Miss Sara Sampson. Gotthold Ephraim Lessing

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Miss Sara Sampson - Gotthold Ephraim Lessing


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      Gotthold Ephraim Lessing

      Miss Sara Sampson

      Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

      Herausgegeben von Wolfgang Keul

      Reclam

      2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      E-Book-Konvertierung: pagina GmbH Publikationstechnologien, Herrenberger Straße 51, 72070 Tübingen

      Made in Germany 2018

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961736-7

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019440-9

       www.reclam.de

      [3]Personen

      SIR WILLIAM SAMPSON

      MISS SARA, dessen Tochter

       MELLEFONT

      MARWOOD, Mellefonts alte Geliebte

      ARABELLA, ein junges Kind, der Marwood Tochter

      WAITWELL, ein alter Diener des Sampson

      NORTON, Bedienter des Mellefont

      BETTY, Mädchen der Sara

      HANNAH, Mädchen der Marwood

      DER GASTWIRT und einige Nebenpersonen

      [5]Erster Aufzug

      Erster Auftritt

      Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe.

      Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein.

      SIR WILLIAM.

      Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?

      WAITWELL.

      Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen, wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das Gewissen ist doch mehr, als eine ganze uns verklagende Welt. – Ach, Sie weinen schon wieder, schon wieder, Sir! – Sir!

      SIR WILLIAM.

      Lass mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient sie etwa meine Tränen nicht?

      WAITWELL.

      Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären.

      SIR WILLIAM.

      Nun so lass mich.

      WAITWELL.

      Das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der Sonne gelebt hat, das muss so verführt werden! Ach Sarchen! Sarchen! Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind auf diesen meinen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Lächeln, dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die Morgenröte eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer – –

      SIR WILLIAM.

      O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwärtige mein Herz schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an vergangne Glückseligkeiten noch höllischer machen? Ändre deine Sprache, wenn du [6]mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir aus meiner Zärtlichkeit ein Verbrechen; vergrößre das Vergehen meiner Tochter; erfülle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie; entflamme aufs Neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verführer; sage, dass Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehört hat es zu sein; sage, dass sie mich nie geliebt, weil sie mich heimlich verlassen hat.

      WAITWELL.

      Sagte ich das, so würde ich eine Lüge sagen; eine unverschämte böse Lüge. Sie könnte mir auf dem Todbette wieder einfallen, und ich alter Bösewicht müsste in Verzweiflung sterben. – Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiss! gewiss! sie liebt ihn noch. Wenn Sie nur davon überzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich sie heute noch wieder in Ihren Armen.

      SIR WILLIAM.

      Ja, Waitwell, nur davon verlange ich überzeugt zu sein. Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters, und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft, wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser, als erzwungene Tugenden – Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben. Ich würde doch lieber von einer lasterhaften Tochter, als von keiner, geliebt sein wollen.

      WAITWELL.

      Trocknen Sie Ihre Tränen ab, lieber Sir! Ich höre jemanden kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen.

      [7]Zweiter Auftritt

      Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell.

      DER WIRT.

      So früh, meine Herren, so früh? Willkommen! willkommen Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr, von dem du gestern mit mir gesprochen hast?

      WAITWELL.

      Ja, er ist es, und ich hoffe, dass du abgeredeter Maßen – –

      DER WIRT.

      Gnädiger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt mir daran, ob ich es weiß, oder nicht, was Sie für eine Ursache hierherführt, und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt sein Geld, und lässt seine Gäste machen, was ihnen gut dünkt. Waitwell hat mir zwar gesagt, dass Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhält, ein wenig beobachten wollen. Aber ich hoffe, dass Sie ihm keinen Verdruss verursachen werden. Sie würden mein Haus in einen übeln Ruf bringen, und gewisse Leute würden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner muss von allen Sorten Menschen leben. – –

      SIR WILLIAM.

      Besorget nichts; führt mich nur in das Zimmer, das Waitwell für mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen Absichten hierher.

      DER WIRT.

      Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnädiger Herr! Die Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich hätte es, zum Exempel, längst erfahren können, wer der fremde Herr ist, auf den Sie Acht geben wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, dass er mit dem Frauenzimmer muss durchgegangen sein. Das gute Weibchen, oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube eingeschlossen und weint.

      SIR WILLIAM.

      Und weint?

      DER WIRT.

      Ja, und weint – – Aber, gnädiger Herr, warum [8]weinen Sie? Das Frauenzimmer muss Ihnen sehr nahe gehen. Sie sind doch wohl nicht – –

      WAITWELL.

      Halt ihn nicht länger auf.

      DER WIRT.

      Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer trennen, das Ihnen so nahe geht, und die vielleicht – –

      WAITWELL.

      Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer – –

      DER WIRT.

      Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen.

      WAITWELL.

      Nun so mache, und bringe uns an den gehörigen Ort, ehe noch das ganze Haus wach wird.

      DER WIRT.

      Wollen Sie mir also folgen, gnädiger Herr? (Geht ab.)

      Dritter Auftritt

      Der mittlere Vorhang wird aufgezogen.

      Mellefonts


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