Seewölfe - Piraten der Weltmeere 605. Sean Beaufort

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 605 - Sean Beaufort


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der Boden. Das Eisgefüge brach donnernd auseinander. Hitze quoll aus dem Boden. Die Hekla warf ihre Kapuze ab und ließ Schnee und Eis schmelzen. Rauchschwaden verdunkelten das seltene Sonnenlicht. Giftige Luft kroch am Boden entlang und stank nach Fäulnis und dem Schwefel der Hölle.

      „Dann schau nicht hin“, riet der Erste. „Sieh lieber nach, Sir, ob wir nicht die Westmännerinseln rammen.“

      „Kaum. Wir sind zu weit draußen auf offener See“, sagte Hasard. „Surtsey müßte, wenn wir es überhaupt sehen, voraus an Backbord auftauchen.“

      „Bei Bjarni Stangenhieb!“ brummte Stenmark, der am Ruder stand. „Wenn ich an die Wärme in der Karibik denke, dann werde ich noch seekrank.“

      Ljot, der Ungewaschene, und Bjarni Stangenhieb, so wenig glaubhaft das auch klingen mochte, waren sagenhafte Gestalten, die es wirklich gegeben haben sollte, und auf die viele Isländer ihren Stammbaum gründeten.

      „Bei Thors Hammer!“ Hasard lachte und zog das Spektiv aus der Tasche. „Ich sehne mich auch nach einem Palmenstrand. Aber, Freunde, bis dorthin ist es noch verdammt weit.“

      Ben Brighton senkte den Kopf und federte die nächste Welle ab, von der das Heck der Schebecke weit in die Höhe gehoben wurde.

      „Und davor liegen die furchtbaren Färöer – und London in seiner ganzen Schönheit!“ rief er. Es klang wie ein Vorwurf oder wie eine Beschwörung.

      „Wir sind schneller dort, als du denkst“, schwächte der Seewolf ab.

      Er ließ offen, ob er die Färöer, London oder die Karibik damit meinte.

      Das Schiff segelte vor achterlichem Wind. Die schwere See verhinderte, daß die Geschwindigkeit zunahm. Stampfend und schlingernd bohrte die Schebecke den Bugspriet in die Wogen. Gischtendes Wasser zischte über die Planken und lief durch die Speigatten. Stunde um Stunde verging ohne jede Änderung. Die Wache wechselte, Stenmark am Ruder wurde abgelöst.

      Leer wie das Odadahraun, jenes riesige Gebiet aus dunklem Geröll und Schutt, das vor Urzeiten aus dem Weltinneren ausgeworfen worden war, blieb auch das Meer auf der Fahrt zwischen Island und den Färöern.

      Ins Odadahraun flüchteten die Gesetzlosen und Ausgestoßenen vor den Bewaffneten Dänemarks. Von See aus war diese Landschaft jenseits des erderschütternden Feuerbergs nicht zu sehen. Aber zwischen der Brandung und den bizarren Hängen der Berge erstreckten sich ebenfalls riesige Strecken leerer Landschaft, die sich jetzt in der Dunkelheit verbargen.

      Die Seewölfe schliefen, wenn überhaupt, sehr unruhig. Mit jeder Seemeile, die sich die Schebecke von Island, der Insel aus Eis und Feuer, entfernte, schien sich die Lage ein klein wenig zu bessern – die Schebecke stampfte weniger, glitt mit scharfem Rauschen durch weniger harte Wellen, legte sich nicht so weit über. Trotzdem blieb es ein wilder und schneller Ritt über die Wellen des Nordmeeres.

      Dan O’Flynn blinzelte in der Morgensonne. Für wenige Augenblicke waren Wolken und Seenebel aufgerissen und zeigten über dem winzigen, tief roten Sonnenball fahlblauen Himmel.

      „Sollte das scheußliche Wetter etwa zu Ende sein?“ fragte er sich halblaut, sog tief die kalte, frische Luft ein und hoffte, daß der Kutscher und Mac Pellew ein kräftiges Frühstück zustande brachten. „Schön wär’s. Aber ich kann es nicht recht glauben.“

      Die See schien sich beruhigt zu haben, denn das Schiff lag bei guter Geschwindigkeit wenigstens jetzt stabil vor dem Wind. Das Essen schien sicher zu sein.

      „Ich glaube es auch nicht“, erklärte Pete Ballie, der vor einer Stunde das Ruder übernommen hatte. „Der Wind ist gut – noch.“

      Er wehte bis zur Stunde aus dem westlichen Quadranten und wechselte nur seine Stärke.

      „Er wird so bleiben, schätze ich“, meinte Dan. „Wir sollten in Lee der Färöer bleiben. Wenn wir nicht abgetrieben sind, müßten wir sie heute abend Steuerbord voraus zum erstenmal sehen.“

      „An mir soll es nicht liegen“, sagte Pete und hob die Schultern. „In Lee, das ist gut. Dann sollten wir wohl ohne viel Aufregung auf Südkurs gehen können.“

      „Sollten wir, ja. Hasard hat aber vielleicht etwas anderes vor.“

      „Bis wir die Schafinseln erreichen, vergeht noch viel Zeit“, sagte der Rudergänger und stemmte sich gegen die Pinne. „Da kann noch viel passieren.“

      „Da bin ich ganz sicher.“

      Die Insel im Nordatlantik, gelegen im Dreieck zwischen Island, Schottland und Norwegen, waren keinem der Seewölfe besonders gut bekannt. Auch Dans Karten ließen an Deutlichkeit einiges fehlen. Die ungezählten Klippen, Schären und Inselteile waren langgezogen und zeigten von Nordwesten nach Südosten.

      An den wenigsten Stellen, das hatte man den Seewölfen berichtet, gab es geschützte Anlegeplätze. Nahezu alle Klippen waren steil, zerklüftet und kaum besteigbar. Millionen von Seevögeln aller Arten nisteten hoch auf den schrundigen Felsen. Etwa siebzig Seemeilen, ließ sich aus der Karte herauslesen, betrug die größte Länge des Archipelagos.

      „Das einzige, das sicher ist“, bemerkte Dan philosophisch, „ist, daß alles unsicher bleibt.“

      „Hast du heute deinen klugen Tag?“ fragte Pete.

      Dan nickte langsam. „Er hat gerade angefangen.“

      Gerade eine Stunde lang überschüttete die Sonne das Meer und die gischtenden Wellenkämme mit ihrem roten Licht, das sich nach und nach gelb und schließlich weiß färbte. Dort, wo Island verschwunden war, zogen wieder schwarze Regenwolken auf. Sie wechselten ihre Farbe und wirkten so drohend wie immer, wenn sie sich aus dem Westen heranwälzten und das Licht aufzusaugen schienen.

      „Du solltest dich gut festhalten“, rief Dan, nachdem er einen langen Rundblick auf die Dünung und den Horizont gerichtet hatte. „Das böse Nordmeer wird uns beweisen, daß es keinen Spaß versteht.“

      Die Seefahrer kannten die Farben und deren Bedeutung, wenn sich die Wolken auf diese Art hochtürmten, wenn der Wind auf eine besondere Art schneidend zu heulen begann, und wenn er von den Wellen den Gischt fast waagerecht wegriß und in die Luft wirbelte.

      „Es geht gleich wieder los“, knurrte Pete. „Hoffentlich haben wir noch Zeit, den Tee runterzuschütten.“

      Jeder der Crew, der an Deck erschien, musterte die Segel, hörte das Knarren der Gaffelruten, warf einen besorgten Blick zum Himmel und zu den Wellen und sah ein, daß die nächsten Stunden hart werden würden. Daß auch der Wind in kurzer Zeit drehen konnte, hielten sie alle für möglich. So schnell wie es ging, aßen und tranken sie, dann bezog die Wache ihre Stationen. Die Mannen schlugen ihre Sorgleinen an.

      Hasard enterte den Niedergang auf und winkte ab, als er in die sorgenvollen Gesichter schaute.

      „Ich weiß“, sagte er. „Die ruhigen Stunden sind wieder vorbei. Ein Glück, daß wir Tageslicht haben.“

      „Das wird sich auch bald ändern“, erwiderte Dan O’Flynn.

      Es dauerte keine halbe Stunde, dann packten Wind und Brecher wieder das schlanke Schiff. Die Schebecke schwang sich auf den Kamm einer riesigen Dünungswoge, der Sturm wimmerte im stehenden und laufenden Gut, die Leinwand, mittlerweile völlig trocken, schien reißen zu wollen. Masten und Segel und der Schiffskörper verhielten sich, als spanne die Schebecke die Muskeln an.

      Das Schiff schnitt vor dem achterlichen Starkwind rauschend und mit gurgelnder Kielspur durch das Wasser. Aber das war nur der Anfang einer rasend schnellen, gefährlichen Fahrt, die zwar die Stunden einer Reise verringerte, die Gefahren aber steigerte. Das gute Dutzend Seewölfe, das sich auf Deck bewegte, duckte sich, klammerte sich an Tampen und Spieren und bereitete sich auf schwierige Manöver vor.

      Es war, als wäre die Schebecke in einen kreisförmigen Sturm, in einen Wetterwirbel geraten. Der Sturm heulte zuerst aus Westen heran, raste dann mit eisiger Kälte aus Norden, schließlich drehte er zurück auf Süd und zwang die Seewölfe, in zunehmender Dunkelheit in großen Schlägen zu


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