Seewölfe - Piraten der Weltmeere 88. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 88 - Roy Palmer


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der Kahn stammt, was wir damit schon alles erlebt haben und was noch im weiteren passieren kann.“ Er stieß einen Fluch aus. „Es gibt fliegende Schiffe, Spuklichter und den Fluch des Jonas auf See, aber das ist alles nichts gegen die Hexereien, die die Zopfmänner aushekken.“

      Die Erinnerung an das, was sie nach dem Abenteuer bei den Amazonen und Inkas im Amazonas-Delta erlebt hatten, war noch frisch. Wer von ihnen würde jemals vergessen, wie die Männer des plötzlich aufgetauchten Drachenschiffs Siri-Tong und den Wikinger entführt hatten, wie die Vergangenheit der Roten Korsarin aufgedeckt worden war, wie sie fast ihr Leben verwirkt hätte!

      Old Donegal Daniel O’Flynn traute Siri-Tong manchmal nicht so recht über den Weg, aber damit tat er ihr unrecht.

      „Er hat seine Schrullen“, pflegte Dan über seinen Alten zu urteilen, wenn Old Donegal mal wieder mit seinen Prophezeiungen vom Leder zog. Und jeder Mann an Bord wußte die Worte des Alten richtig zu werten.

      Nur eins blieb: der Aberglaube.

      Hasard haßte Unkereien, er wandte sich zu Old O’Flynn um und rief: „He, Donegal, sag mir lieber, was den Don in diese Gegend treibt, statt so hohle Sprüche zu klopfen!“

      „Der sucht uns, ist doch klar!“ schrie O’Flynn.

      „Einer allein?“ rief Ferris Tucker.

      „Unsinn, der gehört zu einem Geschwader“, sagte Big Old Shane. „Hölle und Teufel, das heißt, daß wir auch auf die anderen Schiffe stoßen und sie dann alle am Hals haben könnten. Ich schätze, wir müssen mächtig auf der Hut sein.“

      Hasard grinste in sich hinein. Daß sie mitten in einen spanischen Kriegsschiffverband geraten waren, hielt auch er für wahrscheinlich. Aber es fragte sich, ob den Dons der Sinn danach stand, sich heute mit ihm anzulegen.

      Egal, er hoffte, daß der Spanier ihn erkannt hatte. Das würde ihn und seine Landsleute zu den verrücktesten Mutmaßungen veranlassen. Auch die Dons waren abergläubisch, und vielleicht glaubten sie, einem Geisterschiff begegnet zu sein. Inzwischen mußte es sich herumgesprochen haben, wie dem spanischen Schiffskonvoi geschehen war, der zuletzt auf dem Amazonas nach der „Isabella“ und dem schwarzen Segler gefahndet hatte.

      Die „Isabella“ und der „Eilige Drache über den Wassern“ waren samt ihren Besatzungen verschwunden gewesen. In der „Selva“, dem Regenwald, der grünen Fieberhölle verschollen.

      Dies war das Verdienst der Versteck-, Tarnungs- und Fallenkünste der Amazonen. Enttäuscht und erbittert waren Hasards Todfeinde wieder umgekehrt, und von Cayenne und den anderen Häfen und Siedlungen an der Ostküste aus hatte die Nachricht über das Untertauchen des Seewolfes ihren Weg genommen.

      Hasard glaubte fest daran, noch weiteren Kriegsschiffen zu begegnen. Er nahm sich vor, sie gründlich zum Narren zu halten – soweit der Sturm es zuließ.

      Was Dan O’Flynn wenig später aber im verwehenden Nebel sichtete, waren alles andere als massive, gut bestückte Kriegssegler.

      Es handelte sich vielmehr um zwei jämmerlich abgetakelte Galeonen, die vor dem Sturmwind trieben. Sie schienen überhaupt nicht mehr manövrierfähig zu sein und waren zum Spielball der Wellen geworden.

      „Nun sieh dir das an“, sagte Hasard zu Ben. Er reichte ihm das Spektiv. „Und so was schwimmt noch. Allmächtiger, das Wetter wird sie zerschmettern.“

      „Willst du sie verfolgen?“

      Hasard schüttelte den Kopf. „Ich glaube, da gibt es wirklich nichts zu holen. Außerdem habe ich im Moment andere Sorgen.“

      Die „Isabella“ lag inzwischen wieder hart am Wind, segelte also mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug liegend. Der Sturm tobte mit unverminderter Heftigkeit und drohte sie zur Küste zu drängen, so wie die beiden spanischen Galeonen, deren Namen und Bestimmung den Seewölfen nicht bekannt waren.

      2.

      Mitten im Tosen der Naturgewalten hatten sich die portugiesischen Siedler doch wieder unter Deck der „Santa Barbara“ und der „San Domingo“ zurückgezogen. Ein Mann war außenbords gespült worden, als ein Brecher die „Santa Barbara“ überflutet hatte. Carlo hatte sich in die brodelnde See stürzen wollen, um dem armen Teufel zu helfen. Ricardo Prado hatte ihn jedoch zurückgehalten.

      Es gab nicht genügend Halt auf der taumelnden Plattform des Hauptdecks, alle, besonders die Frauen und Kinder, drohten das gleiche Schicksal wie der Schiffbrüchige zu finden. So nahmen sie es in Kauf, wie die Tiere unter Deck zu hocken, in Dreck, üblen Gerüchen und kaum sauerstoffhaltiger Luft, aneinandergeklammert, hin und her geworfen.

      Erschüttert sahen Ricardo und Carlo auf die Szene.

      „Es ist das Ende“, sagte eine Frau im Donnern der Sturmwogen. „Der Herr stehe uns bei.“

      „Vater unser, der du bist im Himmel“, begann eine andere. Die anderen Frauen fielen mit ein, dann stimmten auch die Männer mit in das Gebet ein. Und je wütender Wind und Wasser auf die „Santa Barbara“ einhieben, desto lauter und flehender wurde der Chor der Todgeweihten.

      Dona Teresa, eine besonders mutige, stämmige Frau Ende der Vierzig, hielt zwei junge Mädchen an sich gepreßt und strich ihnen über die Köpfe. Die Mädchen weinten hemmungslos. Eine von ihnen kannte Carlo mit Namen, sie hieß Magdalena. An den Namen der anderen erinnerte er sich nicht.

      „Ave Maria“, riefen die Frauen. „Ave Maria, barmherzige Mutter Gottes, hilf uns …“

      Urmächte richteten sich vor der „Santa Barbara“ auf, Klauen der Finsternis schienen sich nach ihr auszustrecken, dann fiel das Verhängnis mit Brüllen und Tosen über die alte, reparaturbedürftige Galeone her. Ein Schlag traf sie, als hieben Riesen mit Hämmern gegen ihre Bordwände, sie erzitterte bis in die letzten Verbände.

      Männer, Frauen und Kinder schrien auf, bevor sie durcheinandergewirbelt wurden. Sie hörten nicht auf, „Ave Maria“ zu rufen. Sie klammerten sich in der Stunde des Todes nur noch fester aneinander, bekannten ihre Sünden, flehten um Gnade und Erbarmen.

      Carlo stieß sich den Hinterkopf an einem Balken. Es dröhnte in seinem Schädel, fast schwanden ihm die Sinne. Er wußte nicht, wo Ricardo war, was aus Dona Teresa und Magdalena und dem anderen Mädchen geworden war, er sah nur eine düstere, wogende Masse aus Leibern vor sich, hörte das Geschrei und das Heulen aller Dämonen der Hölle, das Orgeln von Höllenstürmen, und er glaubte, gleichzeitig Bronzeglocken dröhnen und die Apokalyptischen Reiter galoppieren zu hören.

      Auf dem Höhepunkt des rasenden Infernos splitterte und krachte der Rumpf der „Santa Barbara“ ohrenbetäubend. Alles brach zusammen, alles versank in erlösender Finsternis.

      Die Küste, dachte Carlo nur noch, Riffe …

      Er glitt auf einer schwarzen Rutschbahn geradewegs in den Höllenschlund, ein letzter Gedanke gab ihm ein, daß dieses Abtreten von der großen Weltbühne genauso war, wie er es sich in seinen finstersten Ahnungen immer vorgestellt hatte.

      Carlo tauchte in die Hölle ein, aber sie war nicht heiß, sondern kalt und ernüchternd. Er drehte sich, arbeitete mit Händen und Füßen wie ein verzweifelter, in den Fluß geworfener Hund, gewann Auftrieb und schoß nach oben. Konturen glitten an ihm vorbei, Düsteres, Undefinierbares – Felsen? Wrackteile? Menschen?

      Er geriet mit dem Kopf über Wasser, schnappte japsend nach Luft und griff instinktiv nach dem ersten Gegenstand, der ihm zwischen die Finger geriet. Es war ein Stück Schiffsbalken, morsch und verrottet wie alles auf der „Santa Barbara“. Für Carlo war er ein Geschenk des Himmels. Er klammerte sich an dem Holz fest und trieb im Sturm dahin.

      Wohin? Er wußte es nicht.

      Ein menschlicher Kopf tauchte neben ihm aus den Fluten hoch. Carlo gewahrte ein schlankes Gesichtsoval mit feingeschnittenen Zügen und langen schwarzen Haaren.

      „Magdalena“, stieß er aus. Er streckte die Hand aus, rief noch einmal ihren Namen, dann griff sie zu.


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