Seewölfe - Piraten der Weltmeere 194. Burt Frederick

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 194 - Burt Frederick


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und jeder macht sich darüber lustig. Aber die Geschichten über ‚Terra Australis‘ hat er nicht selbst erfunden. Die haben schon andere lange vor ihm erzählt.“

      „Ich weiß, ich weiß“, sagte Ben und nickte. „Willst du etwa allen Ernstes annehmen, wir hätten wirklich dieses sagenumwobene südliche Land entdeckt?“

      „Unmöglich ist nichts. Erinnere dich nur an die Nordwest-Passage.“

      „Aber da hatten wir doch genauere Anhaltspunkte. Über ‚Terra Australis‘ wissen wir nichts, buchstäblich nichts. Außer, daß es ein paar Zeichner gegeben hat, die auf die südliche Hälfte der Welt einen Klecks gemalt haben, weil es ihnen dort zu leer erschien. Sonst wäre noch zu sagen, daß wir uns nach wie vor nördlich vom Äquator befinden.“

      Hasard zog die Augenbrauen hoch.

      „Das muß nichts heißen. Was, wenn ‚Terra Australis‘ ein ganzer Kontinent ist, der oberhalb des Äquators beginnt und weit unterhalb endet?“

      „Na, na!“ ereiferte sich Ben Brighton, der sonst stets die Ruhe in Person war. „Das scheint mir denn doch ein bißchen weit hergeholt. Ich gebe zu, daß wir schon einiges von der Welt gesehen haben, was kein anderer vor uns sah. Aber das muß ja nicht immer so bleiben.“

      Der Seewolf wurde einer Antwort enthoben. Eine krächzende Stimme vom Poopdeck fuhr den beiden Männern dazwischen.

      „Was, zum Teufel, redet ihr da! Könnt ihr es denn noch immer nicht glauben, was ein weitgereister alter Mann euch sagt?“

      Der Seewolf und sein erster Offizier drehten sich langsam um.

      „Himmel!“ sagte Ben Brighton und verdrehte die Augen. „Er war doch wacher, als wir glaubten. Jetzt haben wir den Salat.“

      Hasard grinste nur.

      Der alte O’Flynn rappelte sich mühsam auf und brauchte eine Weile, bis er seine Krücken aufgeklaubt hatte. Trotz seines Holzbeins war er ein unverwüstlicher Haudegen, der selbst in den wildesten Seegefechten noch immer seinen Mann gestanden hatte. Daß er jetzt die Mühe auf sich nahm, seinen Platz auf dem Poopdeck zu verlassen und sich den Niedergang zum Quarterdeck hinunterzuquälen, lag einzig und allein an dem Stichwort „Terra Australis“. Es mußte ihm wie Sirenenklang ins Ohr gestochen haben.

      Auf die Krücken gestützt, baute er sich vor den beiden breitschultrigen Männern auf, deren Oberkörper von der südlichen Sonne nahezu bronzefarben gebräunt waren. Während Ben Brightons Statur eher als untersetzt zu bezeichnen war, bestach Philip Hasard Killigrew durch mehr als sechs Fuß Größe und schwarzes Haar, zu dem seine klaren blauen Augen einen ungewöhnlichen Kontrast bildeten.

      „Natürlich sind wir ahnungslose Engel“, sagte der Seewolf mit todernster Miene. „Das wollen wir gern zugeben, Old Donegal.“

      Der alte O’Flynn überhörte die Anspielung. Er nickte zustimmend und stieß ein Brummen aus, das zufrieden klang.

      „Im großen und ganzen seid ihr prächtige Burschen. Deshalb gehe ich auch mit euch mitten durch die Hölle, wenn es sein muß. Aber die richtige Erfahrung kriegt man erst in meinem Alter. Das werdet ihr später selbst erkennen, ihr könnt es mir glauben.“

      „In Ordnung“, sagte Ben Brighton. „Das kaufen wir dir ab. Aber was ist Erfahrung gegen eine verläßliche Seekarte?“

      Old O’Flynn stieß die rechte Krükke auf die Planken.

      „Daß du es immer noch nicht begriffen hast! Man kann nicht nur an das glauben, was man schwarz auf weiß sieht. Es gibt verdammt viele Dinge auf dieser Welt, von denen ein armseliges Menschenhirn nicht die geringste Ahnung hat. Ich sage euch, dieses Land“, er streckte den rechten Arm zur Küste hin, wobei er die Krücke mit hochhob, „ist kein anderes als ‚Terra Australis‘.“

      „Hattest du schon wieder ein Gespräch mit dem Wassermann?“ erkundigte sich Hasard lächelnd.

      „Du brauchst mich nicht zu verspotten, Mister Killigrew, Sir. Ich habe schon viele angesehene Männer von ‚Terra Australis‘ reden hören, als du noch in die Windeln ge …“

      „Mit so einer Ausdrucksweise?“ fiel ihm Ben Brighton ins Wort. „Das müssen Burschen gewesen sein, die ihr größtes Ansehen bei den Spelunkenwirten in der Karibik genossen.“

      „Manchmal glaube ich, ihr habt zu wenig Phantasie für die Wunder der Welt“, sagte Old O’Flynn kopfschüttelnd. „Warum, zum Teufel, könnt ihr euch nicht vorstellen, daß wir schon seit Tagen den australischen Kontinent im Visier haben?“

      „Jetzt ist es schon ein Kontinent“, seufzte Ben Brighton, verschränkte die Arme vor dem breiten Brustkasten und stieß die Atemluft hörbar aus.

      „In ein paar Wochen oder Monaten werden wir Gewißheit haben“, sagte Hasard. „Schließlich können wir dann unsere Aufzeichnungen über den Küstenverlauf zusammenfassen. Und das ist mehr wert als die Geschichten angesehener Männer.“

      „Ihr werdet euch noch wundern“, knurrte der alte O’Flynn beleidigt. „Wartet erst mal ab, bis wir an Land sind. Da werden euch die Augen übergehen.“

      „Ganz bestimmt!“ rief Ben Brighton lachend. „Ich wette, die Menschen tragen ihren Kopf nicht auf dem Hals, sondern unter dem rechten Arm.“

      Hasard mußte sich abwenden, um ernst zu bleiben.

      Old O’Flynn wollte zu einer zornigen Gegenrede ansetzen. Doch diesmal war er es, der unterbrochen wurde.

      „Deck!“ ertönte eine helle Stimme aus dem Großmars. „Steuerbord voraus – eine Bucht!“

      Mit dieser Meldung riß Bill, der Ausguck, die Männer aus ihrer Lethargie. Es wurde lebendig an Deck. Endlich gab es die Abwechslung, auf die sie so verdammt lange gewartet hatten.

      Hasard nahm den eigenen Kieker, trat ans Steuerbordschanzkleid und suchte den Küstenstreifen ab. Ben Brighton tat es ihm nach.

      Die ausgedehnte Bucht, die der Moses von seinem luftigen Platz im Ausguck entdeckt hatte, war etwa eineinhalb Seemeilen entfernt. Am südlichen Ende der Bucht schob sich eine Landzunge weit ins Meer.

      2.

      Das Wasser war glasklar und ruhig. Geradezu sanft leckte der schwache Wellengang auf gelbweißen Strand, der wie mit einem riesigen Hobel geglättet zu sein schien.

      Es gab ein vernehmliches Knirschen und dann einen Ruck, als der Kiel des Beibootes vom Sand gehemmt wurde. Ferris Tucker und Smoky zogen die Riemen ein. Hasard folgte ihnen mit einem federnden Satz ins knöchelhohe Uferwasser. Gemeinsam zogen sie das Boot höher an Land, wo sie für einen Atemzug verharrten.

      Der Dschungel war so lebendig wie überall in den tropischen Breiten der Welt. Schrille Stimmen drangen aus der unergründlichen grünen Tiefe. Kekkernde Laute ähnlich denen, die der Schimpanse Arwenack ausstieß, gellende Schreie und keifendes Gelächter, das an menschliche Stimmorgane erinnerte.

      Als die drei Männer weiter den schmalen Streifen Sandstrand hinaufgingen, stob ein Schwarm buntgefiedeter Vögel aus den Baumkronen auf. Während sie mit wirbelndem Flügelschlag landeinwärts flohen, stießen sie ein ohrenbetäubendes protestierendes Gezeter aus.

      Ferris Tucker, der riesenhafte rothaarige Schiffszimmermann, blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften.

      „Habt ihr das gesehen?“ rief er verwundert. „Diese Viecher sehen alle aus wie Sir John im Kleinformat.“

      „Vielleicht wachsen sie noch!“ Smoky, der bullige Decksälteste, grinste unbeeindruckt.

      Hasard runzelte die Stirn. Auch er hatte diese papageienähnlichen Kleinvögel noch nirgendwo auf der Welt beobachtet. Aber vielleicht wäre es für Naturforscher oder Wissenschaftler nichts Neues gewesen.

      Daß sie eben einen Schwarm von Sittichen aufgescheucht hatten, konnte keiner der drei Männer wissen.

      Bei näherem


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