Seewölfe - Piraten der Weltmeere 109. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 109 - Roy Palmer


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verhaltenes Grunzen klang.

      Muddy dachte, seine letzte Stunde habe geschlagen. Der Wikinger war ein Klotz von einem Kerl, ein Berg aus Muskeln mit Fäusten, so groß wie Ankerklüsen. Es gab keinen Mann an Bord, der keinen Respekt vor ihm hatte – und das wollte bei einem so wild durcheinandergewürfelten Haufen wüster Burschen schon etwas heißen.

      „Gut“, brummte der Riese aber nur. „Wurde wirklich mal Zeit, daß einer meinen Helm tüchtig poliert.“

      Er nahm Muddy das topfähnliche Gebilde ab und setzte es sich auf. Sein Blick war so durchdringend, daß Muddy glaubte, er müsse zusammenschrumpfen und wie eine Maus in irgendeinem Spundloch des großen Schiffes verschwinden.

      Njal hob die rechte Hand und ließ sie auf Muddys Schulter niedersausen. Der Seemann hielt dem Hieb stand, ächzte aber und verzog das Gesicht.

      Thorfin Njal sprach nicht sonderlich laut. „Du hast bewiesen, daß du auch Ordnung halten und alles funkelnagelneu kriegen kannst. Du brauchst nur zu wollen. Also, Muddy: du hast vier Glasen Zeit, danach kreuze ich wieder auf und sehe mir an, was aus dem Saustall hier geworden ist. Dann muß man von den Planken wie von einem Teller essen können, klar?“

      „Aye, aye, Sir.“

      Der Wikinger sah zu Rod Bennet. „Und daß mir keine Klagen kommen. Wenn ich noch mal Lärm in der Kombüse höre, dann raucht es, aber anständig.“

      Cookie leckte sich über die spröde gewordenen Lippen und stammelte: „Aye, Sir.“

      Der Wikinger marschierte wieder zum Niedergang und verließ die Kombüse. Ein Lächeln nistete in seinen Mundwinkeln, als er den beiden Männern den Rücken zuwandte. Er wußte, daß das, was er ihnen eben gesagt hatte, mehr Wirkung erzeugte als jedes Aufbrausen.

      Das Lächeln verschwand aus Thorfin Njals Gesicht, sobald er wieder am Oberdeck trat. Er überquerte die Kuhl von „Eiliger Drache über den Wassern“ und steuerte auf das Achterdeck zu.

      Oben stand Siri-Tong, die Rote Korsarin. Sie hatte beide Hände auf die vordere Querbalustrade gelegt und spähte angestrengt voraus.

      Sie war außer sich vor Wut. Hätte sie Cookie und Muddy beim Streiten ertappt, wäre die Sache für die beiden bei weitem nicht so glimpflich abgelaufen.

      Gereizt, wie sie war, hätte sie Muddy ein paar Hiebe mit der Neunschwänzigen überziehen lassen. Und Cookie vielleicht auch.

      2.

      Thorfin Njal stieg auf das Achterdeck und gesellte sich zu Siri-Tong. Er war der einzige, den sie in ihrem aufgewühlten Zustand in ihrer Nähe duldete. Außer ihm wagte es keiner, sie auch nur anzusprechen. Die Männer gingen ihr aus dem Weg.

      Der Wikinger atmete tief durch. Wer hätte auch damit gerechnet, daß ausgerechnet eine Bande chinesischer Piraten ihnen zu einer schmählichen Niederlage verhelfen würde – daß sie ihnen in diesem August des Jahres 1584, so nahe vor der Küste des begehrten Zieles, die Mumie des Mandarins rauben und entführen würden?

      Siri-Tong ging der Verlust der Mumie näher als alles andere. Die Überlegenheit des Feindes, der Tod eines ihrer Männer, die Verletzungen, die die anderen erlitten hatten, die Schäden am Schiff – das alles hätte sie sehr schnell verkraftet. Aber die Mumie war mehr als alle Schätze dieser Erde wert, jedenfalls für die Korsarin. Sie war von höchster symbolischer Bedeutung, und ihr Verschwinden schien gleichsam ein böses Omen zu sein.

      „Siri-Tong“, sagte der Wikinger. „Ich bin sicher, daß wir diese gemeinen Hunde stellen werden, und dann drehen wir ihnen die Hälse um.“

      Sie antwortete, blickte aber unausgesetzt weiter voraus. „Das hast du mir jetzt schon mindestens zehnmal gesagt.“

      „Ich bin wirklich überzeugt davon.“

      Plötzlich wandte sie ihm das Gesicht zu. So rasch, daß ihre schwarzen, schulterlangen Haare wirbelten. „Ich auch, Thorfin, glaube es mir. Die Schlappe, die mir dieser Teufel von einem Piratenkapitän zugefügt hat, ist nur mit Blut abzuwaschen.“

      „Wie hieß dieser Bastard doch gleich?“

      „Khai Wang.“

      „Lackierte schwarze Haare, ein langer Bart über der Oberlippe und dann diese Tätowierungen, die der Hundesohn trägt – ich würde ihn unter Tausenden wiedererkennen“, versicherte Thorfin Njal. „Und dann schreie ich ihm in sein gelbes Gesicht, was für einen wüsten Fehler er begangen hat, uns zu überfallen.“

      Sie rang sich ein flüchtiges Lächeln ab. „Hör auf, er würde dich ja doch nicht verstehen. Nur eins ist für mich wichtig, Thorfin. Diese Kerle kannten sich auf dem schwarzen Schiff aus. Jemand muß ihnen gesagt haben, wo sich das Geheimversteck der Mumie befindet.“

      „Die Männer des Drachenschiffes.“

      „Ja, ich bin mehr denn je davon überzeugt, daß Li-Cheng und Hung-Wan diese ungeheuerliche Gemeinheit zusammen mit den Piraten ausgeheckt haben“, erwiderte sie. „Eine der Dschunken, die uns am Felsen in der Teufelssee auflauerten, war das Drachenschiff.“

      Der Boston-Mann hatte ihnen aus einiger Entfernung zugehört, jetzt trat auch er näher. Durch Thorfin Njals Beispiel ermutigt, erlaubte er sich eine Zwischenbemerkung.

      „Das Drachenschiff, immer wieder das Drachenschiff. Wir müssen es vernichten. Wir hätten es schon damals, in der Amazonasmündung, tun sollen.“

      „Das steht auf einem anderen Blatt, Boston-Mann“, sagte die Korsarin. Sie drehte sich ganz herum und lehnte sich gegen die Schmuckbalustrade. Der Blick, mit dem sie den hageren, dunkelhaarigen Engländer maß, war stechend. „Gehen wir ruhig von der Tatsache aus, daß die Mumienräuber allesamt vom Drachenschiff stammen. Wichtig ist für uns folgendes: sie segeln gewiß nicht in westlicher Richtung. Ihr Ziel ist Peking.“

      „Peking, die ‚verbotene Stadt‘“, murmelte der Wikinger. „Die liegt doch viel weiter nördlich, wenn ich mich nicht täusche.“

      „Richtig.“ Siri-Tong wandte sich wieder um, hob den Kopf und blickte zu den Segeln des Viermasters auf. Das Rigg stand hervorragend. „Eiliger Drache“ lief mit Westkurs unter vollen Segeln in Richtung Küste. Nur eine flache Dünung kräuselte die See, die Wetterbedingungen waren vorläufig noch gut, wenn sie sich auch schnell ändern konnten. Die Unberechenbarkeit der Natur war allgegenwärtig.

      Der Wind blies aus Südosten und schob das schwarze Schiff vor sich her, daß es wirklich wie ein dahineilender Drache wirkte.

      „Vorläufig segeln wir nicht nach Schanghai, wo ich meine Mutter besuchen wollte“, sagte sie. „Wir ändern unseren Kurs. Wir müssen nach Peking, wo Wan Li, der Kaiser und Große Chan, regiert. Wir müssen die Piraten eingeholt haben, bevor sie die Mumie in die ‚verbotene Stadt‘ transportiert haben.“

      „Dann müssen wir Hasard und seiner Crew signalisieren“, erwiderte Njal. Er wies auf die „Isabella VIII.“, die weit hinter dem schwarzen Schiff im Osten segelte.

      Siri-Tong winkte ab. „Der Seewolf weiß auch so Bescheid, wenn er sieht, daß wir den Kurs ändern.“ Sie hob die Stimme. „Wir halsen, gehen auf Backbordbug und segeln nach Norden!“

      Bill the Deadhead, der gerade den Platz des Rudergängers innehatte, drückte den Kolderstock hart herum. Unter Thorfin Njals Befehlen geriet die Decksmannschaft in Bewegung und eilte an die Schoten und Brassen. Zügig wurde das Manöver durchgeführt, „Eiliger Drache“ zog mit dem Heck durch den Wind.

      Siri-Tong umklammerte die Handleiste der Schmuckbalustrade. In Gedanken malte sie sich bereits aus, was sie mit dem Hundesohn von einem Piratenführer alles anstellen würde, sobald sie ihn hatte.

      „Deck, ho!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Das schwarze Schiff läuft hart nach Norden ab!“

      Die „Isabella“ rauschte mit raumem Wind auf Steuerbordbug liegend dahin, und Philip Hasard Killigrew konnte wegen der Segelstellung das schwarze Schiff vom Achterdeck


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