Keine Lust und trotzdem fit. Gert von Kunhardt

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Keine Lust und trotzdem fit - Gert von Kunhardt


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wird?

      Dann aber musste ich bei der Bundeswehr doch fast jeden Tag Sport treiben. Als auch dort körperlich Schwächster wurde ich bei den Wahlen zu Ballspielen wieder geflissentlich übersehen. Aber der Unteroffizier befahl mich einfach in irgendeine Mannschaft. Und so spielte ich recht und schlecht mit. Spaß hat es nicht gemacht. Es traute sich niemand, mich anzuspielen, weil ich so schnell den Ball verlor …

      Ich schaffe auch dummerweise nicht die Bedingungen für das Deutsche Sportabzeichen. Es gelang mir einfach nicht, die geforderten 4,75 m weit zu springen. Das war aber die Voraussetzung für die Karriere. Ohne Sportabzeichen war an eine Beförderung nicht zu denken.

      Dieser sportliche Misserfolg fand durch einen Zufall ein überraschendes Ende. Bei einem Waldlauf gelang es mir, einen fünf Meter breiten Bach mühelos zu überspringen, obwohl ich diese Weite vorher auf dem Sportplatz nicht geschafft hatte. Dass es gelang, hatte den einfachen Grund, dass ich mich beim Sprung nur auf die Landung im Trockenen auf dem anderen Ufer konzentriert und damit mir unbewusste Kräfte mobilisiert hatte. Ich konnte viel weiter springen als sonst. Ein echtes Aha-Erlebnis.

      Das war der Beginn einer neuen Sichtweise. Ich bekam größeres Zutrauen und gewann Freude an sportlichen Übungen. Und es machte mir Mut, mich zu einem Training als Moderner Fünfkämpfer einladen zu lassen. Der Moderne Fünfkampf bestand damals aus den Disziplinen Reiten, Geländelaufen, Degenfechten, Kraulschwimmen und Duell-Pistolenschießen und wurde an vier aufeinanderfolgenden Tagen abgeleistet.13 Das 300-Meter-Kraulschwimmen war die für mich größte Schwierigkeit. Ich schaffe anfangs nämlich nur 25 Meter an einem Stück. Dann war die Luft raus, die Kraft weg. Alle noch so großen Anstrengungen waren vergeblich. Ich kam monatelang nicht weiter.

      Aber dann hatte ich ein weiteres Schlüsselerlebnis im Urlaub mit Freunden am Montiggler See in Südtirol. Der See war mit 27 °C sehr warm. Er ist knapp 200 Meter breit. Wieder versuchte ich mich im Kraulschwimmen. Diesmal aber entspannt ohne jegliche Kraftanstrengung, gewissermaßen Hand über Hand, die Beine locker wie Flossen pendelnd, den Kopf im Wasser, nur zum Luftholen zur Seite drehend. So glitt ich langsam durch den See. Mit einem Mal stieß ich ans Ufer. Von jetzt auf gleich hatte ich die 200 Meter hintereinander „durchgekrault“. Das war nicht schnell, aber die Distanz geschafft. Der Knoten war geplatzt.

      Sofort kraulte ich zurück und berichtete meinen Freunden begeistert von meinem Erfolg. Leider hatte es niemand gesehen. So ein Pech! Sie glaubten mir nicht, wie so oft in meinem Leben. So musste ich tatsächlich noch einmal hinüberschwimmen. Insgesamt habe ich die 200-Meter-Strecke also viermal hintereinander, sozusagen aus dem Stand, gekrault. Ein unerwarteter Leistungssprung. Der Knackpunkt: Ich war bewusst langsam und kraftlos gestartet.

      Das Prinzip der subjektiven Unterforderung war geboren. Dadurch konnte sich mein Organismus leichter anpassen und seine Möglichkeiten im Wasser optimal entfalten. Wieder ein entscheidendes Aha-Erlebnis, und es hat mein ganzes Leben verändert. Ich erkannte nämlich, dass ich vielmehr leisten konnte, wenn ich das Gas wegnahm. Durch reinen Zufall wurde ich mir meiner wirklichen Möglichkeiten bewusst. Ich konnte viel mehr, als ich es mir bisher zugetraut hatte. Mein Mut zur Langsamkeit hat dazu geführt, dass ich größeres Selbstbewusstsein bekam, eifrig trainierte und schließlich in die Nationalmannschaft der Modernen Fünfkämpfer berufen wurde. Dort wurde ich sogar mit der Mannschaft Vizeweltmeister. Anscheinend nur eine Kleinigkeit, aber sie hatte gewaltige Auswirkungen. Durch diese Erkenntnis habe ich dann eine interessante Karriere begonnen. Fortan beobachtete ich natürlich auch die mir unterstellten Soldaten und konnte sie ganz anders fördern. Ich habe es schließlich bis zum Sportdezernenten der Bundeswehr gebracht.

       Die Lehre: Die meisten Menschen wissen nicht, was sie wirklich können. Und wenn einer nur wenig leistet, wird er sich damit nicht auch noch in der Fitness-Szene zur Schau stellen. Wer will schon ein Versager sein? So kann keine Freude aufkommen, von Lust gar nicht zu sprechen.

      Schlussfolgerung: Es macht Sinn, dir klar zu werden, was du kannst. Das erfordert nur deine Bereitschaft, Neues zu lernen und auszuprobieren. Das lohnt sich. Oft habe ich erstaunliche Erfahrungen gemacht. Meine Frau und ich fragen uns jeden Abend: Was haben wir heute Neues gelernt? Henry Ford wusste es: „Wer nicht mehr lernbereit ist, ist alt.“ So nicht!

      Seit diesen fundamentalen Erfahrungen habe ich den Mut gefunden, mir immer wieder neue Ziele zu setzen.

      Aber nur klare Zielvorgaben entscheiden über Erfolg oder Misslingen. Auch jetzt, im fortgeschrittenem Alter, gilt das. Bei den morgendlichen 25-minütigen Waldläufen springe ich aus persönlichem Ehrgeiz zum Schluss immer noch Seite 15 über eine geschlossene Wegschranke. Neulich war die Schranke auf, und ich dachte, ich lasse mir meinen Sprung nicht nehmen. Also simulierte ich die Schranke und sprang imaginär darüber. Aber ich bemerkte, dass ich nicht hoch genug gesprungen war. Ich war deutlich niedriger gehüpft, als die Schranke im geschlossenen Zustand hoch war. Noch einmal. Wieder war ich zu niedrig gesprungen. Nun wollte ich es wirklich wissen und schloss die Schranke, nahm einen neuen Anlauf und sprang zu meinem namenlosen Erstaunen deutlich höher als bei den Vorversuchen.

      Erst als ich die Schranke in ihrer wirklichen Höhe deutlich vor Augen hatte, habe ich meine Füße im entscheidenden Sprung richtig hochgehoben. Es gibt in mir unbewusste Kräfte, die erst durch zusätzliche Maßnahmen mobilisiert werden können. Andersherum liegen offensichtlich auch heute noch Fähigkeiten in uns verborgen, die wir nicht kennen und die in Erstaunen versetzen können.

       Fazit: Das Ziel muss deutlich vor Augen stehen. Umgesetzt auf dein heutiges Leben, bedeutet es, dir immer neu kleine klare und erreichbare Ziele zu setzen. Aufs Ganze gesehen, heißt das, du solltest dich jeweils neu zu einem Entschluss durchringen:

      „Ich will in den nächsten vier Wochen jeden Morgen zehn Minuten gejoggelt sein.“ Die Straße rauf und wieder runter. Oder noch direkter: „Ich will jeden Morgen als Erstes meinen Trainingsanzug anziehen und zehn Minuten laufen.“ Dann braucht es nur noch den kleinen Stupps: Und du läufst los!

      Das müsstest du mal miterleben: Auf unseren Seminaren kultivieren wir jedes Mal ein Aha-Erlebnis besonderer Art. Wir laufen mit allen Teilnehmern, gleich welcher Altersgruppe, einen Halbstundenlauf, ohne dazwischen anzuhalten oder Schritt zu gehen. Aus dem Stand laufen wir mit Untrainierten 30 Minuten lang. Das wird vorher auch nicht angekündigt. Im Gegenteil wiegeln wir bei Nachfragen nach Zeit und Distanz sofort ab: „Ach, wir machen nur eine kleine Laufdemonstration.“ Wir laufen auch nicht, wir joggeln14, d. h., wir laufen bummelnd durch den Wald und beschäftigen uns dabei mit den Abläufen im menschlichen Körper. Wir achten darauf, dass jeder mitdenkt.

      Für uns ist es wichtig, mit Verstand zu laufen, d. h. sich die Notwendigkeit eines „übertrieben“ langsamen Laufes (subjektive Unterforderung) vor Augen zu führen und ganz bewusst die ersten 1-5 Minuten langsam zu traben (joggeln statt joggen). Joggeln, als bummelndes Laufen, ist das gesündeste Training überhaupt.

      So erklären wir während des Laufens, wie sich die Anpassungsphänomene im Blutkreislauf abspielen, wie wir die Druckverhältnisse in den Gelenken minimieren und die Entstehung von zu viel Milchsäure verhindern können. Das fordert gespannte Aufmerksamkeit, über der die Teilnehmer ganz vergessen, dass sie eine halbe Stunde andauernd laufen. Auf die Frage: „Was schätzen Sie, wie lange wir gelaufen sind?“, werden regelmäßig Zeiten zwischen 15 und 20 Minuten genannt. Bisher hat noch jeder der über 18.000 Seminar-Teilnehmer 30 Minuten joggeln ohne die geringsten Probleme geschafft.

      Als wir dies unserem ersten Seminar-Arzt erklärten, wollte er wegen des hohen Risikos nicht mitmachen und forderte von uns, dass wir von allen vorher eine ärztliche Untersuchung attestieren lassen sollten. Gut, dass wir das nicht gemacht haben. Denn das hätte nur Angst ausgelöst. Hier liegt der Hauptgrund, weswegen sich die meisten Menschen nicht trauen, eine halbe Stunde lang gemütlich durch den Wald zu laufen. Sie sind unsicher. Durch eine ärztliche Untersuchung


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