Seewölfe - Piraten der Weltmeere 92. Roy Palmer

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 92 - Roy Palmer


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ständig auf der Hut, in jeder Sekunde auf böse Überraschungen gefaßt.

      Er blieb wie angewurzelt stehen, als er den Mann entdeckte.

      Er lag zu seinen Füßen auf einer seltsamen Koje, mitten im Raum. Eine reglose Gestalt – warum hatte er sie nicht eher bemerkt?

      Maccallion nahm das Messer in die rechte Hand, kniete sich neben den Fremden und war bereit, ihm die Klinge in die Brust zu stoßen.

      Doch dann verhielt er.

      Der Mann schlief nicht. Es war nicht der rechte Moment, zu schlummern, jeder an Bord der Galeone war von der Aufregung um die Entführung des Mädchens angesteckt, keiner konnte sich ausschließen. Aber noch etwas anderes hatte Maccallion stutzig werden lassen und überzeugte ihn, daß der Fremde nicht schlief.

      Seine Brust hob und senkte sich nicht. Kein Atemzug war zu vernehmen. Der Tod hatte sich in diese Kammer geschlichen.

      Der Ire ließ das stoßbereite Messer wieder sinken. Er atmete tief durch. Daß der Seewolf den Toten erst vor kurzem aus seiner eigentlichen Kammer hierher hatte bringen lassen, wußte er nicht. Hasard wollte ihm eine letzte Ehre erweisen, indem er ihn in seinem Allerheiligsten aufbahren ließ.

      Maccallion war auch der Name dieses alten, bärtigen Mannes nicht bekannt. Aber er ahnte, daß er den Walfänger vor sich hatte, der auf dieser Insel gehaust haben sollte. Einmal hatten sie, die Piraten, nach ihm gesucht, hatten ihn aber nicht aufstöbern können. Irgendwo mußte er einen Unterschlupf gehabt haben.

      Und das dunkelblonde Mädchen, das sich jetzt bei O’Lear auf der „Black Eagle“ befand, war seine Tochter.

      „Ruhe in Frieden“, murmelte Maccallion mit hämischem Grinsen. „Du hast das beste Los gezogen, alter Narr. Du kriegst ja nicht mehr mit, wie es dem hübschen kleinen Weibsbild an den Kragen geht.“

      Seine Stimme war heiser geworden. Irgendwie war ihm plötzlich doch mulmig zumute. Ein Toter. Das war ein böses Omen. Er wußte, daß der Alte ihm nichts mehr anhaben konnte, und doch schien er ihn zu beobachten, zu bewachen. Konnte er ihn etwa aus dem Jenseits heraus betrachten?

      Maccallion erhob sich und wich ein Stück zurück. Wie alle einfachen Menschen hatte er einen unverrückbaren, tief verwurzelten Aberglauben. Ihm bangte davor, daß sich der Geist des Alten an ihm rächen würde.

      Aber rasch verdrängte er die düsteren Gedanken, als sich das Schiff ein wenig auf die Seite legte. Das Rauschen des Wassers an den Bordwänden nahm zu – die „Isabella“ hatte sich in Fahrt gesetzt. Sie lief aus der Bucht.

      Kurze Zeit darauf näherten sich Schritte.

      Maccallion schlich zur Tür, die auf den Innengang des Achterkastells wies. Er drehte sich um und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand, so daß die Tür ihn verdecken mußte, falls sie geöffnet wurde.

      2.

      Severa wäre lieber ertrunken, statt mit den Piraten zu schwimmen. Aber sie war ohnmächtig geworden, und dann hatte Brian O’Lear sie auf den Rücken gedreht und ohne großen Aufwand und Kraftverlust mitgeschleppt.

      Nebelstreifen krochen flach über das Wasser. O’Lear und seine drei Begleiter konnten die nördlich der Insel postierten Schiffe nicht erkennen, aber sie entdeckten alsbald die Konturen eines Bootes. Es löste sich aus der Wand von Dunkelheit und Dunst und glitt gespenstisch leise auf sie zu. Sanft tauchten die Riemen ein und hoben sich wieder aus dem Wasser. Sechs Männer saßen auf den Duchten.

      O’Lear spitzte die Lippen und ließ einen langgezogenen Pfiff ertönen – wie vereinbart, zunächst hoch, dann in eine tiefere Lage abfallend.

      Sofort hielten die Männer im Boot auf ihn zu. Wenig später holten sie die Riemen ein, gingen längsseits der Schwimmer und nahmen auf O’Lears Befehl hin zuerst das Mädchen an Bord.

      Danach kletterte auch O’Lear in das Boot. Seine drei Kumpane im Wasser schickten sich an, ebenfalls aufzuentern.

      „Vorsicht“, sagte einer der Piraten im Boot, „treibender Tang.“

      O’Lear schaute sich um und sah nun auch die riesigen, schlangengleichen Gebilde, die auf das Boot zufächelten. Tang – er konnte ganze Boote umklammern und in die Tiefe reißen, ja, sogar Schiffe in Gefahr bringen.

      „Verdammt“, zischte O’Lear. „Los, beeilt euch, wir müssen hier weg.“

      Zwei Schwimmer klommen am Dollbord hoch und griffen nach den hilfreich ausgestreckten Händen ihrer Kumpane. Der dritte war nicht ganz so schnell. Er blieb ein Stück zurück und gestikulierte plötzlich verzweifelt.

      Der Tang hatte ihn umschlungen und drohte ihn unter die Wasseroberfläche zu zerren.

      Brian O’Lear riß eine unter den Duchten verstaute Pike hervor, eilte ganz nach achtern und streckte dem Mann das stumpfe Ende entgegen. Die Pike war länger als ein Bootsriemen, sie erreichte den Mann, und er konnte sie mit beiden Händen pakken.

      O’Lear zerrte und holte den Mann Zug um Zug zu sich heran.

      „Pullt!“ fuhr er die anderen an. „Los, pullt, so schnell ihr könnt, sonst bleiben wir alle stecken.“

      Er zog den Mann aus dem Wasser und befreite ihn von einem großen, glitschigen Stück Tang, das seine Hüfte umspannt hielt. Der Mann sank neben ihm auf eine Ducht. Er war kreidebleich im Gesicht.

      Ein großes Beet formte sich aus dem treibenden Riesentang, aber die Piraten schafften es, sich ihm zu entziehen, bevor es das Boot umwickelte und zum Stoppen brachte.

      Kurz darauf wuchsen die Umrisse der Schiffe vor ihnen aus dem Nebel. Fast majestätisch wirkte die „Black Eagle“, O’Lears Führungsschiff. Sie war eine robust gebaute Galeone mit drei Masten und imposanter Armierung. In ihrem Großtopp wehte die Totenkopfflagge.

      Nach den letzten Gefechten mit den Spaniern bestand O’Lears kleine, aber wehrhafte Flotte nun noch aus insgesamt vier Schiffen. Eine zweite, etwas kleinere Galeone dümpelte neben der „Black Eagle“ auf der Dünung. Eine halbe Kabellänge weiter nach Norden versetzt warteten die beiden Karavellen. Eine führte drei Masten, die andere zwei, beide waren lateingetakelt.

      Wohlweislich hatte der Ire diesmal seine komplette Streitmacht aufgeboten. Den Fehler von der Vornacht wollte er nicht wiederholen. Allein hatte er sich mit der „Black Eagle“ bis zur Ankerbucht des Seewolfes begeben. Er hatte geglaubt, die Männer im Schlaf überraschen zu können und leichtes Spiel zu haben. Aber unversehens hatten sich die beiden Schiffe auf ihn zugeschoben, drohende Giganten in der Nacht – und dann war der Teufel los gewesen.

      Er schüttelte sich, als er daran zurückdachte. Wieder flammte der Haß in ihm auf. Ein verfluchter Engländer hatte ihm, Brian O’Lear, zu trotzen gewagt! Das würde er büßen, zehnfach, hundertfach.

      Das Boot schor längsseits der „Black Eagle“. O’Lear griff sich das immer noch bewußtlose Mädchen, legte es sich über die Schulter und enterte als erster an der Jakobsleiter auf. Auf der Kuhl ließ er sie auf die Planken sinken und trat grinsend seinen Männern entgegen.

      Coleman, ein hagerer, hochaufgeschossener Mann aus Dublin, der auf der Galeone die Funktion des Bootsmannes wahrnahm, war O’Lears rechte Hand.

      Er blickte auf Severa, schaute zu seinem Anführer und sagte: „Ich habe vorsorglich das Boot losgeschickt, um nach euch suchen zu lassen. Wir haben Schüsse gehört und uns gedacht, daß etwas danebengegangen ist.“

      „Ja. Ich wollte euch ein Leuchtzeichen von dem höchsten Inselhügel aus geben, sobald ich das Schiff des Anführers in meine Gewalt gebracht hatte, aber soweit sind wir nicht gekommen.“ Er berichtete, was vorgefallen war.

      „Zwei Tote“, sagte Coleman. „Zum Teufel auch, wir hätten mit den Schiffen doch die Bucht anlaufen sollen.“

      „Damit der Seewolf uns mit seinen vollen Breitseiten empfangen konnte?“ O’Lear stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte seinen Bootsmann durchdringend


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