Seewölfe - Piraten der Weltmeere 82. Kelly Kevin
Читать онлайн книгу.während der Gefangenschaft auf der Teufelsinsel an sich gebracht hatte. Ohne ein solches Ding an seinem Gürtel hätte er sich nur als halber Mensch gefühlt. Er war froh, daß er die Axt hatte, aber das konnte ihn nicht darüber hinwegtäuschen, daß es mit ihrer Bewaffnung ziemlich trübe aussah.
„Wir können die ‚Isabella‘ nicht unter den Augen der Dons wieder flottmachen“, sagte er. „Und mit den paar Pistolen und Messern können wir nicht die Teufelsinsel leerräumen und einen Krieg mit Cayenne anfangen.“
„Aber der schwarze Segler wird uns suchen“, erklärte Bill mit funkelnden Augen.
Hasard nickte grimmig. Ja, der schwarze Segler würde sie suchen, nachdem die „Isabella“ nicht an dem vereinbarten Treffpunkt zwischen Paramaribo und Cayenne erschienen war. Siri-Tong und Thorfin Njal würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Aber auch der Wikinger und die Rote Korsarin konnten nicht hellsehen.
„Suchen und finden, das sind zwei Paar Schuhe“, knurrte Ed Carberry. „Sollen wir hier vielleicht Wurzeln schlagen, was, wie? Sollen wir warten, bis diese spanischen Rübenschweine die alte ‚Isabella‘ in die Luft sprengen, bevor wir ihnen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen … Ah, du verlauster Decksaffe!“
Der letzte Fluch galt Arwenack, dem Schimpansen, der sich wie auf ein Stichwort aus dem grünen Himmel der Baumwipfel auf Carberrys Schulter herabgehangelt hatte. Jetzt sprang er keckernd auf den Boden und rettete sich zu seinem besonderen Liebling Dan O’Flynn.
Hasard grinste leicht. Der Schimpanse hatte sich tagelang allein auf der „Isabella“ versteckt, bis er und Dan ihn bei ihrem heimlichen Besuch von Bord geholt hatten. Und der Seewolf mußte zugeben, daß er das Maskottchen der Crew vermißt hatte.
„Wir sollten herausfinden, was die Spanier vorhaben“, schlug Ben Brighton, der Bootsmann, in seiner ruhigen Art vor.
Hasard nickte. „Richtig, Ben. Da sie uns immer noch suchen, müßte es uns gelingen, auf eins ihrer Lager zu stoßen. Wenn wir ihre Pläne kennen, können wir sie durchkreuzen und uns darauf einstellen. Allerdings müßten wir dafür etwas beweglicher sein“, fügte er hinzu, wobei er unwillkürlich nach dem breiten, massiven Halseisen tastete, unter dem die aufgeschürfte Haut bei jeder Bewegung wie Feuer brannte.
Auch die anderen trugen noch diese Erinnerungsstücke an die mörderische Gefangenschaft auf der Teufelsinsel. Von den Ketten hatte sie Ferris Tucker mit der Axt befreit, doch die Halseisen waren nicht so leicht zu lösen. Welche Qual es war, sich mit diesen Dingern schnell bewegen zu müssen, hatten Hasard und Dan bei ihrem Ausflug auf die „Isabella“ zur Genüge erfahren.
„Diese niederträchtigen Kakerlaken“, knirschte Carberry. „Diese Rübenschweine! Diese dreimal um die Rahnock gewickelten Klabautermänner …“
Er stockte abrupt. Denn neben ihm war Big Old Shane aufgestanden und griff in seiner bedächtigen Art nach dem Beutel mit den Werkzeugen, den Hasard von der „Isabella“ mitgebracht hatte. Der Hüne suchte darin herum, kratzte seinen grauen Bart und blickte dann Hasard an.
„Wenn ich es richtig sehe, willst du dieses Himmelfahrtskommando ja wohl anführen, was?“
„Und ob du das richtig siehst“, erwiderte der Seewolf.
„Na, dann setz dich mal! Das kriegen wir schon. Wozu ist man schließlich Schmied auf Arwenack gewesen – was, wie?“
Carberry blähte die Nasenflügel. Fing jetzt auch schon dieser Graubart an, sich über ihn lustig zu machen, indem er seine Sprüche klaute? Der Profos murmelte etwas von Haut und Streifen und Affenarsch, aber dann sah er fasziniert zu, wie Big Old Shane mit seinen riesigen, aber ungeheuer geschickten Pranken das Schloß von Hasards Halseisen untersuchte.
Der hünenhafte Schmied nickte ein paarmal. Schließlich wählte er einige Nägel verschiedener Größe als Werkzeuge aus. Einmal holte er kurz Luft, und dann bogen seine kräftigen Finger die stabilen Nägel zu Haken zurecht, als beständen sie aus Wachs statt aus Eisen.
Was dann folgte, war ein Geduldsspiel.
In mühseliger Arbeit knackte Big Old Shane das Schloß des Halseisens. Die anderen sahen zu: fasziniert, brennend vor Ungeduld. Jedesmal, wenn einer der Haken abrutschte, zuckten sie zusammen, fluchten unterdrückt. Ihre Nerven wurden auf eine harte Probe gestellt, aber sie würden noch feststellen, daß bei dem Delinquenten mehr als nur die Nerven strapaziert wurde.
Das Halseisen lag eng an, und es scheuerte empfindlich auf der ohnehin zerfetzten Haut, wenn Shane seine nicht eben schmalen Finger dahinterschieben mußte. Abrutschende Nagelspitzen hinterließen Kratzer, ein paarmal hatte Hasard das Gefühl, im nächsten Moment zu ersticken. Sein Blick glitt über die Gesichter der Männer, die in stummer Spannung verharrten, und er fragte sich, warum, zum Teufel, Ed Carberry nicht für ein bißchen Unterhaltung sorgte mit einigen saftigen Verwünschungen gegen die Spanier, die ihnen diese Teufelsdinger angelegt hatten.
„Jetzt“, brummte Big Old Shane nach einer Weile.
Das Wort wurde von einem Ruck begleitet, der Hasard fast den Kopf abriß, aber dafür schepperte das Halseisen neben ihm auf den Felsen. Erleichtert atmete er auf, tastete über die zerschundene Haut an der Kehle und zog rasch die Finger zurück, weil es höllisch brannte. Mit einem grimmigen Lächeln wickelte er sich einen Fetzen Tuch um den Hals. Als Verband war das zwar völlig ungeeignet, aber es würde wenigstens das Schlimmste verhüten: daß Insekten ihre Eier in den Wunden ablegten und sich diese gräßlichen Maden bildeten, die die Haut anfraßen und schlimme Entzündugen verursachten.
„Und jetzt?“ fragte Big Old Shane mit einem tiefen Atemzug.
Hasard sah in die Runde. Er blickte in abgezehrte Gesichter, eingesunkene, fiebrig glänzende Augen. Eigentlich war jeder seiner Männer reif für eine lange Erholungspause. Eigentlich! Aber sie hatten ja keine Wahl, wenn sie in dieser Hölle nicht elend verrecken wollten.
„Ben und Dan“, sagte Hasard knapp. „Ferris, Ed Carberry, Matt Davies, Batuti …“
Und damit war klar, wer an dem kitzligen Stoßtrupp-Unternehmen teilnehmen würde.
Der „Eilige Drache über den Wassern“ lag mit aufgegeiten Segeln auf der Höhe zwischen Paramaribo und Cayenne.
Wie schwarzes Filigran hoben sich Masten und Stangen im Morgengrauen ab. Die See war ruhig, im Osten über der Kimm lag gleich dem Widerschein einer Feuersbrunst die Glut der aufgehenden Sonne.
Siri-Tong stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells. Ihre rote Bluse leuchtete im brennenden Rot des erwachenden Morgens. Die leichte Brise griff in ihr langes schwarzes Haar, hob es an und ließ es wie ein dunkles Vlies um ihre Schultern fließen.
Massig und dunkel ragte neben ihr die Hünengestalt des Wikingers auf. Thorfin Njals Bart wehte, der Wind strich über die zottigen Felle, die seine Hüften, den Rücken und den mächtigen Brustkasten bedeckten. Nicht einmal hier in den Tropen trennte sich der Riese aus dem Norden von seiner Fellkleidung. Genausowenig, wie er sich je von dem Kupferhelm trennte, dessen Beulen und Kratzer nur zu deutlich bewiesen, wie oft er seinen Träger schon vor einem gespaltenen Schädel bewahrt hatte.
„Es ist sinnlos, glaube ich.“
Die Stimme ertönte aus dem Halbdunkel. Thorfin Njal verengte die Augen, die Rote Korsarin fuhr leicht zusammen. Nicht, weil sie die dunkle Gestalt hinter sich nicht vermutet hatten, sondern weil es höchst ungewöhnlich war, daß der Boston-Mann in einer solchen Situation den Mund auftat.
„Es ist sinnlos“, wiederholte er leise. „Jetzt kommen sie nicht mehr.“
Siri-Tong blähte die Nasenflügel und sog die frische, feuchte Luft ein. Ihre schrägen Augen schimmerten, als sie noch einmal die verschwimmende Linie der Kimm absuchte.
„Sie werden kommen“, beharrte sie.
„Nein, Siri-Tong.“ Der Wikinger formte die Worte tief in der Kehle und wandte sich mit einer bedächtigen Bewegung um. „Sie sind vorausgesegelt, Siri-Tong! Wenn sie auf dem Weg bis hierher in irgendeinen Schlamassel geraten wären, hätten wir es bemerkt,