Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31. Группа авторов
Читать онлайн книгу.mit dem Neger den Mulatten, der Amerikaner mit demselben den Kabugl oder den schwarzen Karaiben«18. Auch hierbei öffnet sich ein Horizont, in dem die diversen Bevölkerungen gleichzeitig als heterogen und transkontinental kommensurabel erscheinen.
Dabei artikuliert Kant, was in den Prozessen kolonialer Expansion, der Mobilisierung und Klassifikation von Bevölkerungen praktisch konstituiert wurde: eine eurozentrische Form von Globalität. Diese wurde um 1800 durchaus reflektiert. Georg Forster, der sich zu Beginn der 1790er Jahre Gedanken über die im Entstehen begriffene »neue Epoche« macht, schreibt zum Beispiel: »Der Zeitpunkt nähert sich mit schnellen Schritten, wo der ganze Erdboden dem europäischen Forschergeiste offenbar werden und jede Lücke in unseren Erfahrungswissenschaften sich, wo nicht ganz ausfüllen, doch in so weit ergänzen muß, daß wir den Zusammenhang der Dinge wenigstens auf dem Punkt im Äther den wir bewohnen, vollständiger übersehen können«19. Deutlich kommt bei Forster zum Ausdruck, dass also jene Perspektive, die auf »den ganzen Erdboden« gerichtet ist, und mit dem Anspruch einer lückenlosen Erfassung der Welt einhergeht, von einem spezifischen »Punkt im Äther«, Europa, ausgeht und auf ihn zuläuft.
Als Teilnehmer der zweiten Südsee-Expedition unter James Cook ist Forster dabei selbst ein Protagonist der Globalisierungsprozesse um 1800.20 Die Resolution, so der Name des Schiffes, kommt beladen mit »mehreren tausend Naturalien«21 nach England zurück. Was nicht in gegenständlicher Form transportiert werden kann, wird gezeichnet und beschrieben und also auf diese Weise dem europäischen Wissen und Imaginären zugänglich gemacht. In seinem Bericht Reise um die Welt (1777), der zwei Jahre nach der Rückkehr erschien, berichtet Forster zum Beispiel vom Kap der guten Hoffnung: »In dem Pflanzenreiche herrscht hier eine verwundernswürdige Mannigfaltigkeit. Ohngeachtet wir uns gar nicht lange allhier aufhielten, fanden wir dennoch verschiedne neue Arten […]. Das Thierreich ist verhältnismäßig ebenso reich«22. Ausführlich beschrieben wird zum Beispiel »eine Art wilder Ochsen, welche von den Eingebohrnen Gnu genannt werden« und von denen ein Exemplar »für die Menagerie des Prinzen von Oranien lebendig nach Europa verschickt worden ist«23. Im Innern von Afrika, in dessen »fast noch ganz unbekannten Theilen«, schließt Forster, gebe es zudem noch weitere »große Schätze für die Natur-Wissenschaft«24. Im Zentrum von Forsters Interesse steht allerdings das Wissen über die verschiedenen menschlichen Bevölkerungen. Es sei seine Absicht gewesen, heißt es im Vorwort zur Reise um die Welt, »die Natur des Menschen so viel wie möglich in mehreres Licht zu setzen«25. Dieses Interesse teilt Forster mit einer ganzen Reihe zeitgenössischer Wissenschaftler und Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert mit Klassifikationen, Differenzierungen und Erklärungen für die Diversität innerhalb des Menschengeschlechts befassen. Er teilt dieses Interesse insbesondere mit Kant, mit dem er diesbezüglich eine schriftliche Kontroverse führen wird.
Mannigfaltigkeit und Ordnung: Der Begriff der Rasse
Kants Versuch, einen »Erklärungsgrund« für die globale Mannigfaltigkeit von Bevölkerungen zu finden, mündet in eine Definition des Begriffs der Rasse. Kant bestimmt einen Ausdruck, der in den zeitgenössischen Debatten zwar zirkulierte, aber weder einheitlich gebraucht wurde noch unumstritten war.26 Unter Bezug auf Buffons Begriff der Spezies, demzufolge sich eine solche dadurch auszeichnet, dass ihre Angehörigen miteinander fruchtbaren Nachwuchs zeugen können, sucht Kant nach einem Konzept, das es erlaubt, Unterschiede innerhalb einer Spezies zu artikulieren. Die begriffliche Innovation besteht dabei darin, dass Kant den Ausdruck »Rasse« mit dem der Vererbung verbindet. Damit verleiht er beiden eine neue Bedeutung, denn auch der Ausdruck »Vererbung« wurde vor Kant nur unspezifisch und zumeist im juristischen Kontext verwendet. Kant aber verleiht in seiner Verknüpfung von »Rasse« und »Vererbung«, wie nicht zuletzt Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille gezeigt haben, beiden Konzepten eine naturtheoretische Bedeutung.27 »Rasse«, so schreibt Kant, seien jene »Abartungen, d.i. erblichen Verschiedenheiten der Tiere, die zu einem einzigen Stamme gehören […], welche sich sowohl bei allen Verpflanzungen (Versetzungen in andere Landstriche) in langen Zeugungen unter sich beständig erhalten also auch in der Vermischung mit anderen Abartungen desselben Stammes jederzeit halbschlächtige Junge zeugen«28. Damit stehen nicht nur – in der Rede von Verpflanzungen und Vermischungen – Prozesse der globalen Mobilität von Menschen im Zentrum von Kants neuem Begriff. Mit dem Konzept des Stammes bzw. der Stammrasse führt Kant zudem eine universalistische Dimension ein, die durch den Begriff der Rasse zugleich in Frage gestellt und stabilisiert wird. Kant zufolge verhält es sich nämlich so, dass eine ursprüngliche Stammrasse – zu der die Europäer eine besondere Nähe aufweisen29 – sich in vier verschiedene Rassen ausdifferenziert hat. Kant geht davon aus, dass es in einem ursprünglichen Stamm »Keime« gegeben habe, in denen, wie es heißt, »die Anlagen zu aller dieser klassischen Verschiedenheit notwendig haben liegen müssen, damit er zu allmählicher Bevölkerung dieser verschiedenen Weltstriche tauglich sei«30.
An diesem Punkt, nämlich in Hinblick auf die Annahme einer gemeinsamen Abstammung aller Menschen, widerspricht Forster, der den Begriff der Rasse insgesamt für »entbehrlich« hält.31 Forster hatte in der Reise um die Welt zunächst mit klimatheoretischen Erklärungen für die Diversität menschlicher Bevölkerungen argumentiert, indem er zum Beispiel die Hautfarbe durch die Stärke der Sonneneinwirkung erklärte. Im Fortgang der Reise hatte er sich immer stärker von diesem Erklärungsmuster, das insbesondere auch Buffon bedient hatte, entfernt. Auf der Südsee-Insel Malekula trifft er nämlich auf Bewohner, die zwar unter klimatischen Bedingungen leben, die denen der anderen Inseln im Südpazifik vergleichbar sind, deren Bewohner aber dennoch in so gut wie jeder Hinsicht anders erscheinen. Dies bringt Forster zu der Auffassung, es müsse sich hier um zwei verschiedene »Stämme« handeln. Dabei nimmt er die im ausgehenden 18. Jahrhundert viel debattierte These der Polygenese auf, das heißt die These, dass die Menschengattung mehrmals an unterschiedlichen Orten entstanden sei. Auch Voltaire hatte diese Auffassung vertreten, deren Brisanz vor allem daraus resultierte, dass sie die Schöpfungstheologie radikal in Frage stellte.32 In dieser Linie behauptet Forster schließlich auch in Noch etwas über die Menschenracen (1786), jenem Text, in dem er gegen Kants monogenetische Auffassung argumentiert, es gebe zwei »Stämme«, nämlich den des »Negers« und den des »Weissen«. Unter Bezug auf die anatomischen Studien von Samuel Thomas Sömmering behauptet Forster, dass »der Neger sichtbarlich so wohl in Rücksicht äusserer als innerer Gestaltung weit mehr übereinstimmendes mit dem Affengeschlechte habe, als der Weisse«33. Gleichwohl, so führt er weiter aus, stehen beide »ganz nahe nebeneinander«34, da schließlich auch Schwarze zum Menschengeschlecht gehörten und dieses grundsätzlich von den Affen verschieden sei.
Sowohl Forster als auch Kant schlagen also Einteilungen vor, die auf Kants Problem reagieren, eine Erklärung für die »Mannigfaltigkeiten der Rassen auf der Erdfläche«35 zu finden. Sie konstituieren eine Ordnung, durch die diese Mannigfaltigkeit von einem europäischen Standpunkt aus intelligibel wird. Dabei gilt, was Marie Louise Pratt mit Blick auf die wissenschaftliche Aneignung von Pflanzen und Tieren festgestellt hat, auch für den forschenden Blick auf Menschen: »One by one«, so Pratt, »the planet’s life forms were to be drawn out of the tangled threads of their surroundings and rewoven into European-based patterns of global unity and order«36. Kants Theorie der Menschenrassen hat sich dabei in Hinblick auf die Konstitution eines solchen eurozentrischen Ordnungsmusters als folgenreicher erwiesen als die von Forster. Kant hat nämlich mit dem Begriff der Rasse, der im Kontext eines genealogischen Denkens in Abstammungs- und Vererbungsrelationen auftaucht, nicht nur einen neuen Ordnungsbegriff hervorgebracht. Kant, so hat es Robert Bernasconi einmal formuliert, »contributed more than just the term ›race‹. He set a direction for future inquiries«37. Schließlich wird der Rassenbegriff bei Kant zum Ausgangspunkt einer Rekonzeptualisierung von Naturwissen und erscheint unauflöslich mit dieser verbunden.
Eine neue Form von Naturwissen
Grundlegender als die unterschiedlichen Positionen zur Mono- bzw. Polygenese waren denn auch methodische und erkenntnistheoretische Fragen, die Kant und Forster entzweiten. Gegen Kant, der von Reiseberichten behauptet hatte, sie hätten »bisher mehr dazu beigetragen, den Verstand […] zur Nachforschung zu reizen, als ihn zu befriedigen«38, rehabilitiert Forster das durch Beobachtungen und Erfahrungen gewonnene Wissen. Er zeigt nicht nur auf, wo Kant Reiseberichte falsch gelesen hat, sondern wendet sich insbesondere gegen dessen Anliegen, Begriffe,