Vier Pfoten und drei Koffer. Helge Sobik
Читать онлайн книгу.Dreimal wache ich diese erste Nacht davon auf, dass mein Hund kurz »Wuff« im Bett sagt, als wollte er mich möglichst diskret darüber informieren, dass irgendetwas anders als üblich ist. Beim ersten Mal höre ich draußen immer wieder ein Käuzchen rufen und sage zu Hoover »Alles gut, ganz fein«, was ihn stets sogar aus höchstem Alarm in die Normalität zurückholt. Wenn ich Neues so eingeordnet habe, gehört es für ihn fortan zum Alltag. So war es als Welpe bei seinem ersten Gewitter, später beim ersten Spielmannszug, der zuhause am Haus vorbeizog. So war es im Etappenhotel bei den Korridorgeräuschen. Beim zweiten Fall in dieser Nacht sind es dicke, schwere Regentropfen eines kurzen Schauers, die ihn alarmieren, als sie vernehmlich und dann doch in irgendwie meditativem Rhythmus auf die Dachziegel über uns trommeln.
Ein weiteres Mal wache ich auf, weil mein Hund hellwach im Bett sitzt und so tieftönig und bedrohlich knurrt, dass die Matratze in derselben Frequenz mitzuschwingen scheint. Diesmal gehe zum Fenster und schaue nach dem Rechten. Der Bewegungsmelder muss ausgelöst haben, denn die Veranda gleich neben dem Schlafzimmerfenster ist in Flutlicht getaucht – und mitten auf den Fliesen sitzt eine weiß-braune klatschnasse Katze, die ähnlich irritiert schaut wie wir. Ich schalte den Strahler aus, sage »Alles gut« zu Hoover und wir gehen wieder schlafen, bis irgendwann so gegen Viertel nach acht der neuen Morgen »Hallo« sagt und die ebenfalls wiedererweckte Sonne durchs Schlafzimmerfenster aufs Fußende strahlt. Der Regen der Nacht hat sich offenbar längst davon gemacht.
Randale im Bad
Es klappert, klickert, klötert. Es rumpelt, poltert, rumort. Was es zum Glück noch nicht tut: klirren, krachen, bersten. Eindeutig ist irgendetwas im kleinen Ferienhaus-Badezimmer los. Irgendetwas, was nicht von alleine diese Geräusche macht. Und wo ist eigentlich mein Hund?
Ich springe vom großen Sofa im Wohnzimmer auf und bemerke, dass die Badezimmertür genauso weit aufsteht, dass ein ausgewachsener schwarzer Flat Coated Retriever hindurchpasst. Ich schleiche mich an, schiebe sie lautlos weiter auf – und sehe, wie Hoover immer wieder rabiat mit der Nase gegen die Klopapierhalterung rempelt, dann von unten gegen die Rolle hebelt, um es gleich anschließend sehr konzentriert von der anderen Seite zu versuchen.
Ich beschließe, mich irgendwie einzubringen und in ganz normalem Tonfall nach dem Her- und geplanten Fortgang der Ereignisse zu erkundigen: Er schaut kurz auf, wedelt zweimal fröhlich, rempelt dann wieder die Rolle, drückt hier, schiebt dort in größtem Eifer. Bis ich endlich begreife, was hier abläuft.
Zuhause hat er schon mit drei Monaten herausgefunden, wie man die Toilettenpapierrolle mit einem Nasenheber gegen den Deckel der Halterung, einem Stoß gegen die Rolle und noch einem Ruck aus der dortigen Befestigung schieben und anschließend sehr heiter vor sich her durchs Haus treiben kann. Ein-, zweimal hatte ich es geschehen lassen, weil er so glücklich dabei war und so viel Spaß hatte und weil ich beeindruckt von seiner Findigkeit war. Und ein wenig stolz auch. Danach habe ich ihn noch hebeln, aber die papierne Beute nicht mehr herumrollen lassen.
Jetzt im Ausland hat er nun mit der hiesigen Rolle denselben Versuchsaufbau wieder auf den Spielplan gehoben. Der Unterschied ist nur: Die Halterung ist gänzlich anders konstruiert. Es ist unmöglich, die Rolle von der Stange zu schieben, denn hier ist sie mit Hilfe von zwei Sprungfedern auf einem mittig festgeklemmten Hartplastikstab innerhalb eines massiven Keramikgeschützes befestigt. Und das wiederum scheint an die Fliesen gedübelt zu sein.
»Lass mal«, sage ich und: »Nein, das geht nicht«. Er aber rempelt erst mal weiter an der widerwilligen Klopapierrolle herum. »Hey!!«, sage ich schließlich und sein Blick antwortet: »Sie hat angefangen!« Ich versuche intuitiv das Thema zu wechseln und höre mich die Worte »Komm, wir suchen Deinen Ball« sagen. Das funktioniert. Der Ball ist noch spannender als der Klopapier-Trick. Und so liegen wir jetzt beide auf dem Fußboden und hangeln mit Armen beziehungsweise Vorderpfoten unter dem hellen Wohnzimmersofa herum, um Hoovers Tennisball herauszufischen, der irgendwie darunter gelangt ist. Wahrscheinlich ebenfalls aus eigener Kraft. Auch nicht unspannend.
Wo sind Deine Sachen?
Zuhause fängt manches Spiel mit dieser Frage an: »Wo sind eigentlich Deine Sachen?« Hoover läuft dann zur Tür der Abstellkammer und stupst mit der Nase dagegen; wenn ich nicht schnell genug reagiere, dann gleich mehrfach hintereinander. Und wenn ich mich arg ahnungslos noch mal erkundige und »Aber wo sind denn nun Deine Sachen?« frage, dann springt er an der Tür hoch und haut mit den Vorderpfoten dagegen. Sein Vorgänger hat bei derselben Aufgabenstellung sogar herausbekommen, wie man sie öffnet, nach außen immerhin: Er legte eine Vorderpfote auf den Türdrücker, bis der ein wenig nachgab und machte dann – immer noch auf den Hinterbeinen stehend – eine ganz leichte Bewegung nach hinten, ließ die Vorderpfoten wieder dem Fliesenboden entgegengleiten, schob mit der Nase die nun bereits einen Spalt breit geöffnete Tür weiter auf und marschierte in die Vorratskammer ein. Hoover wird an diesen Punkt auch noch gelangen. Er schaute bereits sehr interessiert, als er das erste Mal bemerkte, dass der Türdrücker nachgibt, wenn man ihn – in seinem Fall bislang noch eher zufällig – erwischt.
Hinter der Tür verbergen sich nicht nur Getränkekisten, Marmeladengläser und Nudel-Großpackungen, sondern auch originalverpackte Kauknochen und sämtliche Leckerli-Vorräte. Das alles hat weder Hoover noch seinen Vorgänger in solchen Momenten interessiert. Viel wichtiger ist: Dort lagern sämtliche Spielzeuge, die es nicht im dauerhaften Sofortzugriff gibt, sondern die als Besonderheiten unter Aufsicht von Zeit zu Zeit ins Rennen gehen. Die Kollektion an Plüsch-Enten gehört dazu, die Frisbee-Scheiben und Wurfbälle, dazu hölzerne Hunde-Intelligenzspielzeuge, bei denen man irgendwelche Riegel umlegen und Deckel mit viel Geschick öffnen muss, um an die dahinter verborgenen Leckerlis zu gelangen. Die Wo-sind-Deine-Sachen-Frage ist deshalb immer der Beschäftigung mit den Lieblingsspielsachen vorangestellt.
Etliche dieser Accessoires sind jetzt in den Urlaub mitgefahren, ganz hinten im Kofferraum, zusammengequetscht in einem Pappkarton. Ihren Platz im Ferienhaus haben sie im Einbauschrank des Gästezimmers gefunden. Hoover hat genau gesehen, wie ich alles aus dem Karton genommen und gemeinsam mit dem nicht ganz so beliebten Kamm, seiner Bürste und den Futtervorräten hinter der rechten Schranktür versenkt habe.
Ein paar Stunden danach frage ich ihn ganz unvermittelt und ohne mir groß etwas dabei gedacht zu haben: »Hast Du eigentlich auch Sachen mit? Wo sind denn hier Deine Sachen?« Er schaut mich mit großen Augen an, signalisiert volle Aufmerksamkeit, höchstes Interesse. Die Begriffe hat er sofort decodiert.
Und nun könnte man glauben, er würde die heimische Abstellkammer suchen und resignieren. Er würde den Begriff »Sachen« mit der Tür zu jenem Räumchen zuhause assoziieren und hier nicht weiter wissen. Mitnichten! Sofort springt er auf, rennt zur geschlossenen Tür des Gästezimmers, schaut mich an, als wollte er sagen: »Nun mach schon, komm endlich«. Ich tue ihm den Gefallen und bin gespannt, was als Nächstes geschieht.
Mit der Nase stupst er gegen die Tür, ich öffne. Und auch jetzt bin ich nicht sicher, ob er im leeren Gästezimmer nicht gleich ganz enttäuscht aus den zwei Sehschlitzen in seinem Pelz schauen wird. Und wieder: mitnichten! Er steuert zielsicher die rechte Schranktür an und stupst wiederum mit der Nase dagegen. Ich stelle mich begriffsstutzig, zucke mit den Schultern und sage mit ratlosem Tonfall: »Und Deine Sachen?« Da patscht er im Sitzen mit der Pfote gegen jenes Portal des Einbauschrankes, als wollte er antworten: »Da drin natürlich, mach schon!« Ich öffne und er sucht sich seine Ente aus, die er nun mit lauter kleinen, glücklichen Bocksprüngen erst durchs Haus schleppt, dann über die Terrasse schleudert, um – kaum dass sie fliegt – hinterherzuspringen und sie sich wieder zu greifen.
Was das Experiment beweist: dass er genau weiß, was »seine Sachen« sind. Nämlich nicht die austauschbaren Aufbewahrungsräume, sondern die konkrete Summe der Gegenstände, die ihm wichtig sind. Erstaunlich.
Wieder fällt mir Hoovers Vorgänger ein. Dessen »Sachen« lagerten zuhause vorm Umzug in die Vorratskammer in einer langen, tiefen Schublade ganz unten in der Einbauküche. Sie hat einen recht großen, länglichen Metallgriff und ist ähnlich wie in Apothekerschränken