Seewölfe - Piraten der Weltmeere 564. Burt Frederick
Читать онлайн книгу.und daraus Kapital zu schlagen versuchen. Die meisten, die das versucht hatten, waren spurlos verschwunden. Oder man hatte sie als Leiche aus dem Hafenwasser gefischt.
Nein, es hatte einfach keinen Sinn, sich ausgerechnet an der Macht der Reichen messen zu wollen. Sie waren einem kleinen Handlanger immer überlegen. Immer.
Der Reiter stieß einen zufriedenen Laut aus. Allein die Stimme des Zuträgers verriet, wie ehrfürchtig er über jene dachte, die ihm überlegen waren. Nein, bei ihm brauchte man mit einem Verrat nicht zu rechnen. Das System, sein Ansinnen in einem der Kaffeehäuser zu äußern, funktionierte hervorragend. Niemand konnte die Kette der Nachrichtenübermittlung zurückverfolgen. Zu viele Leute waren eingeschaltet, und keiner kannte die Identität des anderen gut genug, um ihn in Schwierigkeiten bringen zu können.
„Nimm die Botschaft“, sagte der Reiter. „Verwahre sie gut, solange du sie bei dir trägst. Der Empfänger ist der Höllenfürst. Du weißt, wie du ihn erreichst?“
Der Ziegenbärtige erschauerte. „Ja, Effendi. Aber ich erreiche ihn nicht direkt. Ich kenne nur seinen Übermittler. Niemals kann man den Höllenfürsten persönlich ansprechen.“
„Das ist in Ordnung“, sagte der Reiter. Er war nun endgültig von der Zuverlässigkeit dieses Boten überzeugt. Andere spuckten große Töne oder prahlten mit ihrem Wissen. Und dann ging meist etwas schief.
Es stimmte. Niemand kannte den Höllenfürsten.
Der Reiter beugte sich etwas nieder und drückte dem Mann im armseligen Umhang zwei Silbermünzen in die Hand. Den Brief hatte er bereits unter dem zerschlissenen Stoff verschwinden lassen.
Der Ziegenbärtige fühlte die Größe der Münzen und ihr Gewicht, und er glaubte zu träumen. Sein Herz schlug schneller. Dies mußte ein wahrhaft fürstlicher Lohn sein. Bei Allah, dafür hätte er noch ein paar Stunden länger gewartet!
„Danke, Effendi!“ rief er. „Danke! Wie soll ich euch nur …“
„Sorge dafür, daß die Nachricht so schnell wie möglich ans Ziel gelangt“, unterbrach ihn der Maskierte barsch. Dann trieb er sein Pferd an und verschwand nach Sekunden in einer Seitengasse.
Der Ziegenbärtige lief zum Hafen, die beiden Münzen fest mit der rechten Hand umklammert. Er konnte es noch immer nicht glauben. Vielleicht täuschte er sich. Vielleicht war er getäuscht worden. Konnte es sein, daß ihm der Fremde Bleistücke gegeben hatte? In der Dunkelheit war das leicht möglich.
Aber andererseits – welchen Grund sollte er haben, ihn so zu täuschen? Dann war die Nachricht nichts wert, dann konnte dem Fremden nichts daran gelegen sein, daß sie ihren Empfänger erreichte.
Das Hin und Her und Wenn und Aber kreiste im Kopf des Boten, bis er endlich eine der Kaistraßen erreichte, wo Laternen brannten. An einer Hausecke verharrte er unter einer solchen Laterne und überzeugte sich mit hämmerndem Herzen, daß er nicht beobachtet wurde. In der unmittelbaren Umgebung war alles still. Keine Menschenseele war zu sehen.
Er öffnete die rechte Hand.
Das Silber funkelte im Laternenschein.
Er war versucht, einen Freudenschrei auszustoßen. Aber er beherrschte sich. Noch hatte er seine Pflicht nicht erfüllt. Niemals hätte er es fertiggebracht, den Brief wegzuwerfen und mit dem Geld zu verschwinden. Wirrköpfe, die nicht an morgen dachten, taten so etwas.
Aber er, nein, er würde sich nicht sein eigenes Grab schaufeln. Seine Zuverlässigkeit und sein entsprechend guter Ruf hatten sich zum erstenmal richtig ausgezahlt. Von diesem Botenlohn konnten seine Familie und er mindestens einen ganzen Monat leben.
Er verstaute die schweren Silbermünzen sorgfältig unter seinem Umhang.
Dann eilte er im Trab durch das nächtlich-stille Labyrinth der Hafengassen.
Mehr als eine halbe Stunde war er unterwegs, bis er sein Ziel erreichte. Es war eins dieser primitiven Häuser, die praktisch nur aus Lehmwänden, einem Fenster und einem Dach bestanden. Ein besserer Viehstall. Ganze Blöcke davon hatten sie aneinandergereiht, die Reichen, die diese Unterkünfte hatten bauen lassen.
Die Mildtätigkeit hatte jedoch nur für einen verschwindend geringen Teil der ärmsten Bevölkerung von Istanbul gereicht. Oder aber, die Reichen hatten die Lust daran verloren, ihre Spendefreudigkeit weiter zu pflegen.
Der Ziegenbärtige klopfte an die Tür aus einfachen Bohlen.
Schlurfende Schritte näherten sich erstaunlich schnell. Der Mann, der die Tür öffnete, war klein und dünn, sein Gesicht im Dunkeln nicht einmal zu erkennen.
„Du bist es“, flüsterte er. „Komm herein.“
Der Bote gehorchte. Er wußte, daß Öbül es nicht schätzte, in aller Öffentlichkeit Nachrichten entgegenzunehmen. Denn selbst bei Nacht konnten Wände Augen und Ohren haben.
Öbül nahm den Brief mit seinen knochigen Händen. In der einfachen Behausung blakte eine winzige Öllampe.
„Eine Botschaft für den Höllenfürsten“, sagte der Ziegenbärtige.
„Gut“, erwiderte Öbül und nickte. „Dann verschwinde jetzt. Und vergiß, was du gesehen und gehört hast.“
„Du weißt, daß ich das immer tue“, entgegnete der Bote.
Er war bereits in der Dunkelheit verschwunden, als der kleine, dünne Mann die Tür wieder schloß.
Der Brief, den er erhalten hatte, bedeutete den Tod für einen oder mehrere Menschen in Istanbul. Sein Herr würde sich darüber freuen.
Es war einer jener Sonnentage, wie er die Menschen in diesem Teil der Welt auch im November noch oft verwöhnte. Das Jahr 1597 ging auf sein Ende zu, und für Philip und Hasard Killigrew schien es die Gewißheit zu bringen, daß es einen praktikablen Seeweg, eine mehr oder weniger direkte Verbindung zwischen dem Golf von Persien und dem Mittelmeer nicht gab.
Istanbul, das in der Frühzeit einmal Byzanz geheißen hatte, war eine Stadt voller orientalischer Geschäftigkeit. Der Ruf des Muezzin, der ganz in der Nähe auf einem Minarett Allah gepriesen hatte, war verhallt.
Nach ihrem Morgengebet waren die Menschen zur gewohnten Arbeit zurückgekehrt. Rings um die zweimastige Dubas, mit der die Arwenacks an einer Pier vertäut hatten, herrschte lärmende und hektische Betriebsamkeit.
Seefahrer und Händler palaverten über Preise. Handwerker hämmerten und sägten auf den zumeist kleinen Zubringerschiffen. Ausrüster karrten Proviant und Wasserfässer herbei, und Seeleute erledigten ihre gewohnten Arbeiten an Bord.
Für die Männer an Bord der Dubas hieß es nach der Morgenmahlzeit, das Schiff vom Kielschwein bis zu den Masttoppen zu untersuchen. Der Seewolf hatte angeordnet, daß der Rest der Liegezeit in Istanbul für Reparaturen genutzt werden sollte.
Hasard und Dan O’Flynn unternahmen einen Rundgang auf dem Hauptdeck, als ein Reiter sein Pferd auf die Dubas zutrieb und längsseits anleinte. Das Pferd war ein Rappe, ein edler Araber, und das Sattelzeug war aus dem allerfeinsten Leder gefertigt.
Hasard und Dan traten an die Verschanzung. Auch die Arwenacks, die sich auf dem Hauptdeck aufhielten, verharrten, um den Reiter zu mustern. Ein drahtiger, mittelgroßer Mann mit einem kostbaren Turban. Sein ganz aus Seide gefertigtes Gewand war eine Art Uniform. Er trat an die Pforte im Schanzkleid und verneigte sich.
„Mein Name ist Ismail Kaymaz, Abgesandter des Kemal Yildiz. Ich bitte an Bord kommen und den Kapitän sprechen zu dürfen.“
„Schon genehmigt“, sagte der Seewolf. „Ich bin Philip Hasard Killigrew, der Kapitän dieses Schiffes.“
Kaymaz enterte auf und verneigte sich abermals. Sein Gesicht spiegelte echte Freude. Es war ein offenes und ehrliches Gesicht, das vermochte jeder an Bord der Dubas sofort zu erkennen.
„Ich danke Ihnen, Effendi“, sagte Kaymaz. „Sie erweisen mir eine große Gunst, indem Sie mich sofort empfangen. Ich bin es gewohnt, manchmal stundenlang warten zu müssen.“
Der