Seewölfe - Piraten der Weltmeere 102. Kelly Kevin

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 102 - Kelly Kevin


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Gesicht des Seewolfs ließ ihn verschlucken, was er eigentlich hatte sagen wollen.

      Binnen Minuten war der letzte Mann unter Deck verschwunden.

      Hasard stand am Ruder und hielt mit eisernen Fäusten die schlingernde, stampfende Galeone mit dem Kopf schräg zur Dünung, damit sie nicht quer zwischen Die Wellenberge geriet. Undurchdringliche Schwärze schien die „Isabella“ zu verschlingen, die schwankende Säule der Wasserhose ragte vor dem Schiff auf wie eine gigantische Geistererscheinung.

      Der Seewolf biß die Zähne zusammen. Seine blauen Augen funkelten, das schwarze Haar flatterte im Wind. Verbissen starrte er zu dem wirbelnden Ungetüm hinauf, das die „Isabella“ im nächsten Moment zerschmettern mußte, und wartete auf den entscheidenden Moment, auf den Augenblick, in dem die Wasserhose in sich zusammenfiel, weil das große Schiff den Rhythmus der in ihr wirkenden Luftströmungen zerstörte.

      Jetzt war es soweit!

      Eine Gigantenfaust schien das Vorschiff der „Isabella“ zu packen und schleuderte sie herum.

      Die rotierende Säule der Wasserhose neigte sich und begann wie ein verwundetes Tier zu taumeln. Einen Augenblick beugte sie sich gleich einem riesenhaften Geisterwesen über die stampfende, torkelnde Galeone, dann brach sie wie von einem Hieb zerrissen in sich zusammen.

      Kein Mensch hätte sich unter der Gewalt der herunterprasselnden Wassermassen an Deck halten können.

      Die „Isabella“ tanzte wie ein Korken unter einem Wasserfall. Schwarzes, schimmerndes Wasser ging wie ein Vorhang nieder, hüllte das Ruderhaus ein, ließ Holz bersten und Wanten und Stage wie Spinnweben zerreißen. Treibholz krachte auf die Planken, Tangstreifen, zerfetzte Fischkörper – alles, was die Wasserhose in ihrem unwiderstehlichen Wirbel emporgerissen und in sich eingesaugt hatte.

      Hasard glaubte jeden Moment, das Ruderhaus werde über seinem Kopf zusammenbrechen. Längst gehorchte das Schiff dem Ruder nicht mehr, die letzten Fetzen des Sturmsegels flogen dem Seewolf um die Ohren. Sturzseen überspülten ihn und ließen die straff gespannten Taue ächzen, die ihn festhielten. Ringsum war die Dunkelheit jetzt fast undurchdringlich. Dichte schwarze Wolken trieben über die „Isabella“ weg, und als seien sie von den Mastspitzen der Galeone aufgerissen worden, öffneten sie ihre Schleusen.

      Übergangslos wurde das Toben der zusammenfallenden Wasserhose von einer Regenflut abgelöst, die dem Schiff kaum weniger zusetzte.

      Hilflos torkelte die „Isabella“ in der Dünung. Minuten dehnten sich und wurden zu höllischen Ewigkeiten. Im Chaos der kreuz und quer laufenden Strömungen begann sich die Galeone wie ein Kreisel zu drehen. Brecher hämmerten auf die Bordwände ein, spülten über die Decks, nahmen zersplitterte Spieren, tote Fische und wirre Knäuel gebrochener Strecktaue mit. Grün schimmernde Brecher, wie Hasard feststellte. Querab von der schwankenden, schlingernden Galeone zeigte sich ein Streifen blaßgrauer Helligkeit, der erbarmungslos das ganze Chaos an Bord enthüllte und zugleich das Ende der Katastrophe ankündigte.

      Die Regenflut hörte so plötzlich auf, wie sie eingesetzt hatte.

      Jäh riß die Wolkendecke auf.

      Die letzten Sturmböen fegten den Himmel leer, die Sonne brach hervor, die See beruhigte sich, als sei überhaupt nichts geschehen. Der Wind schlief ein. Nicht der leiseste Hauch einer Brise war mehr zu spüren – und die Männer, die jetzt wieder an Deck auftauchten, starrten schwer atmend und mit ungläubigen Augen in die Runde.

      Selbst Ed Carberry vergaß das Fluchen.

      „Bei allen Wassermännern“, murmelte er verblüffend leise. „Das ist ja Zauberei, das …“

      Er stockte abrupt. Sein Blick war auf die Verwüstung an Deck gefallen. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, als hoffe er, daß die Vision verschwinden würde, dann stieß er einen abgrundtiefen Seufzer aus.

      „Teufel, Teufel“, flüsterte er.

      Das war sein einziger Kommentar. Er drohte nicht einmal, den Männern die Haut abzuziehen und die Streifen an den Mast zu nageln, wenn sie nicht augenblicklich mit dem Aufklaren anfingen.

      Philip Hasard Killigrew wischte sich das triefende Haar aus der Stirn und löste die Taue, mit denen er festgebunden war.

      Er war naß wie eine aus dem Wasser gezogene Katze, und er hatte ein paar Schrammen an Gesicht und Armen, wo ihn herumwirbelnde Splitter und Trümmerstücke gestreift hatten. Sein Blick wanderte über das Durcheinander. Die Fockmarsrah existierte nicht mehr, das Steuerbord-Hauptwant bestand aus Fetzen, das Kombüsenschott war Kleinholz. Eine der schweren Culverinen hing buchstäblich an einem Faden: das Brooktau drohte jede Sekunde zu brechen.

      Hasard verzichtete darauf, sich auszumalen, was passiert wäre, wenn sich die Kanone selbstständig gemacht hätte. Mit einem tiefen Atemzug laschte er das Ruder fest und trat an die Schmuckbalustrade.

      „Klar Schiff überall“, sagte er in die atemlose Stille hinein. „Al, würdest du freundlicherweise dafür sorgen, daß die verdammte Kanone da drüben nicht über Bord geht? Kutscher, Bill, ab in die Kombüse! Ferris, du …“

      „Wasser im achteren Laderaum“, meldete Ferris Tucker, der bereit einen ersten Kontrollgang unternommen hatte. „Die Luke war gut verschalkt, aber jetzt sieht sie trotzdem aus wie Brennholz.“

      „Hauptsache, der Kahn ist nicht leck. Klar bei Lenzpumpen! Dan – in den Großmars mit dir! Nimm den Kieker mit und sieh zu, ob du den schwarzen Segler sichtest.“

      „Aye, aye, Sir!“

      Donegal Daniel O’Flynn wollte besonders schnell sein und griff blindlings hinter sich nach der Webleine. Er griff ins Leere, weil das Steuerbord-Hauptwant keine Webleinen mehr hatte. Erschrocken schrie Dan auf, als er das Gleichgewicht verlor. In der nächsten Sekunde prallte er unsanft auf den Achtersteven und schnitt ein ziemlich verdattertes Gesicht.

      Brüllendes Gelächter löste die Spannung.

      „Donegal Daniel O’Flynn“, sagte Hasard sanft, „wenn du genau hinsiehst, wirst du entdecken, daß man notfalls auch über die Backbordwanten in den Großmars entern kann.“

      Dan turnte wie ein geölter Blitz über die Nagelbank und enterte auf.

      Al Conroy, der Stückmeister, hatte die Culverine mit dem beschädigten Brooktau klariert und ging daran, die restlichen Geschütze zu kontrollieren. Ed Carberry brüllte, fluchte, drohte mit sämtlichen Strafen der Hölle und noch ein paar anderen, bei denen der Teufel vor Neid erblaßt wäre, und jeder einzelne der Männer wurde plötzlich ungeheuer emsig.

      „Dan!“ schrie Hasard zum Großmars hoch. „Kannst du den Schwarzen Segler entdecken?“

      „Keine Spur, Sir!“ rief Donegal Daniel O’Flynn zurück. „Die See ist so leer wie …“

      Er stockte abrupt.

      Hasard runzelte die Stirn und wartete. Er glaubte, daß Dan nun doch die schwarzen Segel des „Eiligen Drachen über den Wassern“ gesichtet hätte. Siri-Tong und der Wikinger hatten mit dem Viermaster etwas zurückgehangen, als urplötzlich der Sturm über die „Isabella“ hereingebrochen war. Nach Hasards Meinung konnte der Schwarze Segler nicht viel abbekommen haben, von der Wasserhose schon gar nicht. Sobald es aufbriste, würde er wieder erscheinen, aber vorerst war es etwas anderes, das Dans scharfe Augen erspäht hatten.

      „Deck!“ schrie der junge O’Flynn. „Boot Backbord querab. Der Kahn treibt kieloben! Scheint so, als hinge da jemand über den Planken.“

      „Was heißt hier ‚scheint so‘, du grüner Hering?“ fluchte der Profos. „Reiß gefälligst deine Klüsen auf und …“

      „Mann und gekentertes Boot ein viertel Strich Backbord querab!“ meldete Dan exakt. „Die Dünung treibt den Kahn auf uns zu.“

      Hasard stand bereits am Backbord-Schanzkleid.

      Inzwischen war das Boot auch mit bloßem Auge zu erkennen: eine winzige Nußschale, im Sturm gekentert, im Grunde nur noch ein trauriger Überrest mit geborstenen


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