Seewölfe Paket 11. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 11 - Roy Palmer


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hätte gerade Platz gehabt, um hindurchzukriechen. Daß es aber dennoch kein geeigneter Fluchtweg war, erkannten die Männer von der „Isabella“ sehr bald, denn die Stulpenstiefel eines Portugiesen wurden vor dem hellen Viereck sichtbar.

      Der Boden des kellerartigen Raumes bestand aus festgestampftem Lehm.

      Matt Davies kratzte mit seinem Prothesenhaken am Mauerwerk.

      „Wenn wir genug Zeit haben“, stellte er fest, „können wir einen von den Steinblöcken rauskriegen. Eisenteile, die sich als Werkzeug verwenden lassen, haben wir schließlich genug.“ Er klirrte mit seinen Ketten.

      „Dazu müßten wir die verdammten Dinger erst mal loswerden“, sagte Luke Morgan, der mit Matt zusammengekettet war.

      „Wir brauchen einen Steinbrocken oder einen anderen harten Gegenstand“, sagte Dan O’Flynn, „damit wir die Splinte losschlagen können.“

      Die anderen brummten zustimmend, und sie begannen, den Boden des kellerartigen Raumes abzusuchen. Natürlich waren sie am Strand entwaffnet worden. Einen Pistolenknauf oder den Griff eines Entermessers hatten sie daher nicht zur Verfügung.

      „Ob mit Ketten oder ohne“, knurrte Edwin Carberry, „wenn ich einen von diesen Hunden nur richtig erwische, ramme ich ihn so oder so unangespitzt in den Boden.“

      7.

      „… werden wir uns deshalb in zwei Gruppen aufteilen“, sagte der Seewolf gerade. „Wir brechen sofort auf, denn ich werde das Gefühl nicht los, daß wir keine Minute verlieren dürfen. Die erste Gruppe hat also mehr oder weniger die Aufgabe, die Wächter am Strand abzulenken, während die zweite …“

      Bills gellende Stimme aus dem Großmars unterbrach ihn.

      „Deck! Am Strand! Da tut sich etwas!“

      Die Köpfe der Männer, die sich auf der Kuhl versammelt hatten, ruckten herum. Wohlweislich hatte Hasard den Moses für die Dauer der Lagebesprechung in den Ausguck geschickt. So waren sie nicht gezwungen, ständig ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Insel zu richten. Daß auf den Moses Verlaß war, hatte er ja an diesem Tag schon einmal hinreichend bewiesen.

      Gemeinsam mit seinen Männern eilte der Seewolf ans Schanzkleid. Er zog das Spektiv auseinander und hob es ans Auge.

      Zunächst war nichts Genaues zu erkennen – lediglich so viel, daß sich eine ähnlich große Menschenansammlung wie zuvor durch den Palmenwald auf den Strand zubewegte. Daß Bill dies bereits gemerkt hatte, zeigte, wie scharf seine Augen waren.

      Die Männer an Bord der „Isabella“ hielten den Atem an.

      Minuten später starrten sie fassungslos, mit weit aufgerissenen Augen zur Insel hinüber.

      Dann, als sie klarer sahen, stieg ihnen allen die Zornesröte ins Gesicht.

      Es war niemand anders als Edwin Carberry, den sie ans Wasser schleiften.

      Schleiften!

      Zusätzlich zu den Ketten war der Profos von Kopf bis Fuß mit Strikken zusammengeschnürt worden. Er hatte keine Chance, sich noch zur Wehr zu setzen. Sechs Indonesier waren notwendig, um ihn zu dem Auslegerboot zu zerren.

      Eine furchtbare Ahnung stieg in Hasard auf. Er wandte sich um.

      „Ladet die Musketen!“ rief er. „Schnell! Wir müssen auf das Schlimmste gefaßt sein!“

      Die Männer stellten keine Fragen. Noch wußten sie nicht, was Ed Carberry bevorstand. Aber instinktiv spürten sie, daß es von ihnen abhing, ob er am Leben bleiben würde.

      Der Seewolf beobachtete wieder den Strand.

      Von Dan O’Flynn, Matt Davies und den drei anderen war nichts zu sehen. Merkwürdig. Noch ergab dieses teuflische Spiel, das sich hier anbahnte, keinen rechten Sinn.

      Die Mehrzahl der Indonesier verharrte unmittelbar vor dem Palmenwald. Etwas abseits stand die Gruppe der Portugiesen. Neben ihnen Kapitän Einauge und eine weitere kleine Schar, die Hasard zuvor noch nicht gesehen hatte. Aber nach dem Äußeren dieser Leute wußte er, daß es sich um den Raja und sein Gefolge handelte.

      Laurindo de Carvalho redete gestikulierend auf den buntgekleideten kleinen Mann mit der weißen Kopfbedeckung ein. Der Raja bewegte den Kopf bedächtig von einer Seite zur anderen. Hasard wußte, daß dies das Zeichen für Zustimmung war – was einem Kopfnicken in Europa entsprach.

      Kapitän Einauge hatte also diesen Plan, was immer es auch sein mochte, mit dem Inselherrscher abgestimmt. Folglich mußten sie etwas ausgeheckt haben, was ihrem gemeinsamen Interesse diente.

      Auf Edwin Carberrys Kosten.

      Aus der Gruppe des Raja-Gefolges löste sich jetzt ein weißgekleideter Mann. Hasard identifizierte ihn sofort als Brahmanen. Der Hindu-Priester ging mit gemessenen Schritten auf das Auslegerboot zu.

      Hinter sich hörte Hasard die eilige Geschäftigkeit seiner Männer. Al Conroy überwachte das Laden der Musketen.

      Der Seewolf wußte schon jetzt, daß ihm praktisch nur zwei Möglichkeiten blieben.

      Entweder mußte er zu erkennen geben, daß er zur Übergabe des Schiffes bereit war, bevor Ed Carberry etwas zustieß.

      Oder sie mußten den Profos mit gutgezielten Schüssen retten.

      Letzteres barg ein unkalkulierbares Risiko, weil keinerlei Gewißheit darüber bestand, was mit den fünf übrigen Männern geschehen war, die dem Einäugigen in die Hände gefallen waren.

      Vor dem Auslegerboot blieb der Brahmane stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

      Die sechs Indonesier hatten den Gefesselten mittlerweile auf die vordere kleine Plattform des Bootes gezerrt, das bereits im seichten Wasser dümpelte. Abwartend blieben sie stehen, hielten dem Brahmanen gegenüber devot die Köpfe geneigt und achteten gleichzeitig darauf, daß sich der Gefesselte nicht vom Boot rollte.

      Der Hindu-Priester nickte zufrieden. Dann drehte er sich langsam um und gab ein Handzeichen zur Menge der Wartenden am Palmenwald.

      Eine Gruppe von Indonesiern, vier Mann diesmal, setzte sich in Bewegung. Sie zogen geflochtene Bastsäkke hinter sich her, die sie über den dunklen Sand schleiften.

      „Musketen geladen!“ meldete Al Conroy.

      „In Ordnung“, sagte der Seewolf, ohne den Kieker abzusetzen, „verteile die Waffen, Al. Die Männer sollen sich schußbereit aufstellen, die Musketen aber noch verborgen halten. Außerdem je eine Muskete für Ben und mich.“

      „Aye, aye, Sir.“

      Hasard drehte sich nicht um. Er wußte, daß er sich auf den Stückmeister und jeden einzelnen Mann verlassen konnte. Eine Unbedachtsamkeit würde es nicht geben. Dazu wußte jeder viel zu genau, daß das Leben Edwin Carberrys möglicherweise von ihrem Geschick oder Ungeschick abhängen würde.

      Jeder von ihnen wünschte sich in diesem Moment, die dröhnenden Sprüche des Profos über Deck schallen zu hören.

      Wie sie ihn jetzt dort drüben auf dem Auslegerboot sahen, war es ein verdammt schmerzlicher Anblick – unwürdig für einen aufrechten Mann wie Ed, der unter seiner rauhen Schale doch immer einen weichen Kern bewahrt hatte.

      Hasard konzentrierte sich wieder auf das, was sich am Strand abspielte.

      Die Indonesier, die die Bastsäcke mit ihrem offenbar schweren Inhalt herangeschleppt hatten, erreichten das Boot und zerrten die Säcke ins knöcheltiefe Wasser.

      Hasard begriff plötzlich, was geschehen würde. Es brachte ihn fast um den Verstand. Eine imaginäre glühende Faust wühlte in seinem Magen.

      Aber in diesem Augenblick konnte er nichts für Carberry tun. Noch nicht. Solange das Boot am Strand lag, war es sinnlos.

      Die Minuten verrannen quälend langsam.

      Auf der „Isabella“ war es totenstill.


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