Seewölfe - Piraten der Weltmeere 186. John Curtis
Читать онлайн книгу.die beiden Gefangenen, denen das hochnotpeinliche Verhör bevorstand und denen auf diese Weise die Zunge gelöst werden sollte, nachdem sie bisher bei keinem der Verhöre auch nur einen Laut von sich gegeben hatten, waren keine geringeren als der Sohn des getöteten Papalagi und seine junge Frau Nu-Nui. Das allein schon verhieß ein großartiges Schauspiel zu werden, denn Nu-Nui war eine Frau von außergewöhnlicher Schönheit.
El Supremo hob die Rechte.
„Versorgt alle mit Wein, wie es an jedem Gerichtstag üblich ist!“ befahl er und quittierte das aufbrandende Gemurmel mit einer huldvollen Geste. Dann erhob er sich.
„Niemand auf Bora-Bora widersetzt sich meinem Willen. Denn ich, El Supremo, dulde das nicht. Ich habe Bora-Bora in eine uneinnehmbare Festung verwandelt. Von hier aus werde ich mein Reich gründen. Ein Reich, das die gesamte Südsee umspannt. Wer mir in Treue dient, der wird von mir belohnt werden, aber wer sich mir widersetzt, auf den wartet der Tod. Ich weiß, daß es auf dieser Insel eine kleine Gruppe von Eingeborenen gibt, die El Supremo, den Göttlichen, stürzen und ermorden wollen. Ich weiß, daß einigen dieser verdammungswürdigen Engländer, die die Frechheit hatten, mich, den Göttlichen, auf offener See anzugreifen und mir schwere Verluste zuzufügen, die Flucht geglückt ist, weil die Eingeborenen ihnen dabei geholfen haben. Deswegen werde ich heute den Sohn des Papalagi und seine Frau befragen, denn sie wissen alles, und dann werde ich alle jene erbarmungslos vernichten, die es gewagt haben, mir zu trotzen.“
El Supremo hob seinen schweren Pokal. Der rote Wein funkelte im geschliffenen Kristall. Die Spanier sprangen auf. Auch sie erhoben ihre Humpen und zollten der Rede des Göttlichen, wie El Supremo sich nannte, lautstark Beifall. Dabei wußten viele von ihnen, daß dieser Mann nicht normal war, aber sie hüteten sich, sich das auch nur im geringsten anmerken zu lassen, denn El Supremo hatte auf Bora-Bora die absolute Macht. Dreihundert Soldaten scharten sich um ihn und beherrschten die Insel bis in den letzten Winkel.
Nur ein kleines Gebiet zwischen den beiden heiligen Bergen Paja und Otemanu hatte sich bisher ihrer Schreckensherrschaft entzogen. Was immer El Supremo an schwerbewaffneten Soldaten dorthin entsandt hatte – sie waren spurlos verschwunden und niemals wiedergekehrt. Auch dieses Problem wollte El Supremo an diesem Abend lösen.
Durch einen glücklichen Zufall war es einem Trupp seiner Soldaten gelungen, des Anführers der Aufständischen und seiner jungen, bildschönen Frau habhaft zu werden. Dabei war die junge Frau für El Supremo beinahe noch wertvoller als der Sohn des Papalagi, dessen Namen niemand kannte.
El Supremo hatte sich vorgenommen, Nu-Nui zuerst foltern zu lassen, und ihr Mann würde es mitansehen müssen. Das würde ihn zum Reden bringen, ohne daß El Supremo Gefahr lief, den Sohn des Papalagi schon durch die Folter zu töten.
Denn eins war seltsam bei den Eingeborenen Bora-Boras: es gab Dinge, die zwar jeder Spanier leicht zu ertragen vermochte, aber die Eingeborenen starben daran. Plötzlich, ohne daß man noch irgend etwas dagegen tun konnte.
Im Saal des Regierungspalastes entstand eine Bewegung. Der Foltermeister und seine Knechte zogen ein. In großen Körben schleppten sie ihr furchtbares Handwerkzeug mit sich. Zangen, Nadeln, Fuß- und Daumenschrauben und andere schreckliche Dinge. Dicht hinter ihnen folgten zwischen einem Trupp von Spaniern, deren schwere Kupferhelme im Licht der flackernden Fackeln glänzten, die beiden Gefangenen – ein noch junger Eingeborener von athletischem Körperbau und eine Frau, ebenfalls hochgewachsen und von einer Schönheit, die unwillkürlich die meisten den Atem anhalten ließ.
Beide trugen an den Händen schwere Eisenfesseln, aber die Ketten waren lang genug, um ihnen genügend Bewegungsfreiheit zu lassen. Sie würdigten die Spanier keines Blickes, und schon das allein, diese offen zur Schau getragene Verachtung, versetzte El Supremo in rasende Wut. Aber er beherrschte sich und ließ sich nichts anmerken.
Wenige Schritte vor dem Thron, unmittelbar neben der Folterbank, blieben der Foltermeister und seine Knechte stehen und verneigten sich fast bis zum Boden. Anders die beiden Eingeborenen. Sie dachten gar nicht daran, ihre Knie zu beugen, sondern starrten El Supremo aus ihren dunklen Augen nur an.
El Supremo lief rot an.
„Auf die Knie mit ihnen!“ schrie er außer sich vor Wut. „Bringt ihnen bei, wie man sich El Supremo gegenüber zu verhalten hat!“
Einer der Spanier, der sich eben wieder aus seiner gebückten Haltung aufrichtete, befolgte den Befehl sofort. Er schlug erst dem Sohn des Papalagi und dann Nu-Nui die Hellebarde in die Kniekehlen. Sofort knickten den beiden die Beine weg, und sie stürzten zu Boden. Darauf sprang ein zweiter Spanier herbei und setzte dem Sohn des Papalagi die Spitze der Hellebarde auf den Rükken, als er sich aufrichten wollte. Das gleiche geschah bei Nu-Nui.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, sie mußten diese Demütigung hinnehmen, aber niemand sah, daß sie sich mit einem raschen Blick verständigten. Auch El Supremo entging dieser Blick. Aber Nu-Nui und ihrem Mann genügte er.
El Supremo baute sich vor den beiden auf und gab den beiden Spaniern mit den Hellebarden einen Wink. Die Soldaten zogen die Waffen zurück.
„Aufstehen!“ befahl El Supremo. „Wenn ich mit euch rede, dann habt ihr zu stehen!“
Nu-Nui und ihr Mann erhoben sich. Der Blick des Anführers der Aufständischen streifte die Folterbank, und sofort wußte er, was ihnen bevorstand. Blitzschnell sah er sich weiter um. Dann zuckte er wie ein jäher Entschluß über sein ebenmäßig geschnittenes Gesicht. Er wandte sich Nu-Nui zu und wollte etwas zu ihr in seiner eigenen Sprache sagen, von der er wußte, daß die Fremden sie nicht verstanden. Aber El Supremo kam ihm zuvor. Er winkte einen schmächtigen Mann zu sich heran, der weder Weißer noch Eingeborener war.
„Du wirst jetzt dolmetschen, Juan“, sagte er. „Aber wehe, wenn du ein falsches Spiel mit mir zu treiben versuchst, du weißt, was darauf steht.“
Der Mann knickte in sich zusammen und verneigte sich tief.
„Sehr wohl, Göttlicher! Nie würde ich es wagen, auch nur eins deiner erlauchten Worte …“
El Supremo schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. Dann blickte er die beiden Eingeborenen an. Und fast tat es ihm um die bildhübsche junge Frau leid, die, einen bunten Rock um die Hüften geschlungen mit ihren kleinen festen Brüsten, so nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, wor ihm stand. El Supremo entging auch nicht, wie lüstern die anderen Spanier Nu-Nui anstarrten. El Supremo hatte es schon zu oft erlebt, er wußte, wie Menschen nach der Folter aussahen.
Er wandte sich dem Sohn des Papalagi zu.
„Wie heißt du?“ ließ er durch den Dolmetscher fragen.
Er erhielt keine Antwort, dafür aber einen Blick, der dem Göttlichen das Blut in die Wangen trieb. Einen Moment verspürte El Supremo das Bedürfnis, sich auf diesen Eingeborenen zu stürzen, aber er bezwang sich. Er ballte seine Hände zu Fäusten, daß die Knöchel weiß hervortraten.
„Du willst immer noch nicht antworten?“ fragte er mit leiser Stimme. „Du wirst reden, heute, hier und jetzt!“
El Supremo tat noch einen Schritt auf den Sohn des Papalagi zu.
„Ich lasse jetzt deine Frau auf die Folterbank spannen. Die Folterknechte werden sie sich vornehmen, und du wirst zusehen. Ich kenne mich aus, du wirst darum betteln, daß die Folterknechte aufhören, du wirst mich auf den Knien anflehen, daß ich dir erlaube, zu reden und alles zu sagen, was du weißt!“
Der Dolmetscher übersetzte, und zum erstenmal zeigte der Sohn des Papalagi Wirkung. Er wurde grau im Gesicht, alle Farbe wich aus seinen Wangen. Er wußte, daß dieser Teufel in Menschengestalt tun würde, was er angedroht hatte. Er kannte die Weißen, die seine Insel überfallen hatten, und er wußte, zu was diese Bestien fähig waren.
Blitzschnell, ehe es jemand verhindern konnte, hatte er seiner jungen Frau ein paar Worte in einem Dialekt zugerufen, die auch der schmächtige Dolmetscher nicht verstand.
Auch Nu-Nui war blaß geworden, auch sie wußte, was ihr bevorstand.
Dann handelte der Sohn des Papalagi. Er sprang vor, zu verlieren hatte er ohnedies nichts