Seewölfe - Piraten der Weltmeere 211. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 211 - Roy Palmer


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spanischer oder portugiesischer Seefahrer hatte es nie erlebt. Die Besatzungsunternehmen der größten europäischen Macht waren spurlos an diesem nur spärlich besiedelten Gebiet vorbeigegangen. Deshalb kannte man die Wunderwaffen der Fremden auch nur vom Hörensagen.

      Über die verschiedenen Größen und Kaliber der „Feuerrohre“ wußten die indischen Fischer nichts, ihnen waren weder die Bezeichnungen „Muskete“, „Arkebuse“ und „Tromblon“ noch „Culverine“, „Demi-Culverine“ oder „Drehbasse“ geläufig. Daß man mit einem einzigen Kanonenschuß das Boot von Narayan und Chakra hätte versenken können, ahnten Vater und Sohn in diesem Moment nicht.

      Raghubir, der Anführer der Piraten, war nach der Meldung seines Ausgucks auf die Kuhl seines Schiffes hinuntergestiegen, um das Fischerboot vom Schanzkleid der Steuerbordseite aus zu betrachten. Er verzog seinen Mund zu einem boshaften Grinsen, aber er legte dem Kanonier, der soeben die Lunte einer Demi-Culverine in die Holzkohlenglut halten wollte, um sie zu entfachen, die Hand auf die Schulter.

      „Nicht doch“, sagte er mit seiner tiefen, heiseren Stimme. „Ein Schuß nur, und das Gesindel in der Siedlung, deren Feuer wir entdeckt haben, würde seine sämtlichen Habseligkeiten zusammenraffen und im Busch verschwinden. Und das wollen wir doch nicht, oder?“

      „Nein, Herr“, erwiderte der Mann und ließ die Zündschnur wieder sinken.

      „Wir würden sie im Dschungel nicht finden“, sagte Raghubir. „Folglich wäre all unsere Mühe umsonst.“

      „Aber die Kerle im Boot segeln bestimmt direkt auf das Dorf zu, um die Leute zu warnen“, gab Baudh, der Bengale, zu bedenken. Er stand schräg links hinter seinem Anführer, nicht weit vom Großmast entfernt.

      Raghubir warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Daran werden wir sie eben hindern. Baudh, du Lump, laß höher an den Wind gehen! Wir drängen sie nach Norden hin ab, verstanden?“

      „Ja“, erwiderte Baudh, der als bester Vertrauter und als rechte Hand von Raghubir galt. Rasch drehte er sich um und gab die Order in gedämpftem Tonfall an die bunt und wild gekleideten, abenteuerlich und furchterregend zugleich wirkenden Gestalten weiter.

      Raghubir verschränkte die Arme vor der Brust und hielt wieder nach Steuerbord Ausschau, um die Reaktion der Männer in dem Boot auf sein Manöver verfolgen zu können. Er war ein Riese von Mann – geboren in Madras und aufgewachsen in Elend und Schmutz, ein Paria, ein Ausgestoßener, ein Klassenloser, in dem der Haß sich schon im frühen Kindesalter entwickelt hatte – ein Riese mit schulterlangem dunklem Haar und schwarzen Augen in einem großflächigen Gesicht, der ohne jedes Erbarmen tötete, wenn er dadurch nur in den Besitz von ein paar Rupien, Perlen, Seiden- oder Brokatgewändern gelangte.

      Der Angriff auf das Fischerdorf Kadiri mußte völlig überraschend erfolgen, nichts durfte die Bande in ihrem Vorhaben stören.

      Wir werden dieses verdammte Boot rammen und versenken, dachte Raghubir.

      2.

      „Es wird gewittern und stürmen, und Sturzbäche von Regen werden sich auf die Decks der ‚Isabella‘ ergießen“, prophezeite Old Donegal Daniel O’Flynn mit düsterer Miene. „Entsetzlich viel Wasser, mehr, als wir verkraften können. Das ist die drohende Sintflut, sage ich, die Sintflut.“

      „Donegal“, sagte Ben Brighton, der Bootsmann und erste Offizier der „Isabella VIII.“ „Wen willst du mit deinem Gerede eigentlich beeindrucken? Uns? Beim Donner, man braucht kein Hellseher zu sein, um sich die Entwicklung des Wetters ausmalen zu können.“ Er wies mit der Hand nach Nordosten, in die Richtung, aus der der Wind blies. Dort erhellte jetzt ein erstes Wetterleuchten den Nachthimmel, und für einen Augenblick war ein Teil der aufgetürmten Wolkenmassen zu erkennen.

      Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, lachte. „Außerdem ist dies die Zeit des Sommermonsuns, der Indien den ‚großen Regen‘ bringt, und da müssen wir also ständig mit einem rauschenden Wolkenbruch rechnen.“

      „Nicht nur mit einem“, murmelte der Alte und gab sich Mühe, seine Miene so unheilverkündend wie möglich aussehen zu lassen. „Es wird tagelang gießen. Und wir ersaufen wie die Ratten.“

      „Lieber Wasser als Krankheiten“, sagte nun Big Old Shane mit unerschütterlicher Logik. „Außerdem tut so manchem Kerl an Bord unserer alten Lady ein ausgiebiges Bad gut. Sir, wenn ich mal etwas vorschlagen darf, dann empfehle ich, die ganze Crew bei den ersten Regentropfen vollzählig auf der Kuhl zu versammeln und jedem ein Stück Seife in die Hand zu drücken. Damit sollten sie so lange an sich herumschrubben, bis der ganze Dreck ’runter ist.“

      Die Männer lachten. Sogar Old O’Flynn konnte sich ein amüsiertes Kichern nicht verkneifen.

      Sie standen auf dem Achterdeck der „Isabella“, die mit Kurs Südwesten vor dem Wind segelte und – aus Richtung Kalkuttas und des Ganges-Deltas kommend – auf Madras zusteuerte.

      Madras war für den Seewolf die Orientierungsmarke auf dem neuen Kurs. Von dort aus wollte er durch die Palk-Straße und den Golf von Manaar zu den Malediven hinübersegeln, indem er die Insel Ceylon also an ihrem westlichen Ufer passierte. Die weitere Route führte die „Isabella“ und ihre Besatzung dann ganz um die südliche Spitze Afrikas herum am Kap der Guten Hoffnung vorbei und schließlich in den Atlantik, der schon als „heimatliches Gefilde“ galt.

      „Shane“, sagte der alte O’Flynn. „Ich an deiner Stelle würde an der Großreinigung teilnehmen, um mir die Läuse aus dem Bart und die Flöhe vom Fell zu schaffen.“

      „Ja“, sagte der graubärtige Riese gedehnt. „Eine gute Idee, mein Freund. Aber ich hoffe, du wirst dann neben mir stehen, denn du darfst nicht vergessen, daß nicht nur in deinem Holzbein die Termiten und die Bohrwürmer nisten, sondern daß du auch Kakerlaken und Wanzen beherbergst.“

      „Wo denn?“ wollte Ben wissen, der ein neues Lachen kaum noch unterdrükken konnte.

      „Wo? Nun, das ist doch sonnenklar“, entgegnete Shane. „Die anfälligste Stelle eines alten Kahnes ist sein Achtersteven, wenn ich das mal so ausdrücken darf.“

      „Paß mal auf, was du gleich alles ausdrückst, du stinkendes altes Walroß!“ rief Old O’Flynn und hob in unmißverständlicher Geste seine Krükke. Er wollte schon auf den ehemaligen Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle zurücken, da ertönte hoch über ihren Köpfen die Stimme von Gary Andrews.

      „Deck!“ schrie Gary. „Lichter Steuerbord voraus! Nur mit dem Kieker zu erkennen! Es sind zwei, und ich wette meine Pistole gegen einen alten Hut, daß es sich um niedrigbrennende Lagerfeuer handelt!“

      „Danke, Gary!“ rief der Seewolf zurück. Er spähte zu Gary hinauf und konnte schwach dessen Gestalt hinter der Segeltuchumrandung des Großmarses erkennen.

      Gary hatte Bill, den Moses, laut Dienstplan für die Dauer der ersten Nachtwache als Ausguck abgelöst, und er versah seine Aufgabe mit der üblichen Sorgfalt.

      Hasard sah zu Ben, Shane und Old O’Flynn und sagte: „Gut, wir sind jetzt also nicht mehr weit von der Küste entfernt. Wir gehen auf rund zehn Meilen Distanz an sie heran und folgen ihrem Verlauf nach Süden. Sollte es einen schweren Sturm geben, suchen wir uns eine Bucht, in der wir Schutz finden.“

      „Wie ist denn unsere derzeitige Position?“ erkundigte sich der alte O’Flynn.

      „Wir befinden uns nach meinen Berechnungen ungefähr auf halber Strecke zwischen Kakinada und Madras, also bereits südlich von Bandar an der Koromandelküste.“

      „Ob das wohl ein schöner Küstenstrich ist?“ fragte Dan O’Flynn, der eben gerade zu ihnen getreten war. „Das Wort Koromandel hört sich so romantisch an.“

      „Hört euch diesen verträumten Spinner an!“ rief sein Vater aufgebracht. „Romantisch – daß ich nicht lache! Was ist denn hier schon romantisch? Hast du Hering nach unseren letzten Erlebnissen von Indien immer noch nicht die Nase voll?“

      Dan


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