Seewölfe - Piraten der Weltmeere 236. John Roscoe Craig
Читать онлайн книгу.ein paar scharfe Befehle. Die Soldaten zogen sich von der Corsia zurück. Die meisten von ihnen drängten sich auf der Vorderplattform. Einige von ihnen hatten noch Pfeile auf den Sehnen ihrer Bögen, mit denen sie die Männer auf der Schebecke bedrohten.
Niemand von den Spaniern rührte sich.
Hasard begann langsam, wütend zu werden.
„Ihr sollt die Sklaven losschließen!“ sagte er scharf.
„Meinen Männern ist es bei Androhung der Todesstrafe untersagt, einen Sträfling loszuschließen“, erwiderte der Kommandant kalt. „Wenn Sie die Sträflinge befreien wollen, müssen Sie es schon selbst tun.“
Hasard wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er konnte die Spanier schlecht dazu zwingen. Er gab Carberry und Dan einen Wink, und die beiden Männer sprangen aufs Tabernakel hinunter und von dort aus auf die Corsia bis zu den ersten Bänken.
Hasard hatte die Blicke der Spanier gesehen, mit denen sie Carberry und Dan betrachteten. Carberry schien sie stark zu beeindrucken. Der große, hart-gesichtige Mann mit dem Kreuz eines Kleiderschrankes und Pranken, die die Größe von Blöcken hatten, verströmte die Kraft eines unbesiegbaren Goliaths. Selbst die Männer, die mit Ketten an die Ruderbänke gefesselt waren, blickten mit einer seltsamen Scheu auf ihn, obwohl er sie doch von ihrem elenden Los befreien wollte.
Carberry brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und der fette Mann, der neben dem Tabernakel stand, warf ihm wortlos die Schlüssel zu, mit denen er das Schloß öffnen konnte, das die Laufkette mit einem mächtigen eisernen Ring in den Wassergang-Anschlußplanken verband.
Carberry wartete. Er drehte sich nach dem Seewolf um, der immer noch neben dem Kommandanten auf der Espale stand, und Hasard wußte, was sein Profos wollte.
Mit ein paar Worten rief er den angeketteten Männern zu, daß er ihnen die Freiheit schenken wolle. Sie hätten die Wahl, mit den Angreifern auf der beschädigten Schebecke das Weite zu suchen oder aber auf der Galeere zu bleiben.
Einen kurzen Augenblick blieb es still, aber dann stieg ein wilder Schrei des Triumphes auf, und als Carberry die ersten Ruderer losgeschlossen hatte, begannen auch die anderen, daran zu glauben, daß sie keinen Traum erlebten.
Die meisten der Sklaven waren dunkelhäutige Gestalten, die denen ähnlich sahen, die die Galeere angegriffen hatten. In Hasard verstärkte sich die Gewißheit, daß es sich um Sarazenen handelte, um Nachkommen der in Südeuropa ansässigen Mauren, die das Mittelmeer einst beherrscht hatten.
Die ersten von ihnen bewegten sich unbeholfen über die Corsia zum Bug der Galeere. Ketten klirrten an ihren Füßen. Diese hatten Carberry und Dan ihnen nicht abnehmen können, denn sie waren festgeschmiedet. Die Soldaten bildeten eine Gasse, durch die die Männer gehen mußten. Die Angst war vielen von ihnen in die Gesichter geschrieben. Offensichtlich trauten sie dem Frieden nicht und erwarteten, jeden Augenblick einen Pfeil in den Rücken zu kriegen.
Erst als einige von ihnen die Schebecke heil erreicht hatten, schöpften die anderen Hoffnung. Sie konnten nicht schnell genug die Laufketten durch die eisernen Ringe an den Manschetten ihrer Fußfesseln ziehen.
Hasard schätzte die Anzahl der Ruderer auf etwa hundertzwanzig Mann. Er verstand die Angst der Soldaten, die jetzt alle ihre Waffen auf die Sklaven gerichtet hatten. Wenn nicht die Bedrohung durch die englische Galeone gewesen wäre, hätten die Sarazenen der Schebecke sicher zum zweitenmal einen Angriff auf die Galeere gewagt.
Rasselnd lief die Laufkette zwischen den Galeerensklaven entlang. Fast die gesamte Steuerbordseite war nun befreit, und Dan O’Flynn marschierte auf dem Kampfsteg zurück, um die ersten Bänke der Backbordseite von der Laufkette zu befreien.
Fast gierig zerrten die Männer an den Ketten, so schien es Dan. Es sah aus, als befürchteten sie, nicht mehr rechtzeitig auf die Schebecke zu gelangen, die sich von der Steuerbordseite der Galeere befreit hatte und nur noch an dem spitzen Sporn hing, der sich tief in ihr Achterschiff gebohrt hatte.
Einer der Sklaven war ein ziemlich junger Mann. Dan schätzte ihn auf höchstens achtzehn Jahre. Sein kräftiger, aber abgezehrter Oberkörper war von Wind und Wetter tief gebräunt. Als einziger der Männer war ihm keine Nervosität anzumerken. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet.
Dan bemerkte, daß er zur Espale hinüberschaute, wo Hasard und der Kommandant der Galeere nebeneinander standen und die Befreiungsaktion verfolgten.
Dan kümmerte sich nicht mehr um den Jungen. Er sah, wie die letzten Sklaven von der Steuerbordseite über den Galionslieger der Galeere zur Schebekke hinüberturnten. Carberry stampfte über die Corsia heran und hatte Mühe, den bereits von Dan befreiten Ruderern auszuweichen. Wie es aussah, hatte keiner der Ruderer die Absicht, bei den Spaniern zu bleiben. Dan konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn er daran dachte, mit Eisen und Ketten an eine Ruderbank gefesselt zu sein, dann stieg das kalte Grauen in ihm hoch. Das hieß für ihn, jeden Tag zu sterben.
Er sah eine kurze, huschende Bewegung an seiner Seite. Etwas berührte seine Hüfte, und ehe er begriff, daß ihm jemand sein Messer aus der Scheide am Gürtel gezogen hatte, hörte er den wütenden Schrei des Fettkloßes, der die Hand mit der Peitsche hob, um auf den Jungen einzuschlagen.
Dan wirbelte herum. Der Junge war schon zwei Schritte von ihm entfernt. Er lief auf das Tabernakel zu, die rechte Hand, in der er Dans Messer hielt, zuckte in einer kurzen Ausholbewegung zurück.
Dan erkannte, was der Junge vorhatte. Die Peitsche des fetten Aufsehers zischte durch die Luft, aber die neun mit kleinen Eisenkugeln bewehrten Lederriemen waren nicht lang genug, den Jungen zu erwischen.
Mit einem gewaltigen Sprung hechtete Dan vor. Er sah noch, wie Hasard auf der Espale einen Schritt auf den Kommandanten zutrat, dann verdeckte der Rücken des Jungen ihm die Sicht. Seine Hände kriegten die zerrissene Hose des Burschen zu fassen, und mit aller Macht zerrte er daran.
Ein Aufschrei ging durch die Reihe der Soldaten.
Dan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wußte, daß der kleinste Funke das Pulverfaß, das die Galeere in diesem Augenblick war, zur Explosion bringen konnte.
Er spürte, wie der Junge ins Straucheln geriet, dennoch schaffte er es, das Messer zu schleudern. Gleich darauf krachte er aufs Tabernakel, und Dan war über ihm. Er drückte dem Burschen das rechte Knie ins Kreuz und riß seine Arme auf den Rücken. Dann erst hob er den Blick.
Der Kommandant war in die Knie gegangen. Der Seewolf hatte ihn unter den Armen gepackt und zerrte ihn wieder auf die Beine.
Der Spanier schüttelte die helfenden Arme widerwillig ab und zog seinen Degen. Mit einem geschmeidigen Satz flankte er von der Espale hinunter und blieb neben Dan stehen, der den jungen Burschen fest im Griff hatte.
Die Spitze des Degens bewegte sich auf den Hals des Jungen zu.
Der Junge hatte keuchend den Kopf gedreht. Haß sprühte aus seinen Augen, als er den Spanier sah. Er spuckte aus und stieß ein paar Verwünschungen hervor. Dan verstand nicht, was der Bursche sagte, aber seine Worte schienen den Kommandanten ziemlich zu beeindrucken. Er nahm den Degen zurück. Seine dunkle Gesichtsfarbe war einem schmutzigen Grau gewichen. Seine Züge verzerrten sich zu einer Grimasse, als er den Degen anhob, um zum tödlichen Stoß anzusetzen.
Eine Pranke legte sich wie ein Schraubstock um seinen Unterarm.
Der Kommandant zuckte herum wie eine zustoßende Schlange. Mit einer heftigen Bewegung versuchte er, sich von Carberrys Hand loszureißen, aber sein Bemühen war vergebens. Carberrys Griff lockerte sich nicht um einen Deut.
„Bleibt ruhig, Männer!“ rief Hasard von der Espale über das Ruderdeck. Er hatte gesehen, daß die Soldaten drauf und dran waren, die Gasse auf der vorderen Plattform, durch die die Sklaven auf die Schebecke gelangten, zu schließen und die befreiten Männer anzugreifen.
Hasard wußte, daß damit die Katastrophe über die Galeere hereinbrechen würde. Er zog seine Pistole und jagte einen Schuß in den Himmel.
Eine plötzliche, unheimliche Ruhe folgte dem dünnen, peitschenden Knall.
„Laßt