Das Grimmingtor. Paula Grogger

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Das Grimmingtor - Paula Grogger


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Die goldlichen Zöpfe sanken auf den Spenser herab, der Kopf schmerzte. Bis ins Mark war sie müd. Und als sie ein Fuhrwerk hörte, kam ihr der Wunsch: Wann ich doch hinfallet und nichts mehr wüsset von mir. Der Mensch, der kommt, möchte mich wohl aufklauben und zu meinem Vater bringen. Ich bräucht alsdann nit selber gehn und wär doch daheim.

      Sie fiel aber nicht hin. Das Leben war auch nach der Krankheit wunderbar stark in ihr. Das Fuhrwerk befand sich schon nahe, und nun erkannte sie, daß der Stralz darin saß. Sie wurde zunderrot im ganzen Gesicht und schritt mit einem Male kerzengrad.

      »Grüß dich!« sagte er.

      Sie dankte ihm nicht.

      »Wohin denn?« fragte er, das Roß anhaltend.

      Sie ging weiter. Da sprang er vom Wagen.

      »Stanzi, bleib doch stehen ein bissel!«

      »Was hast gesagt?«

      »Du tuast mir alles zufleiß.«

      »Wüßt nit … warum.«

      »Hast im Sinn auf Öblarn?«

      »Weiter.«

      »Auf den Mitterberg?«

      »Das kümmert dich nix.«

      »Das kümmert mich wohl«, sagte der große blonde Mensch ohne Erregung.

      Da antwortete sie schon weniger trutzig:

      »Nach Pürgg hab ich im Sinn.«

      »So weit? Es kostet dich grad ein Wörtel. Soll ich umdrahn?« Sie schwieg.

      »Ich führ dich mit meinem Wagerl. Willst?«

      »Kunnt mir einfallen.«

      Andreas Stralz war mit einem Satz wieder auf dem Wagen, schnalzte und sprengte davon. Das Mädchen tat einen schwachen Seufzer und wußte lange nicht, ob ihr zum Lachen oder zum Weinen sei. Sie wanderte talaus mit ihrem Wanderpack. Und weilen sie schon beim Schrabachkreuz war, galoppierte der Stralz so wild und rasselnd hinterher, als wäre ihm das Roß durchgegangen. Schier keine Zeit hatte sie auszuweichen.

      »Wart!« schrie er befehlend und riß am Leitseil, daß der Hengst sich bäumte. Dann sagte er ruhig: »Ich hab mir’s überlegt.«

      Erst jetzt schaute ihn das Mädchen ordentlich an und bemerkte, daß er sich sauber ausstaffiert hatte mit einem neuen Hut und einer Joppe von schönem, lichtgrauem Perlloden. Die Hosen waren unter den Knien mit langen propern Lederbändlein zugebunden. Die Modelstrümpf waren blau wie der Enzian.

      »Zu meinem Halter wöllt ich in die Starzen«, sagte er.

      Da lächelte sie fein.

      » … und auf dem Rückweg bei euch zusprechen …«

      »Wir ziehen unser Kitzel selber auf«, erwiderte sie gar unschuldig, wußte jedoch ganz gut, daß ihm darum nicht zu tun war.

      »Ach geh, bin ich ein Viehhandler, daß du so redst?«

      »Nein, das bist nit.«

      »Was nachher?«

      »Halt mich nit auf! Hab nit Zeit.«

      Es glänzte was wie Glimmerschiefer in seinem linken Auge. Am rechten nämlich war er blind. Sich neigend und ihre Hand innig umfassend, sprach er mit seltsamer Gleichmütigkeit:

      »Steig auf! Oder fürchtst dich?«

      Das Mädchen gehorchte. Langsam und still fuhren die zwei durch den Walchengraben. Grüne Wellchen und grüne Fische hüpften im Bach. Von den Holzriesen schossen spritzend die Wässerlein. In den Baumwipfeln verrieselte das Himmelsgold wie ein Segen. Und die Blüten des Lattichs flimmerten beidseiten des Weges und sahen aus, als wären sie in lauer Nacht zur Erde getropft, just für den Stralzen und die schöne Jungfrau Constantia. Er hatte die Zügel straff gepackt und gab fürsorglich auf das Pferd Obacht, denn die Straße war schmal und holprig. Lieblich verschüchtert saß sie neben ihm. Das Griesengeld klingelte unter dem Sonntagsspenser. Oder klingelte das Herz? Wie wünschte es doch, daß der Weg zwischen Öblarn und dem Knappendörfel niemals, gar niemals ein Ende nähme.

      Von der ersten Bauernkeusche an ging das Steirerwägelchen ruhiger. Das Pferd fand sich von selbst zurecht. Da drückte der Stralz wiederum ihre Hand.

      »Wann du von Pürgg heimkommst, gehen wir zum Pfarrer«, sagte er, sonst nichts.

      Sie nickte. Alsdann sahen sie von weitem den Kirchturm aus dem überzarten Blust der vielen knospenden Obstbäume ragend. Neben dem Wasserwehr hockte der Kurschmied Sebastian Zedler, item ihr Bruder von der seligen Mutter her, welche zweimal verheiratet gewesen war. Der zwinkerte den Brautleuten zu, ohne sich ansonsten zu rühren, sintemal bei seinem Fischzeug ein Mordstrumm Forelle angebissen hatte. Auch eine Schar Kinder trafen sie, welche jenseits der Enns Seidelbast sowie Palmbuschen und Schneeglöckchen gepflückt hatten. Diesseits der Brücke, dicht vor seinem Hof und Wurzgarten, lud er sie ab, nahm ein Sträußel Buchsbaum vom Hut und reichte ihr’s.

      »Nit einmal ein Nagerl hab ich, daß ich dir’s schenken kunnt!«

      Das Mädchen roch lange daran, obgleich es nicht geduftet hat, und sagte:

      »Will’s in ein Geschirrl stecken, daß es weiterwachst.« Wirklich wanderte sie desselben Tages zu ihrer Goden nach Pürgg. Und als die drei Wochen fürüber waren, hielten sie Hochzeit. Eine zweite Köchin hatte der Stralz gedingt, extra wegen der Prügelkrapfen und der Schnürlkrapfen. Und der Kurschmied Zedler hatte auf der Walchenbrücke eine Maut hergerichtet, daß die Brautleut sauber zahlen mußten, sobald sie, verbunden durch das Ehesakrament, alsdann heimwöllten. Kaleschen, Kutschen und Leiterwagen fuhren auf, mit Bändern und Blumen hochgeschmückt. Spielleut mit Flöte, Klarinette, Trompete, Flügelhorn, Geige, Baßgeige und Bratsche marschierten hinter dem Hochzeitlader. Und aus der Höhe vergossen alle vier Glocken ihren Wellenschwang.

      Die Jungfrau Constantia Sorger war so schön und glückselig, daß die alten Mütter im Dorfe gerührt vor sich hinschluchzten. Und daß die ledigen Dirndeln, welche auch ein Ringel erwünschten, dicht bei ihr vorüberstreiften und nach abergläubischer Sitte den Buckel am seidenen Brautkleid wetzten … Und daß die Musikanten es hienach im ganzen Ennstal erzählten, wie die blonde Knappentochter wär dahingerauscht in faltigem Taft, welcher vom dunklen Violett in den braunen Ton verwitterten Kupfers schillerte. Ein Halstuch mit böhmischen Perlen habe sie getragen und nach dem Brauttanz eine golddurchwirkte Drahthaube, von runden Myrten und Rosmarin weiß-grün gekränzet. Bewundernswert sei auch das Muster auf ihren schneeweiß gestrickten Ärmeln und Strümpfen gewest, am allerliebsten aber das wehende Fürtuch von der Farbe blasser Herbstzeitlosen.

      Die Hochzeit der Constantia Sorger, verehelichte Stralzin, dauerte drei Tage. Und als diese verflossen waren, betraf sie auch die Freude, daß der Graf Johann Gottlieb Stampfer, zwar nicht in Person, wohl aber durch das Bergamt, den Vater Johannes Sorger zum Hüttenschreiber ernannte, mit viereinhalb Gulden Wochenlohn und der Anwartschaft auf den Verweserposten. Er übersiedelte alsbald von seiner vereinsamten Keusche in das Werksgebäude heraus, und Frau Constantia erblickte in diesem Umstand Gottes weise und gnädige Absicht, denn schon im zweiten Monat ihrer Ehe brach eine große Heimsuchung über die Gegend, namentlich über die Walchen, herein. Item, es hatte von den Tauern allen Schnee zu einem erschrecklichen Hochwasser zusammengeschwemmt, wie es seit Menschengedenken nicht geschehen war. Heftige Wasserstürze verheerten Schacht und Gruben, vornehmlich das Dreifaltigkeitslager und den Thaddäus-Unterbau. Der Bach riß alle Brücken mit. Baumstämme schwammen von den Angern heraus wie Halme.

      Und eine Sandmure schob sich durch das enge Quertal und bedrohte das Dorf mit einem Schaden, welchen weder Mensch noch Vieh hätte angleichen können.

      Die gottesfürchtigen Leute, soweit sie katholisch waren, nahmen ihre Zuflucht zum heiligen Johannes von Nepomuk und zimmerten augenblicks ein Bildstöckel, damit er sie vor weiterer Not und Fährnis behüte. Die junge Stralzin steckte überdies jeden Abend dem Patron eine Kerze an, der ebendort wachte, wo der Weg zwischen dem Bachbett und ihrem Wurzgarten zum Berghammer führt. Sooft sie auch hinaustrat, gar alleweil lauerte


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