir keine Chance“, murmelte Boris.
„Wir können nur abwarten“, raunte Jarowelsky. „Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, einfach außenbords zu springen, wenn sie uns hier rausholen und nach oben bringen. Hast du Angehörige?“
„Frau und Kinder, meinst du?“
„Ja“, erwiderte der Schmuggler. „Familie, Leute, die auf dich warten.“
„Nein.“
„Auf der Krim sitzen meine Frau und sechs Kinder“, sagte Jarowelsky. „Die kann ich nicht im Stich lassen. Ich werde alles daransetzen, aus diesem Dreckloch rauszukommen und dem Bastard Delanoff zu entwischen.“
Boris nickte und gab einen grimmigen Laut von sich. „Gemeinsam schaffen wir es vielleicht.“ So ganz mochte er aber nicht daran glauben. Jarowelsky und er saßen dick im Schlamassel, und zwar bis zum Hals.
Zoltan Delanoff stand breitbeinig auf dem Achterdeck der Dubas und hielt die Augen offen. Er hatte zwar einen guten Ausguck, aber es war schon immer seine Devise gewesen, daß man sich im Leben nur auf einen einzigen Menschen verlassen durfte – auf sich selbst.
Darum hatte Delanoff seine Augen überall. Er achtete auf das, was draußen, in der Nacht, vor sich ging, kontrollierte aber auch das Tun seiner Männer.
Disziplin hatte auf einem Küstenwachschiff zu herrschen. Es durfte keinen Schlendrian geben. Schon die kleinsten Ausrutscher seiner Kerle pflegte Delanoff hart zu ahnden. Auf Patrouille kannte er keinen Pardon.
Aber auch in Batumi regierte er mit eiserner Hand. Gesindel jeder Art mußte vernichtet werden. Diebe, Bettler, Galgenstricke und Schnapphähne gehörten zuerst eingesperrt, dann aufgehängt oder geköpft.
Auch die „regulären“ Bürger der Stadt hatten zu kuschen. Rebellen und Chaoten wurden von Delanoff höchstpersönlich ausgepeitscht, wenn sie das Maul zu weit aufrissen. Alkoholexzesse und wildes Herumhuren galten gleichfalls als strafwürdige Vergehen.
Delanoff kniff die Augen zusammen.
„Da“, sagte er zu seinem Ersten Offizier. „An Land. Haben Sie das gesehen?“
„Nein, Kapitän.“
„Schlafen Sie?“
Der Erste gab sich einen Ruck. „Nein, Kapitän.“
„Da ist ein Licht entfacht und wieder gelöscht worden“, sagte Delanoff. „Es könnte ein Zeichen sein. Für Schmuggler, die mit einem Schiff landen wollen. Aber diesen Spitzbuben werden wir einen Strich durch die Rechnung ziehen.“
„Jawohl, Kapitän.“
Der Erste wäre viel lieber in Batumi gewesen, bei seiner Frau im warmen Ehebett. Und er konnte Delanoff auf den Tod nicht ausstehen. Er haßte ihn. Doch er konnte nicht anders, er mußte sich den oft recht unsinnigen Befehlen des Kapitäns beugen.
Nur wenn man alles tat, was Delanoff wollte, konnte man neben ihm existieren. Man mußte ihm immer recht geben und durfte nie eine seiner Entscheidungen auch nur ansatzweise anzweifeln. Bei Delanoff war das Insubordination und Meuterei.
„Kurs auf die Küste“, ordnete Delanoff an.
Die Dubas luvte an und schob sich auf die Küste zu. Kurze Zeit darauf ließ Delanoff die Segel bergen, beidrehen und ankern. Das Beiboot wurde ausgesetzt. Delanoff begab sich mit sechs Mannen an Land, um den Halunken das Handwerk zu legen.
Doch das Ufer war verlassen.