Seewölfe - Piraten der Weltmeere 171. Burt Frederick
Читать онлайн книгу.trug er eine derbe Jacke und einen wollenen Schal, um sich vor der ungewohnten Kälte zu schützen. Ben war untersetzt und breitschultrig, sein dunkelblondes Haar vom Wind zerzaust.
Pete Ballie, der stämmige Rudergänger, lugte mit verschmitzter Miene über die Schulter des Ersten. Er hatte das Ruder festgelascht und war bei den Reparaturarbeiten dabei, die sein von Ferris Tucker konstruiertes Häuschen wieder in einen wasserdichten Zustand versetzen sollten.
„Mister Profos!“ rief Ben Brighton schneidend. Er hatte vor einer knappen Stunde das Kommando von Hasard übernommen. Nach der mörderischen Schinderei während des Orkans hatten sie alle eine Verschnaufpause verdient. Und Hasard hatte sich diese Pause als letzter gegönnt.
„Sir?“ Der Profos wandte sich zum Achterkastell um.
„Mister Profos“, sagte Ben Brighton mit unbewegter Miene. „Ich halte es für angebracht, daß sich die Männer ein wenig aufwärmen. Veranlasse bitte, daß der Kutscher jedem Mann an Deck eine Sonderration Rum ausgibt.“
„Jetzt sofort?“ entgegnete Carberry mit Reibeisenstimme.
„Jetzt sofort“, sagte Ben Brighton und nickte energisch.
„Aye, aye“, antwortete Carberry und murmelte etwas, das keiner verstand. Er übersah den Schiffszimmermann geflissentlich und stelzte steifbeinig zum offenen Kombüsenschott. Die Männer, die dort beschäftigt waren, wichen beiseite und ließen ihre Werkzeuge sinken.
„Kutscher!“ brüllte der Profos, wobei er sich leicht vornüberbeugte und die Fäuste in die Seiten stemmte. „Los, los, beweg dich! Reiß deinen Hintern vom Kochfeuer los. Hier an Deck hat es keiner so warm und gemütlich wie du.“
Der schmalbrüstige Mann, dessen richtigen Namen niemand kannte, schob seinen Kopf ins Freie. Mit seinen großen blauen Augen blickte er den Profos ungerührt an.
„Was gibt es, Profos?“
„Rum. Extraration für jeden Mann an Deck. Befehl vom Ersten.“
„Sehr wohl, Profos“, sagte der Kutscher, „wird sofort ausgeführt.“
„Mann, wir sind hier nicht in einem herrschaftlichen Salon in England“, bellte Edwin Carberry. „Wir sind hier …“
Was er sonst noch über die gediegene Redeweise des Kutschers vom Stapel zu lassen gedachte, ging im Beifallsgebrüll der Crew unter. Und betont langsam schlenderten sie auf das Kombüsenschott zu. Denn die Genugtuung, daß sie nur dann schnell waren, wenn es einen Schluck zum Aufwärmen gab, wollten sie dem Profos denn doch nicht gönnen.
Nicht alle ließen sich indessen durch die Extraration Rum in Bewegung bringen. Vorn auf der Back hockte Old Donegal Daniel O’Flynn auf einer Taurolle. Wie gebannt blickten Philip und Hasard, die Zwillinge, auf die geschickten Hände des alten Mannes. Er führte das Schnitzmesser gefühlvoll, und aus dem Stück Abfallholz, das die Söhne des Seewolfs für sich an Land gezogen hatten, entstand ein schlanker Schiffsrumpf, der dem großen Vorbild der „Isabella VIII.“ äußerst ähnlich war.
„Nur den Rumpf kriegt ihr von mir“, sagte Old O’Flynn. „Die Masten und den ganzen anderen Kram fertigt ihr selbst an, verstanden.“ Er lächelte, und sein verwittertes Gesicht bildete dabei ein Meer von Falten. Sein Holzbein ruhte auf den Planken. Früher, als er noch wild und draufgängerisch gewesen war, hatte er seinen Sohn Dan mit eben jenem Holzbein verprügelt – wenn es sein mußte. Auch heute noch war der alte O’Flynn ein Kerl aus Granit und Eisen, nur ein wenig besonnener, in sich gekehrter.
„Ach, Old Donegal“, sagte Hasard junior mit bittendem Lächeln, „wenn du schon einmal dabei bist …“
„Aber du kannst es uns doch wenigstens zeigen“, wandte Philip junior ein. „Gerade die Masten und die Takelung sind doch das Schwierigste von allem.“
Old O’Flynn hob den Kopf. Er versuchte, seiner Miene Strenge zu verleihen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen.
Mit ihren acht Lebensjahren waren die Söhne des Seewolfs prachtvolle Burschen, auf die mittlerweile die gesamte Isabella-Crew stolz war. Allen voran der Kapitän der rauhen Galeone, der an seinen Sprößlingen viele Eigenschaften wiederentdeckte, die ihn selbst auszeichneten. Äußerlich glichen sich die Zwillinge wie ein Ei dem anderen, was sich auch dadurch nicht änderte, daß sie dick eingepackt waren in wärmende Jakken und Hosen. Beide waren schlank und schwarzhaarig, hatten scharfgeschnittene Gesichter wie ihr Vater. Und in ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen. Das hatten sie bei verschiedenen Anlässen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
„Den Rumpf habe ich euch versprochen“, sagte Old O’Flynn. „Gehört ihr etwa auch zu der Sorte, die die ganze Hand will, wenn man nur den kleinen Finger gibt?“
Die beiden Jungen, die vor dem alten Mann auf den Planken kauerten, antworteten mit einem Hundeblick, der Felssteine erweicht hätte.
Old Donegal Daniel O’Flynn seufzte tief.
„Wißt ihr“, sagte er gedehnt, „ich habe ja nichts dagegen, euch einen Gefallen zu tun. Aber das geht nicht so ohne weiteres. Es bringt nämlich Unglück, wenn man ein einmal gegebenes Versprechen ohne Grund abändert.“
„Wieso?“ entgegnete Hasard junior mit gewollter Begriffsstutzigkeit.
„Tja, das ist eben so. Es bringt nun einmal Unglück. Ich erinnere mich an einen Mann in London, der es am eigenen Leib erfahren mußte. Dieser Mann war …“
„Aber du würdest es doch nicht ohne Grund tun, Old Donegal“, fiel ihm Philip junior rasch ins Wort. Auch die Zwillinge hatten längst erkannt, daß der alte O’Flynn jede Gelegenheit nutzte, um eine seiner Schauergeschichten vom Stapel zu lassen. Er war ein Meister in allen Registern des Aberglaubens. Jeder an Bord der „Isabella“ kannte diese besonderen Fähigkeiten des alten Rauhbeins zur Genüge.
„Natürlich, du hättest ja einen triftigen Grund“, fügte Hasard junior eilig hinzu. „Weil Philip und ich noch nicht so geübt im Basteln sind, hilfst du uns weiter. Wenn du es so siehst, bringt es bestimmt kein Unglück.“
„Ich weiß nicht“, murmelte Old O’Flynn in beginnender Hilflosigkeit. Sie wickelten ihn mal wieder um den Finger. Er konnte es voraussehen.
Philip junior rieb sich heftig das linke Ohr. Dann schüttelte er den Kopf.
„Es hört nicht auf“, sagte er, „ich habe plötzlich so einen Ton im Ohr. Ein richtiges Klingeln.“
Die Augen des alten O’Flynn begannen zu leuchten. Er beugte sich vor.
„Jemand redet über dich, Junge. Das ist ein ganz sicheres Zeichen. Immer wenn es in deinem Ohr klingelt, redet jemand über dich. Vielleicht am anderen Ende der Welt. Das ist eine der Wahrheiten, die wir Menschen niemals begreifen werden.“
Die Zwillinge sahen ihn mit großen Augen an, und der junge Philip vergaß glatt dieses Klingeln, das ihn eben noch gestört hatte. So unglaublich die Worte des alten O’Flynn auch klangen, so leicht wäre es ihm in diesem Moment gefallen, den Beweis seiner Ohrklingel-Theorie anzutreten. Denn es wurde tatsächlich über Philip junior geredet. Nur nicht am anderen Ende der Welt, sondern ganz in der Nähe.
In der Kapitänskammer der „Isabella VIII.“ herrschte behagliche Wärme. Hasard hatte ein Kohlebekken aufgestellt. Feuchte Tücher, an den Deckenbalken aufgehängt, schirmten die Glut ab. Eine unerläßliche Vorsichtsmaßnahme, notwendig auf jedem Schiff, in dessen Bauch Fässer mit Schwarzpulver ruhten. Das Sonnenlicht fiel in flachen Strahlen durch die Kajütenfenster und tauchte den Raum in ein anheimelndes Licht.
Hasard und Siri-Tong saßen sich gegenüber. Aus den Bechern, die auf dem Tisch standen, kräuselte feiner Dampf. Siri-Tong hatte einen Grog gebraut, den kein Schenkenwirt in Plymouth besser zustandegebracht hätte.
„Du machst es dir selbst unnötig schwer“, sagte Hasard nach einem Schluck aus seinem Becher. Er stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, legte sein Kinn auf die ineinandergefalteten Hände und blickte die Rote Korsarin sinnierend an. „Du schaffst dir Probleme, wo es gar keine