Seewölfe - Piraten der Weltmeere 307. Roy Palmer
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© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-704-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Tiefgraue Wolken trieben über die Wasserwüste und zogen eilig weiter nach Nordosten – so; als würden sie dort oben auf dem finnischen Festland erwartet, wo die Seen noch zugefroren waren und Schnee wie weißer Samt auf den weiten Ebenen und den wenigen Hügeln lag.
Matti Hakulinen hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt und beobachtete die Wolken. Er stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck seiner Galeone und glich die schwankenden Schiffsbewegungen aus, indem er sein Körpergewicht von einem Bein aufs andere verlagerte.
Er war ein Brocken von Mann, dieser Hakulinen, hart und finster, mit einem Hang zur Brutalität – ein Kerl zum Fürchten. Seine blauen Augen beherrschten ein kantiges, von Furchen und Narben gezeichnetes Gesicht, in dem eine knochige, gebogene Nase und ein dünnlippiger Mund wie Rivalen aufeinanderstießen. Sein strohblondes Haar war kurz geschnitten und unterstrich den Ausdruck der Roheit und Zähigkeit, der von seiner ganzen Erscheinung ausging.
„Pulkila!“ rief er gegen das verhaltene Pfeifen und Jaulen des Südwestwindes an.
Pulkila, der Bootsmann, stieg den Backbordniedergang von der Kuhl zum Achterdeck hoch und meldete sich bei seinem Kapitän.
„Ich will wissen, ob es Sturm gibt“, sagte Matti Hakulinen.
Pulkila hielt nun ebenfalls seine Nase in den Wind.
„Vielleicht nur Regen“, sagte er. „Das wird sich heute nacht entscheiden. Lieber wäre mir allerdings ein Wetter, bei dem sich die verdammten Masten biegen.“
„Warum?“ Hakulinens Gesicht verzog sich zu einer drohenden Grimasse.
„Weil wir dann einen Nothafen anlaufen müssen“, entgegnete der andere, der selbst ein großer Mann mit breiten Schultern und ausgeprägten Muskeln war. „Stockholm ist nicht weit entfernt. Wäre das nichts?“
Hakulinen mußte nun doch lachen. „Ja, um dort die Mäuse auf dem Tisch tanzen zu lassen, oder?“
„Und die Puppen“.
Hakulinens Mundwinkel sanken herunter, er schnitt wieder eine Grimasse. „Das könnte dir so passen, du Hund. Kaum sind wir in See, willst du schon wieder herumhuren und dich vollaufen lassen. Wenn es Sturm gibt, dann reiten wir ihn ab.“
„Jawohl, Kapitän.“
„Sag das auch den anderen, sie sollen sich keinen Hoffnungen hingeben, diese Bastarde. Wir segeln in einem Stück bis nach Lübeck.“
„Jawohl.“ Pulkila wußte, daß er jetzt aufpassen mußte. Matti Hakulinen konnte von einem Augenblick auf den anderen wie ein Faß Pulver explodieren, man durfte den Bogen bei ihm nie überspannen.
„Was ist mit Mäkilä? Hast du ihm in die Kessel gesehen?“
„Ja. Die Mittagsmahlzeit dürfte etwas besser ausfallen als die vorherigen.“
„Nein. Was er kocht, ist der scheußlichste Fraß“, sagte Hakulinen. „Wenn er sich nicht ändert, werfe ich ihn achtkantig über Bord.. Für die nächste Überfahrt suchst du mir einen besseren Koch, oder du kannst selber was erleben.“
Pulkila zeigte klar und zog sich vom Achterdeck zurück. Trotz der Kälte hatte er zu schwitzen begonnen. Ja, der neue Koch Mäkilä, der in Abo bei ihnen angeheuert hatte, hatte sich als glatter Reinfall erwiesen. Von seinem Beruf verstand er nicht sehr viel mehr als Alavus, der Profos, vom Heringsräuchern oder Kuhmo, der die Funktionen des Schiffszimmermannes, des Segelmachers und des Schmiedes an Bord versah, vom Ziegenmelken – das hatte sich in den wenigen Tagen herausgestellt, die die Galeone unterwegs war.
Für den Fehlgriff fühlte sich Pulkila verantwortlich, denn er hatte Mäkilä beschwatzt und überredet, die Musterrolle zu unterschreiben. Hatte er denn ahnen können, daß der Kerl nur das Wasser in den Kombüsenkesseln kochen und Speckseiten in Streifen schneiden konnte?
„Was ist los?“ fragte Alavus, ein Bulle von Mann, als Pulkila auf der Kuhl an ihm vorbeiging. „Der Alte ist heute wohl wieder mal nicht zu genießen, wie?“
Pulkila blieb stehen und hielt sich an der Nagelbank fest. „Eins steht fest – wenn Mäkilä sich nicht mehr Mühe gibt, drehe ich ihm eigenhändig den Hals um.“
„Dabei helfe ich dir“, brummte der Profos.
Hakulinen betrachtete indes wieder die Wolken. Er hatte sich ganz nach achtern zurückgezogen und mit dem Rücken gegen die Heckreling gelehnt. Was er zu Pulkila gesagt hatte, überstieg bei weitem das Maß dessen, was er sonst zu reden pflegte. Er war ein wortkarger Mensch, der die Tat liebte, nicht die Sprache. Nun, wenn die „Höllenbande“, wie er die Mannschaft gelegentlich zu nennen pflegte, nicht so spurte, wie er es verlangte, würde er dem Profos die neunschwänzige Katze abnehmen und sie selbst schwingen. Das wirkte besser als hundert Worte. Es ging darum, die Ladung so schnell wie möglich nach Lübeck zu bringen, koste es, was es wolle. Erst danach gab es wieder Landurlaub.
Das Schiff hieß „Katkorapu“ – was übersetzt „Krabbe“ bedeutete – und war eine finnische Handelsgaleone aus Abo. Sie war dort vor acht Jahren vom Stapel gelaufen, hatte dort einen festen Liegeplatz und wechselweise vier verschiedene Besitzer gehabt. Alles in allem war sie ein seetüchtiger, leidlich gut manövrierbarer Dreimaster.
An diesem 1. März 1593 stand die „Katkorapu“ mit Südwestkurs in der nördlichen Ostsee zwischen Stockholm und der Insel Dagö. Sie hatte bereits zu Planken geschnittenes Eichenholz als Ladung an Bord, das von einer Werft in Lübeck geordert worden war. Gutes, lange abgelagertes, knochentrockenes Holz war das, so hart wie Eisen und damit hervorragend für den Schiffsbau geeignet. Es gab kaum ein Material, das es an Qualität mit dieser Sorte Holz aufnehmen konnte, nicht einmal die südländische Pinie oder Edelkastanie, aus denen die Spanier und Venezianer ihre Schiffe bauten. Hakulinen hatte hin und wieder in den Häfen mit ausländischen Kapitänen und Kaufleuten zu tun, doch über ihre Schiffe äußerte er sich immer in abfälliger Weise. Nichts ging über solide finnische Eiche – er wußte, was seine Ware wert war.
Die „Katkorapu“ gehörte einem Handelshaus in Abo, das mit Lübeck in Geschäftsbeziehungen stand. Kapitän und Crew fuhren für die Rechnung des Handelshauses, jedoch auf eigene Gefahr, so daß ihr Risiko keineswegs gering war. Havarie oder Untergang bedeuteten auch für sie den größten denkbaren Verlust, und zu der Heuer, die sie in jenem Fall in den Wind schreiben konnten, gesellte sich auch noch die Schande. Welcher Seemann ließ sich gern nachsagen, daß er mit