Seewölfe - Piraten der Weltmeere 202. Davis J.Harbord

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 202 - Davis J.Harbord


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der Gesamtlänge des Stammes, der einen Durchmesser von mindestens sechs Fuß hatte.

      Darum auch hatte die „Isabella“ angeluvt. Dieses Monstrum wirkte, als habe Pete Ballie mit einem riesigen Ruderblatt nach Steuerbord Hartruder gelegt.

      Und sein Ruder war verklemmt, weil sich irgendein Ast von diesem Riesen von unten in den Zwischenraum von Achtersteven und Vorkante Ruderblatt geschoben hatte und jetzt wie eingekeilt festsaß. Anders konnte es nicht sein.

      Ferris Tuckers Verstand arbeitete wie rasend. Sekundenschnell formte sich ein Bild.

      Diese Stelle dort unten zwischen Ruderblatt und Achtersteven – unter Wasser! – war immer kritisch gewesen, weil sich etwas festsetzen konnte.

      Am Ruderblatt waren die Beschläge mit den Fingerlingen befestigt und ihnen gegenüber am Achtersteven die Ruderösen, in welche die Fingerlinge eingeschoben wurden, damit das Ruderblatt drehbar gelagert war. Diese beiden Beschläge – Ösen und Fingerlinge, insgesamt sechs Paar – überbrückten den Leerraum zwischen Achtersteven und Ruderblatt. Dieser Leerraum mußte sein, damit das Ruderblatt genügend Spielraum nach beiden Seiten hatte. Dazwischen konnte man gut und gern einen Männerschenkel schieben – und so dick mußte der Ast sein, der sich dort unten verklemmt hatte.

      Wie gesagt, das überdachte Ferris Tucker innerhalb von Sekunden, und schon passierte das, was er in der Konsequenz seiner Gedanken befürchtete.

      Ast samt Riesenstamm wirkten wie ein gewaltiger Hebelarm – solange die „Isabella“ noch Fahrt lief.

      Es knirschte und splitterte, und damit war klar, daß dieser monströse Hebelarm mindestens die drei untersten Beschlägepaare aus Achtersteven und Ruderblatt gebrochen hatte.

      Ferris Tucker hängte sich weit über das Steuerbordschanzkleid – und da sah er es auch.

      Das Ruderblatt hing schief und nur noch in den beiden oberen Beschlägen. Also waren vier „im Eimer“.

      „Scheiße“, sagte Ferris Tucker erbittert, „dreimal verdammte Scheiße.“

      Und auf der Kuhl brüllte Edwin Carberry zum Mars hoch und stellte die höfliche Frage, ob der verdammte Affenarsch von Ausguck den verdammten Stamm nicht verdammt noch mal hätte sichten und melden können.

      Der „verdammte Affenarsch“, im Ausguck war der blonde Schwede Stenmark, und der brüllte zurück, daß er verdammt noch eins nicht unter, sondern über Wasser Ausguck ginge.

      „Ruhe an Deck!“ schnitt Hasards Stimme dazwischen, und sie hatte jenen Klang, der verriet, daß es jetzt besser sei, von weiteren Disputen abzusehen. „Sechs Mann nach achtern, Ed! Bringt Stangen mit, damit wir das Ding von oben wegstemmen können!“

      „Aye, aye, Sir!“ röhrte Carberry und wurde wieder betriebsam. Aus Versehen trat er auf die tote Ratte, die immer noch an Deck neben der Ladeluke lag, und beförderte sie mit einem wüsten Tritt neben das Schott zum Vordeck.

      Na, mit den beiden Lümmeln würde er noch ein Hühnchen rupfen, aber das war jetzt zweitrangig.

      Aber dann standen ihm nahezu die Haare zu Berge, denn die beiden „Lümmel“ waren irgendwie ungesehen nach achtern gelangt, hatten sich bereits am Ruderblatt nach unten gehangelt und gingen auf dem Urwaldriesen „spazieren“!

      Auf dem wippten sie!

      Das Wasser ging ihnen bis zum Bauchnabel, aber sie balancierten auf dem Ding – und dann gingen sie baden, als sich der Stamm plötzlich drehte und aus der Verhakung löste.

      Die sechs Männer mit den Stangen standen da wie bestellt und nicht abgeholt und grinsten breit.

      Die „Rübenschweinchen“ hatten das Problem bereits gelöst. Durch ihr Gewippe war der Stamm losgekommen.

      Hasard und Philip planschten zum Achtersteven zurück und enterten wie Katzen auf. Quietschnaß erschienen sie auf dem Achterdeck.

      Hasard junior wischte sich das nasse Haar aus dem Gesicht und meldete sachlich: „Das Ruder ist im Arsch, Sir!“

      „Sir“ – das war Philip Hasard Killigrew, der die Fäuste in die Seiten gestemmt hatte und seine Sprößlinge musterte, als sei er sich nicht so recht klar, ob er ihnen die Ohren langziehen oder sie loben solle.

      Er entschied sich, die Ausdrucksweise des älteren Juniors zu rügen – Hasard junior war um etwa fünf Minuten älter als sein Zwillingsbruder Philip.

      „Was ist das Ruder?“ fragte er mit dem genügenden Frost in der Stimme.

      „Im“, sagte Hasard junior und räusperte sich, „im Schlechtestzustand, Sir. Ich hab den Ruderbeschlag direkt unter der Wasserlinie befingert. Da hat’s alle Bolzen herausgerissen.“

      „Jawohl“, sagte Philip, „alle Bolzen. Ich hab den Beschlag darunter befingert. Da ist der gleiche Mist. Das Ruderblatt ist wuppdi!“

      „Was heißt wuppdi?“ fragte der Seewolf.

      „Wuppdi heißt, daß der Kutscher das Ruderblatt im Kombüsenherd verfeuern kann“, erwiderte Philip.

      „Aha.“ Vater Hasard peilte zu Ferris Tucker hinüber. „Schätze, wir brauchen ein Notruder, Ferris.“

      Der Schiffszimmermann nickte stumm, wie es schien, etwas verbissen.

      Die „Isabella“ dümpelte ohne Fahrt im Wind. Vorbei war die rauschende Fahrt mit der Backstagsbrise des Nordostpassats. Gewissermaßen war die schlanke Galeone mit den langen Masten flügellahm und der Rudergänger arbeitslos.

      Flügellahm bedeutete eine gewisse Nichtmanövrierbarkeit. Zwar konnten sie die „Isabella“ durchaus mit den Segeln steuern, und zwar durch Fieren oder Dichtholen der Schoten und Brassen, aber wenn ihnen jetzt jemand ans Leder wollte, dann waren sie nur bedingt gefechtsklar. Schnelle, blitzartige Manöver, um die Luvseite eines eventuellen Gegners zu gewinnen, konnten sie nicht durchführen.

      Aber die See ringsum, auch zur Landseite hin, war frei von Segeln oder Mastspitzen.

      Die Sonne hatte den Zenit überschritten, wie Hasard mit einem kurzen Blick feststellte.

      „Wie lange brauchst du für das Notruder, Ferris?“ fragte Hasard.

      „Eine Stunde.“

      Hasard nickte. „Gut, dann laufen wir Bantam an. Dort verpassen wir der Lady ein neues Ruderblatt.“

      Ben Brighton, Bootsmann und Erster Offizier auf der „Isabella“, räusperte sich.

      Hasard wandte sich ihm zu und grinste. „Weiß ich, Ben. Du wolltest sagen, daß dort die Portugiesen sitzen, nicht wahr?“

      „Genau. Wir segeln ihnen mitten ins Maul – sie brauchen nur zuzuschnappen.“

      „Wir müssen die Tante aufdocken, Ben“, sagte Hasard sanft, „was bedeutet, daß wir mit den Wölfen heulen müssen. Wir werden also jedem Streit aus dem Wege gehen und im übrigen einen irischen Handelsfahrer markieren. Wenn es sein muß, werden wir eben ein paar Perlen odere Diamanten als Köder anbieten. Wir kriegen den Ruderschaden anders nicht geregelt. Oder wär’s dir lieber, die ‚Isabella‘ auf einen einsamen Strand zu setzen, nachdem wir sie vorher angetakelt und mühsam entladen haben?“ Hasard lächelte. „Und dann noch bei dieser Hitze!“

      Ben Brighton schüttelte den Kopf, und Old O’Flynn, der aufs Achterdeck gestiegen war, zitierte: „Der Meergott schütze uns vor fremden Küsten – und Kannibalen, die zum Schlachtfest rüsten.“

      „An deinem Holzbein hätten die nicht viel Geschmack“, brummte Ferris Tucker.

      „Das ist der Vorteil des Holzbeins“, sagte Old O’Flynn. „Das wandert nie in den Suppentopf eines Menschenfressers.“

      „Ha“, sagte Ferris Tucker, „aber du kannst ’n paar Holzlöffel draus schnitzen, und für wuppdi ist das Ding auch geeignet.“

      Die Männer auf dem Achterdeck begannen zu grinsen. Sie wußten ja bereits, was „wuppdi“ bedeutete.


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