Seewölfe - Piraten der Weltmeere 162. Burt Frederick
Читать онлайн книгу.Schmied von Arwenack, ein Meister im Bogenschießen und so kraftvoll, daß er einem Gegner mit bloßen Händen die Rippen zu brechen vermochte. Stenmark, der große blonde Schwede, war so reaktionschnell und verwegen wie die anderen Männer der Crew. Und Luke Morgan, der kleine, pfiffig aussehende Engländer, trug eine furchterregende Messernarbe auf der Stirn sowie die Zeichen schwerer Verbrennungen.
Einen eher gemäßigten Eindruck machten dagegen Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, und Old Daniel Donegal O’Flynn, der rauhbeinige Vater des jungen Donegal. Old O’Flynn war zur Fortbewegung auf ein Holzbein angewiesen, das sein Sohn nur in schlechter Erinnerung hatte. Denn mit eben jenem Holzbein pflegte der Alte den kleinen Donegal zu verprügeln, wenn er einen seiner unzähligen Streiche ausgebrütet hatte.
Kleine Rufe des Entzückens wurden aus den Reihen der Ladys laut, als sie Arwenack, den Schimpansen, entdeckten, der hoch oben in den Wanten turnte und durch fröhliches Keckem alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte.
Eine schrille, durchdringende Stimme mischte sich in das Keckern Arwenacks. Eine Stimme, die den vornehmen Ladys und Gentlemen durch Mark und Bein ging und sie gleichzeitig zu einem betroffenen Stirnrunzeln veranlaßte.
„Kakerlaken! Miese Kakerlaken! Euch ziehe ich die Haut in Streifen von euren Affenärschen! Affenärschen! Miese Kakerlaken …“
Moses Bill, der sich aus dem Hintergrund an die Schmuckbalustrade des Achterkastells gedrängt hatte, griff sich den Papagei „Sir John“, zog ihn von seiner Schulter und stopfte ihn hastig unter sein Hemd.
Sir Johns präzise artikulierten Zitate endeten in einem wütenden Zetern, dessen Lautstärke allerdings durch Bills Hemdenstoff gedämpft wurde.
Edwin Carberry verlor das Grinsen aus dem Gesicht und wandte sich verlegen ab. Vorsorglich, denn er wußte, daß er gleich mit einem durchbohrenden Blick Hasards zu rechnen hatte. Schließlich war der immer wiederkehrende Wortschatz des Profos die beste und zugleich schlechteste Schule für den karmesinroten Arara-Papagei.
„Keiner von uns weiß, wo er diese furchtbaren Sprüche gelernt hat“, sagte Hasard laut und deutlich. „Als wir ihn an Bord nahmen, stellte er sich stumm. Erst auf hoher See fing er mit diesen vulgären Redensarten an. Aber da brachten wir es nicht mehr fertig, ihn über Bord zu werfen.“
Edwin Carberry verzog sich außer Sichtweite.
Lord Mayor Abbot Cummings war der einzige, der mit einem verschmitzten Lächeln reagierte. Die übrigen Gentlemen und ihre Ladys verzogen pikiert die Gesichter, um einen Anflug von vornehmer Abscheu auszudrücken.
Der Lord Mayor reichte dem Seewolf und Jean Ribault die Hand.
„Gentlemen, ich bitte Sie beide, eine offizielle Einladung der Stadt Plymouth anzunehmen. Seien Sie heute abend unsere Gäste bei einem Festbankett, das Ihnen zu Ehren gegeben wird.“
Hasard und sein treuer Kampfgefährte bedankten sich höflich und nahmen die Einladung an. Es folgte das Zeremoniell der Verabschiedung. Das Empfangskomitee der Stadt Plymouth gab sich die Ehre, mit der gebotenen Gemessenheit wieder von Bord zu gehen.
2.
Es waren beinahe düstere Gedanken, die den bulligen Profos auf seinem Rückzug in Richtung Heckbalustrade bewegten. Er spürte, wie sie insgeheim über ihn kicherten. Verdammt, immer dann, wenn er ihnen nicht die Hammelbeine langziehen konnte, amüsierten sie sich über ihn. Immer dann, wenn er gezwungen war, den Mund zu halten.
Und immer war es das verfluchte Federvieh, das es richtig darauf anzulegen schien, ihn herauszufordern. Oder es waren die beiden Lausebengels, die Söhne des Seewolfs, die ihm mit ihrem scheinheiligen Geplapper schon mehr als einmal heiße Ohren verschafft hatten. Aber glücklicherweise hatte es eine Weile Ruhe vor den kleinen Strolchen gegeben. Rechtzeitig vor den Kämpfen mit den Dons hatte Hasard seine Sprößlinge in die Obhut von Doc Freemont gegeben.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte Edwin Carberry über das Hafenbecken. Die Menge, die zu seiner Linken noch immer vor Begeisterung tobte, beachtete er nicht. O ja, sobald hier an Bord wieder normale Verhältnisse herrschten, würde er ihnen allen mächtig Dampf unter dem Hintern machen. Wenn sie dann nicht spurten, diese Himmelhunde, dann würde er ihnen die Haut in Streifen von ihren …
Ed biß sich auf die Lippen und zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken.
Plötzlich war da etwas, das ihn zu einem Blinzeln veranlaßte. Etwas, was erst jetzt in sein Bewußtsein drang. Immerhin war es verzeihlich, daß er es nicht sofort bemerkt hatte. Schließlich hatte er in seinem Leben Hunderte von Häfen gesehen, und irgendwie sahen sie alle gleich aus mit ihren Piers, ihren Speichern, ihren Werften, ihren Docks …
Mit jäh erwachtem Interesse beugte er sich vor.
Da war so ein Dock gleich nebenan, unmittelbar achteraus von der „Isabella“. Und der Kahn, den sie dort aufgeslippt hatten, sah für den Profos so wohlvertraut aus, daß er selbst im Schlaf jede Planke und jeden Fetzen Tuch hätte beschreiben können.
Hölle und Verdammnis, das war …
„Die ‚Revenge‘“, murmelte Ed Carberry entgeistert. Er blinzelte noch einmal und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch es war kein Trugbild. Es war die pure, unglaubliche Wirklichkeit.
Was sich da unter dem grauen Himmel Südenglands ins Baudock verkrochen hatte, war kein geringeres Schiff als die „Revenge“. Das Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Sir Francis Drake in der Schlacht gegen die spanische Armada.
Carberrys Verblüffung wich einem belustigten Grinsen, als er sah, woran die Werftarbeiter und Crewmitglieder des stolzen Flaggschiffes eifrig arbeiteten. Es war ein neues Ruderblatt, das sie der „Revenge“ maßgerecht verpaßten.
Im Augenblick allerdings hatten die Männer ihre Hämmer und Sägen beiseitegelegt, denn der Lärm und das Gewühl am Kai waren Grund genug, ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Vor allem der Anblick der „Isabella“ mußte den Revenge-Leuten jetzt wie ein knüppeldicker Dorn im Auge erscheinen.
Das Grinsen des Profos wurde noch breiter, als er einige der Männer aus Admiral Drakes Crew auf dem Achterkastell des Flaggschiffes erkannte. Er konnte sogar ihre Gesichter beobachten, denn die Entfernung betrug kaum mehr als einen Steinwurf. Und es waren verdammt lange Gesichter, die der Empfangstrubel zu Ehren der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ bei ihnen hervorrief.
Die offenkundige Mißstimmung unter Drakes Getreuen gab dem Profos keinerlei Rätsel auf.
Denn für die Ruderblatt-Reparatur war kein anderer als Hasard verantwortlich, der zielsicher der „Revenge“ die Ruderanlage zerschossen und den sehr ehrenwerten, aber auch sehr beutegierigen Admiral Drake damit zur Manövrierunfähigkeit verdammt hatte. Das war in der Nordsee passiert, nachdem die Schlacht gegen die Armada längst entschieden gewesen war.
Sir Francis Drake hatte sich nicht gescheut, die zum Wrack geschossene spanische Kriegsgaleone „San Mateo“ wie ein ausgehungerter Geier zu verfolgen, um sie auszuplündern und das Massaker an den längst wehrlosen Spaniern fortzusetzen.
Hasard und Jean Ribault hatten diese menschenunwürdige Verfolgungsjagd verhindert und der „San Mateo“ und ihrer zusammengeschmolzenen Besatzung die Flucht mit Kurs auf Norwegen ermöglicht – indem sie den Geier Drake am Zupakken hinderten und die hilflosen Spanier mit Wasser und Proviant versorgten. Fassungslosigkeit hatte dieser Akt der Menschlichkeit auf beiden Seiten hervorgerufen. Sowohl bei Drake, der einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle erlitt, als auch bei den Spaniern, die soviel Fairneß und Ritterlichkeit von einem Gegner zuvor nicht erlebt hatten.
Edwin Carberry winkte seine Gefährten herbei, und ausnahmsweise verwendete er dazu keinen einzigen seiner poltrigen Sprüche. Ein Fingerzeig des Profos genügte. Die Seewölfe brauchten keine Erklärungen, um zu begreifen, was sich hier, im heimatlichen Hafen Plymouth anbahnte.
Denn die wuterfüllten Blicke der Revenge-Leute sprachen Bände. Hätten diese Blicke Bleikugeln getragen, dann wären sämtliche Mitglieder der