Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 132 - Roy Palmer


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und praktisch vorauszusehen. Erinnerst du dich nicht mehr an den Amazonas, Ben?“

      „Und ob.“

      „Na also. In der Äquatorzone herrscht gerade um diese Jahreszeit eine unerträgliche Hitze — auch weiter im Westen.“

      „Und der Kutscher hat nicht übertrieben?“

      Hasard schüttelte den Kopf. „Ich habe die Vorräte selbst kontrolliert, um hundertprozentig sicherzugehen. Wir können es dem Kutscher nicht anlasten, daß Proviant und Wasser verdorben sind.“

      „Das hatte ich auch gar nicht vor, Sir!“

      „Andererseits war seine Warnung, wir würden vor dem Erreichen des afrikanischen Festlandes entweder verdursten oder verhungern, auch keine bloße Unkerei“, sagte der Seewolf ernst. „Es braucht nur eine Widrigkeit einzutreten, ein Sturm oder eine unliebsame Begegnung mit den Dons zum Beispiel, und wir sind verraten und verkauft.“

      Ben blickte nach vorn. Al Conroy hatte sich auf der Galionsplattform niedergelassen. Er arbeitete mit dem Lot und sang fortwährend die Wassertiefe in der Bucht aus. Carberry gab seine barschen Kommandos. Es wurde immer mehr Segelfläche weggenommen, bis die „Isabella“ in einem Abstand von weniger als einer Kabellänge vor dem Ufer im Wind lag und der Bug- und der Heckanker fünf Faden tief ausrauschten, bevor sie auf Grund trafen.

      „Aber ausgerechnet die Insel“, sagte Ben Brighton. „Ich kann das Mangrovendickicht mit bloßem Auge erkennen, es wuchert ja weit genug ins Wasser. Das eigentliche Land hingegen kann man nicht sehen. Mann, es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir in diesen Urwald einen Pfad getrieben haben. Und …“

      „Wir haben gerade keine andere Insel greifbar, Mister Brighton“, unterbrach ihn Hasard jetzt ziemlich rauh. „Da müssen wir also in den sauren Apfel beißen, ausgerechnet hier nach einer Trinkwasserquelle Ausschau zu halten und so viel Wild zu jagen, daß uns eine problemlose Überfahrt bis zur westafrikanischen Küste gesichert ist. Ben, mir stinkt das genauso wie dir und den anderen, aber wir haben keine andere Wahl.“

      „Natürlich nicht. Ich will mich ja auch nicht bei dir beschweren.“

      „Sondern?“

      „Mir bloß ein wenig Luft verschaffen.“

      „Dann geh gefälligst auf die Galionsplattform und blase dort deinen Unmut ab“, entgegnete Hasard, wobei er auf das stille Örtchen der Seeleute anspielte.

      Ben schluckte die Bemerkung, ohne mit der Wimper zu zucken. Wieder wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Soll ich dir verraten, nach was mir zumute ist?“

      „Wetten, daß ich es weiß? Klirrender Frost und eisiger Wind, wie er im Dezember durch Cornwall fegt – und Schnee, so hoch, daß man bis zu den Schultern darin eintauchen kann.“

      „Donnerwetter“, sagte der wackere Ben mit echtem Erstaunen. „Kannst du neuerdings Gedanken lesen?“

      Hasard grinste schief. „Mann, dazu gehört doch nun wirklich kein Scharfsinn.“

      Sie gingen zur Back, stiegen den Niedergang hinauf und trafen sich mit Smoky, Al Conroy, Ferris Tukker, Shane, den beiden O’Flynns und den anderen, die von hier aus zu dem überwucherten Ufer hinüberblickten.

      „Verdammt“, murmelte der alte O’Flynn. „Wenn ich da an Kalimantan denke …“

      „Du sollst aber nicht an Kalimantan denken“, erwiderte Hasard sehr ruhig und in fast gedämpftem Tonfall. „Wir grübeln am besten über gar nichts nach und fieren ein Boot ab, mit dem wir uns auf die erste Inspektionsreise begeben. Wird schon in’s Auge gehen, die Sache, was, Donegal? Also, wer von euch Helden hat die Hosen noch nicht so voll, daß er sich freiwillig melden kann? Oder wollt ihr, daß ich allein lospulle?“

      Das saß. Außer Arwenack, dem Schimpansen, und Sir, John, dem karmesinroten Aracanga, rissen alle die Arme hoch.

      Carberry blickte sich zu dem Kutscher um, der erst vor kurzem die Kombüsenfeuer gelöscht und sich zu den Männern auf Oberdeck gesellt hatte. Im Narbengesicht des Profos’ arbeitete es, er hatte was vor, und das wirkte ungefähr so, als wolle er den bedauernswerten Kutscher mitsamt dessen Mütze und dessen ausgefransten Segeltuchhosen verschlingen.

      „Nun mal ’raus mit der Sprache, du Knochenflicker und Leichengeier“, sagte Carberry. „Was erwartet uns noch alles auf dieser Scheißinsel – außer wilden Tieren, menschenfressenden Pflanzen, Schlinglianen, Fallen, Kannibalen und Kopfjägern?“

      „Da habe ich nicht die geringste Ahnung.“

      „Du weißt doch sonst immer alles, du Kombüsenfurz. Beispielsweise, wie dieses Stück Dschungel mitten im Atlantik heißt.“

      „Sao Tomé“, erklärte der Kutscher. „So wurde die Insel von ihren Entdekkern, den Portugiesen, getauft. An der Ostseite befindet sich in der Tat ein Hafen mit demselben Namen. Dort soll auch eine Festung der Spanier sein.“

      „Aber die laufen wir nicht an, weil es dort zu heiß für uns werden könnte“, sagte der Profos. „Wir wissen nicht, wie stark die Dons dort sind, wie viele Schiffe sie im Hafen liegen haben, wie viele Kanonen das Kastell hat. Das leuchtet mir ein. Aber hier – was passiert uns hier?“

      „Ich frage mich, ob es für uns überhaupt noch heißer werden kann“, warf Matt Davies ein. „Ich komme mir vor wie einer, der im türkischen Dampfbad sitzt und nicht mehr ’raus kann.“

      „Lieber ein Pfund abschwitzen, als von den Dons nach Strich und Faden zusammengeschossen zu werden“, sagte Bob Grey.

      „Davies und Grey“, fuhr der Profos sie an. „Wer hat euch nach eurer unmaßgeblichen Meinung gefragt?“

      „Keiner“, murrte Matt Davies. „Aber du weckst mit deinem Gebrüll noch den ganzen Dschungel auf, trommelst die nackten Wilden zusammen, machst die Raubtiere mobil und lockst uns ein Heer von Dons auf den Pelz, Profos.“

      Wider Erwarten ging Ed Carberry nicht in die Luft. Er legte dem Kutscher nur seine rechte Pranke auf die Schulter und lächelte so freundlich wie ein hungriger Hai. „Aber, aber, wer wird denn gleich den Teufel an die Wand malen, Leute! Es brauchen ja nicht überall dort, wo ein paar lächerliche Mangroven wachsen, auch gleich mordende Heckenschützen und gierige Bestien zu lauern. Es könnte zur Abwechslung ja auch mal friedlich zugehen. Was meinst du, Kutscher? O, ich glaube einfach nicht, daß sie uns mit Giftpfeilen spicken und uns die Köpfe abhacken, daß wir in Fallgruben versinken oder von Ungeheuern gefressen werden.“

      „Um festzustellen, was auf uns wartet, müssen wir die Insel erst einmal erkunden“, entgegnete der Kutscher. Er grinste plötzlich verwegen. „Sir, ich melde mich nicht nur freiwillig – ich bitte auch darum, mitgenommen zu werden. Ich als Koch und Feldscher der ‚Isabella‘ will nur das Beste für die Crew und habe es satt, dauernd mißverstanden zu werden. Ich halte gern für jeden meinen Kopf hin, wenn es darauf ankommt, Sir.“

      „Ich finde, es hat keiner einen Grund, sich über dich zu beklagen“, antwortete der Seewolf. „Aber deswegen lehne ich dein Anerbieten nicht ab. Es ist mir sogar recht, daß du mich begleitest.“

      Carberry musterte den Kutscher verblüfft von der Seite. „Hoppla, jetzt fühlt sich unser Kombüsenhengst und Quacksalber doch wohl nicht aufs Hemd getreten? He, Kutscher, sag bloß, du bist richtig sauer …“

      „Unsinn, Ed.“

      „Ach, und ich dachte schon …“

      „Ed“, sagte der Kutscher mit sparsamem Grinsen. „Wir haben nun so ziemlich alles herbeizitiert, was an Gefahren auf uns lauern kann. Nur die Krankheiten haben wir vergessen – dabei brüten gerade um diese Zeit die schlimmsten Erreger im Regenwald und warten nur darauf, sich auf uns zu stürzen. Wir können uns das Sumpffieber wegholen, die Schlafkrankheit, das Gelbfieber, die Amöbenruhr, Frambösie, Mykosen oder die gefürchtete Lepra. Es gibt Hakenwürmer und Guineawürmer, von Giftschlangen und anderen lieben Tierchen ganz zu schweigen.“

      „Und die Piranhas? Die hast du vergessen.“


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