Seewölfe - Piraten der Weltmeere 452. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 452 - Roy Palmer


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Der Proviantmeister war ein pedantischer, disziplinierter Mann, er ließ kein Schloß und keine Angel innerhalb seines Kompetenzbereiches rosten. Überhaupt, das ganze Schiff war bestens in Schuß, denn de Rovigo haßte Schmutz und Unordnung genauso wie Meuterei. Man konnte von den Planken essen, und nirgends war auch nur ein etwas fehlerhaft aufgeschossenes Fall zu entdecken.

      Also konnte sich Castoro stets darauf verlassen, daß ihn kein verdächtiges Quietschen oder Knarren verraten würde. Er hatte viel Zeit und Mühe darauf verwendet, sich einen Ersatzschlüssel aus einem Stück Eisen zurechtzubiegen. Das war nicht so einfach gewesen. Aber es lohnte sich. Mit diesem im Prinzip sehr simplen Haken traute Simeon Castoro sich zu, fast jedes Schloß zu öffnen.

      So war er auch an diesem frühen Morgen des 24. Februar wieder auf Wanderschaft im Schiffsbauch. Es war noch stockdunkel. Man mußte aufpassen, nirgends anzustoßen. Jedes noch so winzige Geräusch konnte einen Mann aufwecken, und wenn man ihm erst nachspionierte, war er erledigt. Keiner durfte erfahren, was er trieb.

      Vorsichtig pirschte sich Simeon an das Vorratskammerschott heran. Er vergewisserte sich, daß niemand in der Nähe war und im Logis alles friedlich schlief. Drei, vier Kerle schnarchten, der Huster hustete mal wieder. Die anderen, die sich irgendwie daran gewöhnt hatten, wären auch durch Kanonenböller nicht zu wecken gewesen.

      Geschickt öffnete Simeon das Schloß, drückte das Schott auf und befand sich nun im Allerheiligsten des Proviantmeisters, in dem es nach Herrlichkeiten wie Hartwurst, Dörrfleisch, Wein und anderem duftete. Hier war nichts madig, ranzig und faulig, und er war noch auf keine einzige Kakerlake gestoßen. Der Fraß – oder die Abfälle –, den man ihnen vorsetzte, befand sich in einem anderen Schiffsraum.

      Es war Simeon Castoro unverständlich, wie ein so penibler Mann wie der Capitán solches Zeug überhaupt an Bord dulden konnte. Aber das gehörte zu den Widersprüchen im Wesen des Julio de Rovigo: Er war geizig und knauserte, wo er knausern konnte, sogar mit dem Öl für die Öllampen.

      Simeon hatte sich vorgenommen, darüber keine unnötigen Gedanken zu verschwenden. Wichtig war, daß sein Hunger gestillt wurde. Sein Magen knurrte mal wieder. Im Dunkeln tastete er über die Vorratsregale und stopfte sich einiges in die Taschen: Wurst, Schinken, Käse, Brot und eine Flasche Wein.

      Das reicht fürs erste, dachte er, und es darf ja nicht auffallen.

      Noch hatte der Proviantmeister nichts bemerkt. Die Überfahrt bis nach Panama war nicht sonderlich lang, Bilanz würde er erst ziehen, wenn sie den Zielhafen erreicht hatten. Dann setzte das große Rätselraten ein: Wer hat den Proviant geklaut?

      Simeon war ein guter Mime, keiner würde ihn durchschauen. Er war, wenn es darauf ankam, natürlich die Unschuld in Person.

      Nein, und es fiel dem Herrn über die Vorratskammer auch nicht auf, wenn das eine oder andere fehlte. Schließlich hatte er den Kapitän und vielleicht auch die Offiziere mit dem Besten vom Besten zu versorgen, und da konnte man schon mal den Überblick verlieren. Besser hätte es Simeon gar nicht haben können.

      Er verließ die Kammer, riegelte wieder sorgfältig ab und schlich zum Kabelgatt, wo er sich ebenfalls Zutritt verschaffte. Dies war sein heimlicher „Futterplatz“, hier pflegte er seine einsamen nächtlichen Einmanngelage abzuhalten.

      Er wollte das Schott eben wieder hinter sich schließen, da spürte er plötzlich, daß er nicht allein war. Ein Schatten, einem unheimlichen Schemen gleich, bewegte sich auf ihn zu. Jemand drängte sich gegen ihn, schob ihn in das Kabelgatt und stieß ein drohendes Zischen aus.

      „Halt bloß dein Maul, Simeon!“

      „Silva – bist du’s?“ stammelte Simeon entsetzt.

      „Ja. Das hättest du nicht gedacht, wie?“ Der Einäugige lachte leise, es klang hämisch und verächtlich zugleich.

      „Was willst du?“ fragte Simeon, obwohl er es sich bereits vorstellen konnte.

      „Ich hab’ bemerkt, was du treibst!“ zischte Raoul Silva. „Du klaust aus der Proviantkammer. Vielleicht schon seit Nächten.“

      „Das ist nicht …“

      „Sei still“, sagte der Einäugige mit dunkler, drohender Stimme. „Lügen hat keinen Zweck. Glaubst du, ich bin blöd?“

      „Nein, das glaube ich nicht.“

      „Weißt du, was das ist?“

      „Was?“ Simeon Castoro suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Silva war als die gemeinste Ratte an Bord dieses Schiffes bekannt, wer ihm in die Hände fiel, war so oder so geliefert. Wie konnte er, Simeon, sich nur aus der Affäre winden?

      „Spiel nicht den Begriffsstutzigen, es hat keinen Sinn“, brummte der Einäugige. „Also, was du tust, das ist Mundraub. Dafür hängt dich der Alte glatt an der Großrah auf, und wir können zuschauen, wie du rumzappelst.“

      Simeon Castoro begann heftig zu atmen. Der Schweiß brach ihm aus. Der Einäugige hatte nicht übertrieben. Zu solchen und anderen drastischen Urteilen war ein Mann wie de Rovigo fähig. Aufhängen wegen Mundraubs, Erschießen wegen Diebstahls, Kielholen wegen Verrats am Kapitän und der Mannschaft. Wenn Silva ihn, Castoro, jetzt verriet, war er erledigt. Er würde Panama nicht mehr erreichen.

      „Mann, Silva“, stieß Castoro mit flehender Stimme hervor. „Sag so was doch nicht.“

      „Schrei nicht so! Willst du, daß alle aufwachen?“

      „Nein.“

      „Übrigens war es ein Zufall, daß ich dich erwischt habe. Ich mußte mal raus auf das Galion, da habe ich dich gesehen. Hast du ein Schwein, daß ich nicht der Profos bin.“

      „Ja, ich habe wirklich Glück.“

      „Und was machen wir jetzt, du Drecksack?“

      „Wir können uns doch einigen …“

      „Ja, ist gut“, sagte der Einäugige. „Los, wir setzen uns auf die Kabelrollen, und dann packst du erst mal aus. Ich will mitfuttern. Ich habe einen Kohldampf, der geht auf keine Kuhhaut mehr.“

      Castoro begriff in diesem Augenblick zweierlei: Er hatte keine andere Wahl, als auf Silvas Vorschlag einzugehen. Und er war diesem Kerl ausgeliefert. Der Einäugige konnte ihn erpressen, wie er wollte, er hatte ihn in der Hand. Zeigte er Castoro beim Capitán an, dann würde dieser eine Untersuchung einleiten, die zu dem Ergebnis führte, daß in der Vorratskammer tatsächlich einiges an Proviant und Wein fehlte. Die Beweise ließen sich mit Leichtigkeit führen. Er, Castoro, war völlig hilflos und von Silvas Gnade abhängig.

      Sie nahmen auf den Kabelrollen Platz. Castoro mußte mit seinem Diebesgut herausrücken. Silva entkorkte sofort die Flasche Wein, schnalzte leise mit der Zunge und führte die Öffnung an den Mund. Es gluckerte vernehmlich. Er schien großen Durst zu haben und setzte die Flasche erst nach einer Weile wieder ab. Es war im Dunkeln nicht zu sehen – doch Castoro schätzte richtig, daß der Kerl die Flasche bereits halb geleert hatte.

      Nur ein Stückchen Wurst erhielt Simeon Castoro von dem gestohlenen Proviant, den Rest vertilgte Silva mit wahrer Freßgier. Castoro verspürte immer noch größten Hunger. Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen. Aber er war machtlos gegen Silva. Der Kerl war mit dem Messer blitzschnell zur Hand, er würde ihn aufschlitzen, ehe er ihm auch nur einen Hieb verpassen konnte.

      Daß Silva selbst vorgehabt hatte, in die Proviantkammer einzubrechen, verschwieg er tunlichst. Castoro brauchte es nicht zu wissen. Wahrscheinlich würden auch noch andere Decksmänner versuchen, etwas für sich auf die Seite zu schaffen. Ihre Sache, dachte Silva. Er hatte den richtigen Weg gefunden. Er würde sich versorgen lassen, ohne dabei selbst das geringste Risiko einzugehen.

      Silva wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Er rülpste unterdrückt, grinste und raunte seinem Verbündeten wider Willen zu: „Hör zu. Ich habe ein gutes Herz, ich verpfeife keinen Kumpel. Die Sache bleibt unter uns.“

      „Da bin ich aber froh“, sagte Castoro. Doch der sprichwörtliche Stein wollte ihm nicht vom Harzen fallen, denn er ahnte bereits,


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