Seewölfe - Piraten der Weltmeere 72. Fred McMason

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 72 - Fred McMason


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      „Aye, aye!“ rief der Profos, und sofort scheuchte er die Männer an die Schoten. Die Segel wurden aufgegeit, bis die „Isabella“ merklich langsamer lief. Kräftige Hände zerrten an den Geitauen, holten weiter auf.

      „Im Gei hängen lassen!“ dröhnte Carberrys Stimme. „Erst nachher ganz aufholen!“

      „Als ob das nicht jeder Arsch an Bord wüßte“, sagte Luke Morgan zu Blakky, der grinsend in die Hände spuckte.

      „Laß ihn doch, wenn der Profos nicht befehlen, brüllen oder einem die Haut in Streifen vom Affenarsch ziehen kann, dann fühlt er sich nicht wohl.“

      Das traf haargenau zu. Es gab keinen an Bord, den der Seewolf nicht hart rangenommen hatte, und daher hätten sich derartige Befehle einfach erübrigt, aber der Profos konnte nun einmal nicht aus seiner Haut heraus, und außerdem war es für ihn unvorstellbar, daß niemand Befehle gab. Ein Profos war schließlich zum Brüllen da und nicht zum Rumstehen.

      Immer mehr verlor die Galeone an Fahrt, bis die Bugwelle nur noch leise gluckerte. Bei dem Manöver hatte niemand mehr so richtig Zeit, auf das Wrack zu achten, doch jetzt, nachdem das Kommando „Fallen Anker“, erscholl, und der Anker in die Tiefe rauschte, blickte jeder angestrengt zu dem gestrandeten spanischen Wrack hinüber.

      Langsam schwoite die „Isabella“ herum, bis sie fast parallel zu dem Spanier lag.

      Jetzt sahen ihn alle überdeutlich, diesen Mann, der da mit langen schlohweißen Haaren an Deck stand.

      Er trug nichts als eine zerfetzte, blaß blaue, an den Knien ausgefranste alte Hose. Sein nackter Oberkörper war ausgemergelt und von Sonne, Wind und Wetter gegerbt. Scharf zeichneten sich seine Rippen ab. Er hatte beide Arme zum Himmel erhoben und sein zerfurchtes Antlitz schien die Sonne anzubeten.

      Niemand an Bord sprach ein Wort. Alle schauten gebannt zu dem Mann hinüber, der jetzt langsam sein Gesicht wandte. Es war ein asketisches Gesicht, das eines Büßers, faltenreich, hager, ebenso ausgemergelt wie der ganze Körper. Seine Lippen waren schmal und zusammengepreßt, die Augen lagen tief in den Höhlen, und um seine Wangen spannte sich eine dünne, fast durchsichtige Haut mit vielen kleinen, roten Äderchen darin.

      Das Schlimmste waren seine Augen, die jetzt erwartungsvoll auf die Männer gerichtet waren. Es waren stark nach oben verdrehte Augen wie die eines Blinden. Weißgelblich schimmerten sie unheilverkündend in den dunklen Augenhöhlen.

      „Augen eines Toten“, sagte Smoky und bekreuzigte sich hastig. „Der ganze Kerl scheint tot zu sein. Mit den Augen kann er doch nichts mehr sehen.“

      Pete Ballie neben ihm, starrte ebenfalls mit einem kalten Schaudern auf die ausgemergelte Gestalt.

      „Die Augen eines toten Fisches sind das, Smoky. Der – der Kerl kommt mir vor, wie – wie …“

      „Hör auf“, flüsterte Smoky entsetzt. „Sprich nicht weiter! Ich weiß schon, was du sagen willst. Der Kerl bringt Unheil!“

      Da war es heraus, das Wort, das jedem im Mund lag, und obwohl Smoky es nur geflüstert hatte, schien es doch nachhallend über das ganze Schiff zu dröhnen.

      „Der Kerl bringt Unheil!“

      Dieser Satz huschte vom Vordeck in die Kuhl, zum Achterkastell und bis in die Wanten und erreichte den Affen Arwenack, der sich mucksmäuschenstill verhielt. Seine braunen Augen waren weit aufgerissen, das Tier schien die Gefahr stärker zu empfinden als alle anderen.

      Der Seewolf spürte, wie die Stimmung umschlug. Das Wrack, an dem unaufhörlich die Wellen nagten, die Geräusche des sterbenden Schiffes, das Knacken der Planken, das Klappen des hin und herschlagenden Kolderstocks, und dieser unheimliche Mann – das alles beschwor etwas Unheilvolles herauf. Selbst der abgebrühte Seewolf fühlte, wie ihm ein kühler Schauer über den Rücken rann.

      „Fiert das Beiboot ab!“ erklang seine Stimme, die die Männer augenblicklich aus ihrer Erstarrung riß.

      Ja, das lenkte sie ab von dieser unheimlichen Gestalt, und so drängte sich der größte Teil der Crew um das Beiboot, nur um den Anblick des Unheimlichen für kurze Zeit zu vergessen. Doch das ließ sich nicht vergessen, der Alte war da, er war dominierend, eine Persönlichkeit, die man nicht ignorieren konnte, und so warfen die Seewölfe immer wieder scheue Blicke hinüber.

      Immer noch stand er unverändert da, die Arme wie bittend zum Himmel erhoben, die mageren Hände wie erstarrt und verkrampft in der Luft haltend. Das Weiße seiner Augen wurde langsam wieder trüb, als er ein klein wenig das Gesicht wandte.

      Jeder fühlte, daß der Alte ihn sah, obwohl jeder wußte, daß ein normales Sehen mit diesen Augen unmöglich war. Aber der Alte sah „auf eine andere Art“, wie Smoky flüsternd versicherte.

      Fast alle taten sie unnötige Handgriffe beim Abfieren des Bootes, bis der Profos den Kopf schüttelte und laut werden wollte. Aber er brachte es nicht über sich, seinen Lieblingsspruch anzuwenden. Der paßte einfach nicht hierher, das fühlte er ganz deutlich.

      Hart schluckend wandte er sich ab, sah Hasard an, der es auch vermied den Alten anzublicken, und der doch immer wieder wie magisch von dieser ausgemergelten Gestalt angezogen wurde.

      Und dann sagte Batuti etwas, das den anderen wie ein glühendes Eisen in die Knochen fuhr.

      „Alter Mann ist Jonas!“

      „Batuti!“ rief der Seewolf scharf, doch der riesige Gambia-Neger ließ sich nicht beirren.

      „Batuti immer sagen, was denken“, maulte er, „und Batuti sagen noch mal, altes Mann ist Jonas, und Jonas an Bord bringen Unglück. Sollen schnell weitersegeln und Jonas nicht mehr sehen.“

      Köpfe duckten sich, Münder verzogen sich, und jeder fühlte, wie sich seine Haare im Nacken aufrichteten. Verdammt, Batuti hatte recht! Ein Jonas! Das fehlte gerade noch! Und das ausgerechnet wieder in jenem Teil des Atlantik, der bei allen Seeleuten ohnehin verschrien und nicht geheuer war: im Sargassomeer.

      Hasard fand keine Antwort. Er zuckte mit den Schultern und blieb auf dem Achterdeck stehen. Er mußte versuchen, diese unheilvolle Stimmung, die sich an Bord schlich, im Keim zu ersticken. Er drehte leicht den Kopf und sah den Alten mit den schlohweißen wirren Haaren scharf an.

      „Senor!“ rief er laut hinüber, denn es konnte sein, daß dieser Alte ein Spanier war.

      Der Jonas gab keine Antwort. Er drehte nur ebenfalls langsam den Kopf in die Richtung, aus der er die Stimme vernahm. Seine erloschenen Augen schienen sich in das Gesicht des Seewolfs zu brennen, und dann verzogen sich zum erstenmal seine Lippen, und ein paar schwarze Zahnstummel wurden sichtbar.

      Sofort danach versank er wieder in Lethargie.

      Dan O’Flynn wagte keinen Blick zu dem Mann hin. Er hatte sich umgedreht und blickte angestrengt auf Deck hinunter, und so sah er auch nicht, was Hasard in diesem Augenblick sah, als eine kleine Welle die zerbrochene Galeone noch weiter krängen ließ.

      Auf dem Deck, dicht am Schanzkleid, lagen zwei tote Spanier. Sie trugen noch ihre Helme, in denen sich bei der leichten Bewegung kurz das Sonnenlicht spiegelte.

      2.

      „Wer geht mit hinüber?“ fragte Hasard, als das Beiboot im Wasser lag und leicht schaukelte.

      Niemand schien etwas gehört zu haben. Jeder begann damit, eine Arbeit zu verrichten, die völlig unnötig war.

      Hätte Hasard gefragt, wer geht mit in die nächste Kneipe, um kräftig einen zu heben, wäre im Nu alles auf den Beinen gewesen und hätte sich um den Seewolf geschart.

      Hier aber wollte niemand mit. Der Jonas war ihnen unheimlich und flößte ihnen Angst ein.

      Gerade als Hasard zum zweiten Mal fragen wollte, überwanden sich Ben Brighton und schließlich auch der Profos. Danach meldeten sich sehr zögernd auch noch Tucker, Dan und Morgan.

      „Ed und Ben genügen“, sagte der Seewolf.


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