Seewölfe - Piraten der Weltmeere 406. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.beiden Seiten von den Mangroven getarnt.
Die Gaffeln und Rahruten wurden jedoch vorsichtshalber an Deck gefiert, und die drei Pfahlmasten ließ Old O’Flynn mit Mangrovenästen verhängen. Genauso verfuhren sie mit dem Heck, dann tarnten sie auch den Zugang zu dem Seitenarm, so daß sich der kleine Dreimaster nunmehr in einem perfekten Versteck befand.
„Wir sitzen allerdings auch in einer Falle, wenn sie uns hier aufstöbern“, sagte der Alte, als sie das Achterdeck enterten und durch den Mangrovenvorhang zu den heransegelnden Spaniern blickten.
„Man soll’s nie berufen, weißt du das?“ fragte Jean Ribault.
„Nein“, brummte Old O’Flynn. „Woher kommen diese Dons deiner Ansicht nach?“
„Aus Spanien.“
„Das halte auch ich für möglich. Hölle, hätten sie denn nicht in einem Sturm absaufen können?“
„Ein frommer Wunsch“, sagte Don Juan de Alcazar leise. „Aber sie scheinen keinerlei Schaden genommen zu haben, oder täusche ich mich?“
„Das stimmt“, erwiderte Dan, der ebenfalls unablässig durch sein Spektiv blickte. „Die Galeonen sehen sehr solide und kampffähig aus. Sicherlich sind sie auch gut armiert.“
„Danke, das genügt“, sagte sein Vater. „Brecht bloß nicht in Panik aus. Mal sehen, was weiter passiert.“
Etwas anderes blieb ihnen ohnehin nicht übrig. Schweigend standen sie da und spähten zu dem nahenden Feind, und auch Matt Davies beobachtete den Verband mit starrem, trotzigem Gesicht. Der spanische Ausguckposten auf Grand Turk hingegen hatte den Verband immer noch nicht bemerkt, weil er weiterhin westwärts blickte. Außerdem war im Osten die kleine, Grand Turk vorgelagerte Insel, die den Ausblick auf den Atlantik versperrte.
Don Gonzalo de Vallejo stand mit etwas abgespreizten Beinen an der Schmuckbalustrade auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes und verschränkte die Arme vor der Brust. Eben hatte der Ausguck im Hauptmars Land gemeldet. Er konnte zufrieden sein. Alle Berechnungen schienen zu stimmen, und er traf nahezu auf die Stunde genau in der Karibik ein.
Präzision ist alles, dachte er und hob das Kinn leicht an. Sein Blick fiel auf die Männer, die auf dem Hauptdeck und der Back ihren Dienst versahen.
Bald gibt es alle Hände voll zu tun für euch, dachte er, ich hoffe, daß wir so schnell wie möglich auf die ersten Piratenbanden und Horden von Galgenstricken stoßen.
Einer der jungen Seesoldaten sah wie in Trance zu ihm auf. Irgend etwas schien ihn zu faszinieren. Don Gonzalo de Vallejo überlegte, ob er ihn zurechtweisen oder notieren sollte, sah dann aber doch davon ab, weil ihm die Festlegung des weiteren Kurses jetzt seine ganze Konzentration abverlangte. Er rief seine Offiziere zu sich und teilte seine Befehle aus.
Der Kriegsverband aus Cadiz hatte die Order, die Karibik-Flotte zu verstärken, seit sich die Nachrichten bei Hof häuften, daß dieser Bereich der Neuen Welt Gefahr laufe, zu einem Tummelplatz der Freibeuter und Piraten zu werden. Die vorhandenen Marinestreitkräfte reichten nicht mehr aus, den spanischen Herrschaftsanspruch wirksam durchzusetzen.
Ganz abgesehen davon sollte die bisherige Karibik-Flotte in letzter Zeit erhebliche Verluste gehabt haben. Immer wieder wurden Geleitzüge auf dem Wege zurück nach Spanien von Freibeutern überfallen und ausgeplündert – vornehmlich im Bereich der Bahama-Inseln. Wie das geschehen konnte und wie das alles zusammenhing, wollte Don Gonzalo de Vallejo ganz nebenbei erforschen.
Er fand, daß es ungeheuerlich war, wie die Frechheit und Tollkühnheit der Piraten in den letzten Monaten zugenommen hatten. Man mußte mit ihnen aufräumen – gründlich. Er würde Exempel statuieren und die Leichen dieser Kerle an den Stränden in die Palmen hängen, als abschreckendes Beispiel für alle anderen, die glaubten, es mit dem großen, mächtigen Reich Spanien-Portugal aufnehmen zu können.
Zwei der sechs Kriegsgaleonen sollten nach Anlaufen des Zielhafens Santiago de Cuba nach Cartagena, zwei nach Havanna und zwei nach Fort St. Augustine detachiert werden. So lauteten die Anweisungen, und de Vallejo würde sich streng nach ihnen richten.
Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit dichtem schwarzem Haupthaar und einem starken Schnäuzer, dessen Enden über die Mundwinkel nach unten hingen. Sein Gesicht, markant geschnitten mit einem deutlichen Zug von Grobheit und Brutalität, war nahezu ausdruckslos. Auch seine braunen Augen hatten nicht das Feuer des temperamentvollen Südländers.
Er hatte sich stets in der Gewalt und gehörte nicht zu den cholerischen, leicht aufbrausenden Menschen. Er wußte, daß es nichts Übleres gab, als auf einem Kriegsschiff die Nerven zu verlieren. Ständig mußte man den Kerlen zeigen, daß man über ihnen stand und mehr war als sie, daß man sie verachtete und sie einen Dreck taugten. Nur durch Autorität und Unnachgiebigkeit konnte der Kommandant eines Verbandes seine Stellung behaupten, anders war es nicht möglich.
In den Augen seiner Offiziere war de Vallejo ein kaltschnäuziger und hochfahrender Mann, der keinen Widerspruch duldete. Sie haßten ihn – auch, weil er ein Leuteschinder war, der jederzeit bereit war, seine Mannschaften bedenkenlos in den Tod zu jagen. Nicht jeder Kapitän dachte so, andere waren klüger und nahmen mehr Rücksicht auf die Würde, die auch ihre Untertanen hatten.
Die Würde anderer jedoch bedeutete Don Gonzalo de Vallejo gar nichts. Sie interessierte ihn nicht. Er war ehrgeizig und gewillt, das „Piratengelichter“ mit eisernem Besen von der Karibik zu fegen. An dem erforderlichen Mut mangelte es ihm nicht – er entsprach seiner Rücksichtslosigkeit.
Als ihm die Inseln voraus gemeldet worden waren, hatte er nur lässig genickt. Es mußten die Turks-Inseln sein – und sie waren es auch, wie sich nach einem neuerlichen Blick auf die Seekarten und einer routinemäßigen Überprüfung des Kurses und der Position herausstellte.
Seine Navigation war perfekt. Er hatte die Absicht, durch die Turks-Passage zu segeln und dann durch die Windward-Passage Santiago de Cuba anzusteuern. Nach den Seehandbüchern der spanischen Marine wußte er, daß er nördlich von Grand Turk fast auf Südkurs gehen mußte, weil sich westlich und östlich von diesem Kurs gefährliche Bänke und Untiefen erstreckten – die Caicos-Bank und die Mouchoir-Carré-Bank. All das mußte beachtet werden, und weder ihm noch den Kapitänen der fünf Begleitschiffe durfte auch nur der geringste Fehler unterlaufen.
Reichlich spät wurde der Verband der Kriegsgaleonen von Don Garcia Cuberas Männern gesichtet, als er die Nordspitze von Grand Turk rundete und im Begriff war, in die Passage zu steuern. Plötzlich gaben die Ausguckposten auf der Insel Musketenschüsse in die Luft ab und winkten den Schiffsmannschaften brüllend und schreiend zu.
„Señor Capitán General“, sagte der Erste Offizier des Flaggschiffes. „Da gibt uns jemand Zeichen.“
„Das sehe ich auch“, sagte de Vallejo ziemlich ungehalten. „Wer ist das?“
„Es scheinen Landsleute von uns zu sein, Señor.“
„Und wenn sie es nur vortäuschen?“
„Sie sprechen Spanisch, Señor.“
„Was heißt das schon?“ sagte de Vallejo verächtlich. „Jeder Pirat kann unsere Sprache erlernen. Es sollen schon die tollsten Verwechselspiele stattgefunden haben, wenn Sie wissen, was ich meine.“
„Nicht ganz.“
„Man könnte uns eine Falle stellen, kaum, daß wir eingetroffen sind“, sagte de Vallejo kalt. „Einen Hinterhalt, in den wir wie die Narren hineinsegeln. Freibeuter brauchen Waffen. Vielleicht bilden sie sich ein, sie bei uns holen zu können. Und Schiffe – schon viele Galeonen sind gekapert worden, aber das scheint man Ihnen auf der Marineschule nicht beigebracht zu haben.“
Der Erste schwieg. Er war sicher, daß die Männer, die da schossen und wie die Verrückten winkten, Hilfe brauchten. Er war überzeugt, daß er sich nicht täuschte. Aber es war gefährlich, einem Mann wie Don Gonzalo de Vallejo zu widersprechen.
„Wahrschau!“ schrie einer der Männer auf der Insel – laut genug, daß es an Bord des Flaggschiffes zu