Seewölfe - Piraten der Weltmeere 78. Fred McMason
Читать онлайн книгу.Blick, der ihn aus den rauchgrauen Augen des Capitans traf.
„Wir segeln nach Sonnenaufgang. Die dringendsten Fälle werden noch vorher erledigt, ich übernehme das. Bitte ein vollständiges Protokoll aller Anklagen und Angeklagten bis morgen früh, eine Stunde vor Sonnenaufgang.“
Er wandte sich seinem ersten Offizier zu.
„Senor Mateo, veranlassen Sie, daß alle meine Befehle genau befolgt werden, Sie sind mir dafür persönlich verantwortlich. Und jetzt Schluß mit dem Palaver. Folgen Sie mir, Don Fuega, ich habe nicht die Absicht, meine Zeit hier zu verplempern!“
Der Capitan stampfte los. Don Fuega folgte ihm, und ein paarmal erwog er, ob er nicht einfach irgendwo in die Dunkelheit fliehen sollte. Er hegte die allerschlimmsten Befürchtungen, denn wenn der Capitan tatsächlich den Gerichtstag am nächsten Morgen persönlich abhielt, dann würde er einiges zu hören kriegen, was ihm, Don Fuega, bestimmt nicht gut bekam. Und was, um Himmels willen, sollten die Folterknechte, die dieser Capitan sofort sehen wollte? Galt diese Maßnahme schon seinem eigenen Verhör?
Er sah sich gehetzt um, aber an Flucht war nicht mehr zu denken. Ein Trupp von Seesoldaten hatte ihn längst in die Mitte genommen. Er und die beiden Offiziere wurden sorgfältig eskortiert. Nein, das Verhängnis nahm seinen Lauf, und er, Don Fuega, konnte nichts dagegen tun.
2.
Sie waren keine Wilden mehr. Jedenfalls äußerlich nicht, Außerdem hatten die Spanier sie bei Androhung der Folter gezwungen, sich taufen zu lassen. Erreicht hatten sie damit allerdings nur das Gegenteil, und Pater Joseph wußte das genau. Die erzwungene Taufe hatte nur bewirkt, daß sie im Verborgenen ihrem alten Kult um so mehr huldigten, auch wenn keiner der Spanier so recht wußte, wer die Triebfeder zu diesem Tun war. Es gab dunkle Gerüchte. Pater Joseph hatte von jenem alten Indianerpriester gehört, auf dessen Ergreifung eine hohe Belohnung von Don Fuega ausgesetzt worden war. Aber niemand wußte, ob es ihn wirklich gab und wo er sich versteckt hielt.
Der Alkalde hatte schon versucht, einigen Indios durch die Folter die Zunge zu lösen, aber auch das war mißglückt, denn die Indios waren tot, noch bevor der Folterknecht sein Ziel erreicht hatte. Gift, hieß es. Ein geheimnisvolles Gift, das die Eingeweihten stets bei sich führten.
Anuk, wie sein indianischer Name lautete, gab den Seinen ein Zeichen. Pedro hatten ihn die Spanier getauft, aber dafür hatte er nur ein verächtliches Lächeln übrig.
Von allen Seiten schoben sich die dunklen Körper hinter den Felsen hervor, kaum zu unterscheiden von dem Untergrund, auf dem sie sich bewegten.
Vor Anuk und seinen Gefährten ragte der alte Pulverturm in den Nachthimmel. Er war von den ersten Spaniern gebaut worden, die mit ihren Schiffen in die einst so stille und damals auch friedliche Bucht eingedrungen waren. Aber seit man das Fort an der Einfahrt errichtet hatte, diente der Pulverturm nur noch als Kerker. Er galt als absolut ausbruchssicher, und das war er auch. Wer sich einmal in seinen engen, vermoderten Zellen befand, der konnte mit seinem Leben abschließen, so oder so.
Der Turm wurde scharf bewacht. Jedenfalls immer dann, wenn sich Gefangene in seinen Zellen befanden. Anuk konnte sich nicht daran erinnern, daß das irgendwann einmal nicht der Fall gewesen wäre.
An diesem Abend beherbergte der Turm einen Weißen namens José, der es gewagt hatte, ein Indio-Mädchen vor den Zudringlichkeiten einiger Soldaten zu schützen. Daß dieses Mädchen die Tochter des alten Priesters war, wußte außer Anuk und seinen Gefährten niemand, denn das wäre für Anara tödlich gewesen. Außer José befanden sich im Turm noch ein paar Indios, die gestohlen haben sollten. Sie würde man am nächsten Morgen erst foltern und dann hängen. Ein weiterer Gefangener war ein Portugiese, der sich geweigert hatte, an einer Strafexpedition gegen ein Dorf der Indios teilzunehmen, weil sein christlicher Glaube ihm ein derartiges Handeln verbot. Auch er würde sterben müssen, um so mehr, als der Alkalde seine nicht unbeträchtliche Habe bereits konfisziert hatte, nachdem er ihn des Verrats an der spanischen Krone angeklagt hatte.
Anuk warf einen schnellen Blick zum Hafen hinunter. Dort herrschte in diesem Moment lebhaftes Treiben. Leider verhinderte es den zweiten Teil ihres Planes, nämlich die dort ankernden Schatzgaleonen in Brand zu stekken. Das war unter diesen Umständen zu riskant und ohne jede Aussicht auf Erfolg. Denn die Wachen der drei in die Bucht eingelaufendenen Kriegsschiffe würden es sofort bemerken.
Abermals gab Anuk seinen Gefährten ein Zeichen, und die Indios krochen weiter. Die Ankunft der Kriegsschiffe war für sie von Nutzen, denn auch die beiden Wachen am Turm wurden durch den Trubel im Hafen abgelenkt. Sie hatten sogar ihre Musketen an die dicke Mauer gelehnt, die den Turm wie ein Festungswall umgab. Sie starrten zum Hafen und diskutierten lautstark über die Ankunft der drei Schiffe.
Anuk bedeutete seinen Gefährten, sich ruhig zu verhalten. Danach verständigte er die beiden Indios, die unmittelbar neben ihm kauerten.
„Sie müssen sterben, ohne daß sie einen Laut von sich geben können. Einer von ihnen hat den Schlüssel für den Turm. Die Schlüssel für die Eisen und Ketten, mit denen die Gefangenen an die Kerkerwände angeschlossen sind, befinden sich bei dem dritten, der sich im Innern des Turms aufhält. Wir müssen schnell sein, es darf ihm nicht gelingen, jene kleine Kanone abzufeuern, mit der er Hilfe herbeiholen kann!“
Anuk hatte nur geflüstert. Die beiden anderen nickten ihm zu. Ein letzter Blick, und die drei Indios sprangen auf. In langen Sätzen stürmten sie zum Turm hinüber, die Messer bereits in ihren Händen.
Sie erreichten die beiden Soldaten, noch bevor die überhaupt etwas davon bemerkten, was in ihrem Rükken vorging. Sie starben unter den Klingen der drei Indios, ohne auch nur einen einzigen Laut auszustoßen.
Anuk richtete sich hoch auf, nachdem er den einen der Soldaten hatte zu Boden gleiten lassen.
Die anderen Indios huschten heran, ebenfalls auf nackten Sohlen, völlig unhörbar.
„Den Schlüssel, rasch!“ drängte Anuk, und einer seiner Gefährten reichte das klobige Ding.
„Sobald ich die Tür geöffnet habe, dringt ihr mit mir ein. Der Wächter im Turm bleibt am Leben, er soll die Gefangenen losschließen, anschließend sperren wir ihn ein.“
Einer der Indios trat auf Anuk zu.
„Nein“, erwiderte er. „Der Wächter stirbt. Ich habe gehört, was er mit den Gefangenen treibt und wie er sie quält. Außerdem erkennt er uns vielleicht später, dann sind wir alle des Todes. Nein, wir können ihn nicht am Leben lassen, mit den Fesseln kenne ich mich aus, und den Turm kenne ich auch genau, ich war dabei, als man ihn zum Kerker umbaute.“
Einen Moment herrschte Schweigen, aber dann stimmte Anuk durch kurzes Kopfnicken zu.
Behutsam führte er den Schlüssel in das schwere Eisenschloß. Er bemühte sich dabei, jedes Geräusch zu vermeiden. Noch einmal stoppte ihn der Indio, ein schon etwas älterer Krieger.
„Hör zu, Anuk, es kann sein, daß im Turm Pulver aufbewahrt wird. Vor zwei Monden liefen eine Reihe von Schiffen ein, alle brachten sie Pulver und Musketen. Soweit ich weiß, konnte man nicht alles im Fort lagern, dazu ist es zu beengt, denn man hat die schweren Geschütze in Kavernen untergebracht, die man sich erst mühsam in die Felsen sprengen mußte. Aber dafür kann jetzt auch kein Schiff passieren, ohne daß es zusammengeschossen wird.“
Anuk hielt inne.
„Warum sagst du das erst jetzt?“ fragte er, und in seiner Stimme schwang Unwillen.
„Ich habe es erst vorhin von Aina erfahren, sie mußte für die weißen Teufel die Schiffe entladen und alles in den Turm schaffen. Ich weiß nur nicht, ob die Soldaten es von dort weggebracht haben. Aber wir sollten den Turm genau untersuchen.“
Anuk nickte abermals, dann drehte er den Schlüssel herum. Das Schloß quietschte infernalisch, aber der Wächter, der das hörte, kümmerte sich nicht darum. Er glaubte, daß es einer seiner Kameraden war, der in den Turm wollte.
Er sah die dunklen Schatten erst, als es zu spät