Seewölfe - Piraten der Weltmeere 405. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 405 - Roy Palmer


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seiner verzweifelten Lage sah auch Hasard ein, daß ihr Verhalten völlig richtig und den Umständen entsprechend logisch war. Er selbst hätte nicht anders gehandelt. Er war jetzt auf sich ganz allein gestellt, aber er klammerte sich an dem letzten dünnen Faden fest, an dem sein Leben noch hing.

      Und die Haie? Er versuchte, zu grinsen, wußte aber, daß er nur eine Grimasse zustande brachte. Sie wollen dich nicht, dachte er, du bist für sie ungenießbar – und zu zäh zum Sterben.

       2.

      Ein Umstand, der sich jetzt einstellte, wirkte einigermaßen ernüchternd auf ihn. Um ihn herum landeten spritzend und gischtend die Trümmerteile der beiden explodierten Galeonen in der See. Nur etwa dreißig Yards von ihm entfernt schoß eine Wassersäule hoch, als sei dort ein schweres Kaliber eingeschlagen. Etwas Unförmiges sprang aus dem Wasser und klatschte wieder zurück.

      Ohne zu zögern, schwamm Hasard darauf zu. Er versuchte zu erkennen, um welche Art von Gegenstand es sich handelte. Eine Gräting? Nein – es schien eher ein Stück Bordwand zu sein. Im Näherkommen sah er trotz der Dunkelheit, daß sich an der Innenseite noch die Spanten befanden. Mit einiger Phantasie gelang es ihm, sich das Ding als eine Art Floß vorzustellen.

      Auf jeden Fall schien es groß genug zu sein, um sein Gewicht zu tragen. Er erreichte es, klammerte sich daran fest und zog sich keuchend und ächzend hinauf. Schwer atmend ließ er sich sinken. Die Brust schmerzte wie verrückt, aber wieder zwang er sich dazu, ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Gerettet, dachte er, vorerst jedenfalls. Haie, ihr könnt kommen, es gibt nichts mehr zu holen!

      Doch sie zeigten sich nicht. Ihm fiel die alte Legende ein, das Seemannsgarn, demzufolge die grauen Mörder nachts schliefen oder überhaupt nicht imstande waren, auf kürzeste Distanz eine mögliche Beute zu erkennen. Blind waren sie, hieß es, und am liebsten griffen sie bei Tageslicht und bleischwerer, spiegelglatter See an.

      Aber das war eben Seemannsgarn oder reine Phantasie. Hasard wußte, daß er Glück im Unglück gehabt hatte. Leicht hätte er Haien oder Barrakudas zum Opfer fallen können. Eine Gefahr war gebannt, auf der herausgebrochenen Bordwand war er einigermaßen sicher. Er lag auf dem Rücken, atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen.

      Das gelang nur im Ansatz. Die Schmerzen stachen ihn wie glühende Nadeln. Bei jedem Atemzug bohrten sie sich tiefer in seinen Oberkörper. Er versuchte jetzt, flacher und regelmäßiger Luft zu holen. Gleichzeitig überlegte er. Der Brustkorb mußte geprellt sein, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Auch der Kutscher oder Mac Pellew hätten nichts anderes festgestellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte es ein paar Rippen erwischt, sie waren angebrochen. Das tat wirklich höllisch weh.

      Aber trotz der Schmerzen und der Erschöpfung, die an ihm zehrte, blieb er nicht untätig. Wenn du überleben willst, brauchst du noch einiges, dachte er, alles, was du kriegen kannst.

      Er richtete sich wieder auf, kniete sich hin und glich das Schaukeln seines Untersatzes durch Gegenbewegungen aus. Es war nicht sonderlich schwer, die Balance zu halten, er mußte nur darauf achten, daß er sich nicht zu heftig bewegte.

      Eine Planke trieb auf ihn zu. Sie war für seine Zwecke geeignet, handgerecht genug, um als Paddel zu dienen. Er beugte sich vor und streckte die rechte Hand aus, aber die Planke glitt um Zollbreite an seinen Fingern vorbei. Er drehte sich leicht nach rechts, griff wieder zu – und hatte sie. Grimmig packte er zu und zog sie zu sich heran.

      Es lohnte sich, weiterhin Ausschau zu halten. Er trieb mit seinem Floß mitten im Trümmerbereich und konnte noch so manches auffischen, was ihm dienlich war. Aufmerksam spähte er nach allen Seiten. Was konnte er noch gebrauchen?

      Seinen Degen hatte er verloren, das Wehrgehänge war leer. Aber das Messer fiel ihm ein, das im rechten Stiefel stecken mußte. Er tastete an seinem Bein entlang, schob die Hand in die Öffnung des Stulpenstiefels und berührte das Heft des Messers. Er grinste, lachte, hustete, verspürte neue Schmerzen und war doch froh, es wiedergefunden zu haben. Fast war ihm, als habe er einen Sieg errungen.

      Rasch zog er das Messer heraus, sah sich erneut um und entdeckte treibende Teile, an denen noch Leinen hingen. Er arbeitete sich unter Zuhilfenahme des Paddels darauf zu, beugte sich wieder etwas außenbords und kappte die Leinen mit dem Messer.

      Die Leinen brauchte er, um sich eventuell auf seinem provisorischen Floß festzubinden. Wenn das Wetter sich verschlechterte und der Seegang zunahm, würde das erforderlich werden. Die Gefahr, ins Wasser zu rutschen, war dann groß, zumal er in seinem Zustand nicht in der Lage war, sich auf einer tanzenden, nur etwa zwei mal zwei Yards messenden Plattform zu halten.

      Er belegte die Leinen an dem herausragenden Ende eines Spants, richtete sich wieder auf und ließ seinen Blick erneut wandern. Wenig später sichtete er etwas Helles, das sich als ein Stück Segeltuch entpuppte. Es hing an dem zerschossenen Überrest einer Spiere, ein Fetzen, der dennoch verwendbar war.

      Mit etwas Akrobatik gelang es ihm, die Spiere zu sich heranzuziehen und das Stück Segel davon loszuschneiden. Er barg es und verstaute es zwischen den Leinen, so daß es nicht abtreiben konnte. Immerhin, dachte, er, das ist schon eine ganze Menge. Aber eine Waffe müßtest du noch haben – und Proviant.

      Es war vermessen, zu hoffen, daß er sich alles verschaffen konnte, was er als Schiffbrüchiger zum Überleben brauchte. Aber er gab nicht auf. Wieder hielt er Umschau. Er erblickte etwas Unförmiges, das sich genau auf ihn zuzubewegen schien, kniff die Augen zusammen und versuchte, es zu identifizieren.

      Die Erkenntnis war grausig: Ein Toter trieb im Wasser, die Arme und Beine weit von sich gestreckt. Er lag auf dem Rücken, dümpelte auf das Behelfsfloß zu und berührte es mit seiner Hand. Für einen Moment wirkte es so, als wolle er sich daran festklammern. Die Wellenbewegungen des Wassers erweckten ihn zu gespenstischem Leben. Aber seine gebrochenen Augen waren blicklos in den Nachthimmel gerichtet, und die Blessuren in seinem Unterleib verrieten, daß er eines schmerzhaften, aber schnellen Todes gestorben sein mußte.

      „Gott sei deiner Seele gnädig“, sagte Hasard. Dann beugte er sich über ihn.

      Der Tote trug keinerlei Kopfbedeckung, aber aus den zerfetzten Resten seiner Kleidung ließ sich schließen, daß er ein Seesoldat gewesen sein mußte. Die Explosion des Schiffes, auf dem er gedient hatte, hatte ihn halb zerrissen, erstaunlicherweise aber sein Gesicht und seinen Oberkörper verschont. Er mußte in die Luft katapultiert worden sein und hatte beim Sturz ins Wasser die Pistole, das Pulverhorn und die Kugeltasche verloren.

      Eine Waffe hatte er aber doch noch: den Degen, der in der Scheide des Wehrgehänges steckte. Hasard zog den Mann so dicht wie möglich zu sich heran. Das Floß begann bedenklich zu schaukeln, aber er legte sich auf die Seite und verlagerte sein Gewicht so, daß ein Ausgleich vorhanden war. Mit geschickten Fingern öffnete er den Gürtel des Toten und nahm ihm das Wehrgehänge ab.

      Der Degen war nicht verziert, aber aus bestem Toledostahl gearbeitet und scharf geschliffen, wie er sofort feststellte. Er schob ihn in die Scheide seines eigenen Wehrgehänges und verstaute den Gurt des Spaniers unter dem Segeltuch. Für alle Fälle, dachte er, man kann nie wissen.

      Der Tote trieb weiter ab. Hasard blickte ihm nach und dachte: Vielen Dank, Kamerad. Du hast einem verdammten Engländer geholfen, aber du kannst dich nicht mehr darüber ärgern. Du hast keine Sorgen mehr und brauchst nicht ums nackte Überleben zu kämpfen.

      Irgendwie mußte er sich Mut zusprechen, jedes Mittel war ihm recht. Sein alter Galgenhumor kehrte zumindest teilweise zurück, und er sagte sich, daß er notfalls bis zur Schlangen-Insel paddeln würde, wenn es erforderlich war.

      Ein Bootsriemen schob sich in sein Blickfeld. Er griff nach der Planke, begann zu paddeln und fluchte, weil seine Brust wieder höllisch zu schmerzen begann. Jede Bewegung verursachte ihm Qualen, aber er biß die Zähne fest zusammen und stieß in Gedanken einige von Carberrys übelsten Verwünschungen aus – auf Englisch und auf Spanisch.

      Das half – so schien es jedenfalls. Hasard ging bei dem Bootsriemen längsseits, legte die Planke weg, holte sich den Riemen und betrachtete ihn. In Ordnung, dachte


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