Das Kartell der Skorpione. Mario Monteiro

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Das Kartell der Skorpione - Mario Monteiro


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      »Ruhe. Weiterschlafen. Morgen ...«

      »Wo ist der Opa?«

      »Vor einer halben Stunde haben sie ihn geholt.«

      »Endlich im Krankenhaus?« Boris hielt den Daumen nach unten. Robby rutschte in die Hocke und betete.

      »Man konnte nichts mehr für ihn tun.«

      Boris und Storca tuschelten. Robby verstand nicht, um was es ging.

      Klappe zu. Draußen vor der Zelle klimperten sie mit Schlüsseln.

      »Robby zum Verhör!«

      Der Bub zitterte. Der Schlüssel knarrte in der Gittertür. Dann die Vorhängeschlösser, der Riegel.

      »Boris, jetzt hauen sie wieder zu. Ich hab doch nix ...«

      »Pelo amor de Deus«, hörte er Boris flüstern. »Erzähl denen, was sie hören wollen! Und drück deinen Daumen aufs Papier.«

      Robbys Knie gaben nach.

      »Wird’s bald!«, rief der Posten in die Zelle.

      »Fala guri, fala! Pelo amor de Deus, Fala!«, raunte Storca, als der Junge an ihm vorbeischlich und auf den Laufgang hinausgezerrt wurde. Also reden sollte er. Reden, reden, reden.

      Zwei Polizisten zerrten den Jungen die Treppe hinauf.

      »Nun, Freundchen. Also lass mal hören, wie schön du singen kannst. Senhor Martinez hat nämlich heute nicht viel Zeit. Es muss ganz schnell gehen. Deshalb haben wir für dich einen feinen Dirigenten bestellt.«

      Der Polizist kicherte, während er den Buben am Arm hatte und in den ›eisernen Beichtstuhl‹ schleifte.

      »Befehl vom Boss!«, hörte Robby. »Benitez und Cavalcanti sollen auch gleich rauf.«

      Wenigstens steckten sie keinen von den beiden ins Kellerloch. Das kleine ›Untersuchungszimmer‹ das am Ende des Ganges hinter dem ›Hauptbüro‹ lag, genügte vollends. Robby hatte es seit seiner Einlieferung noch nie gesehen. Offensichtlich war das einzige Fensterchen, das es einmal gegeben hatte, zugemauert worden und nur eine verstaubte Glühbirne hing an einem kurzen Kabel. Somit die einzige Lichtquelle, unter der ein pockennarbiger Polizist mit einem enormen Wanst und einer weit aufklaffenden Zahnlücke auf Robby wartete.

      Gott sei Dank! Der Teufel mit dem hundsgemeinen Nietenriemen war heute nicht dabei.

      »Bitte, bitte ... nicht schlagen. Ich sag alles, was ich weiß. Ganz bestimmt!«

      Hämisch grinsend hob der Dicke das Tuch hoch, unter dem die LKW-Batterie zum Vorschein kam. Langsam tappte der Kerl aus der Ecke und stieß den Jungen auf die Bretter, die auf einem kastenartigen Sockel festgeschraubt waren.

      »Wir prügeln dich doch nicht, Kleiner«, sagte der zweite, den Robby bis jetzt nicht gesehen hatte, da er im Halbdunkel stand und jetzt damit beschäftigt war, sich dicke Gummihandschuhe anzuziehen. »Wer redet denn von Prügel? Wir kitzeln nur ein bisschen.« Dabei verzog er den Mund zu einem ovalen Loch und machte ›Kirrekirre‹, während sie Robby auf die Bretter schnallten.

      »Mach bloß keine Zicken.« Oliveira zog die Lederriemen an. Dann schnürte er die Beine fest. »Damit du nicht so zappelst, wenn’s gleich losgeht.«

      »Bitte, bitte. Bitte nicht ...« Robby starrte auf die LKW-Batterie und dann auf das schwarze Kabel in der Hand des Polizisten. Dann war das Licht weg. Robby hörte auf das Tapsen im Dunkeln.

      Ein dumpfer Schlag. Dann flutete grelles Scheinwerferlicht durch die berstende Mauer. Dahinter ein Kühlergrill, Seilwinde, die Stoßstange, zwei Maskierte in schwarzen Overalls, schwere MPi’s unter den Armen. Eine kurze Salve. Zwei Folterknechte weniger. Der Junge blinzelte in das grelle Licht, als sie ihn losbanden.

      »Raus hier!« kam es durch die Maske. Zwei schwarze Gestalten zerrten den Jungen durch die Trümmer ins Freie.

      »Rein in den Rover!«

      »N...ei...n!« Der Schrei des Entsetzens drang aus dem ›Hauptbüro‹.

      Hochschießende Blutfontänen, Salven, Handgranaten, Explosionen.

      »Sie sind da!«

      Die Stimme von Boris schallte irgendwo im Raum. »Los, Kleinholz machen!«

      »Wer ...?«, fragte Robby, als er in den Wagen steigen musste.

      Delegado Martinez brach über dem Schreibtisch zusammen. Irgendeiner von ihnen musste di Flora sein. Doch wer ihm einmal in die Augen blickte, überlebte das nie.

      Der Fahrer im Overland legte den Rückwärtsgang ein.

      »Wie willst du da wieder raus?«, hörte Robby den Beifahrer fragen.

      »So, wie ich reingekommen bin.«

      Fünf Kanister Benzin waren genug. Liquidation total. Wer den Service dieses Kommandos in Anspruch nahm, durfte damit rechnen, bestens bedient zu werden. Vor dem Loch, das der schwere Geländewagen in der Polizeistation hinterließ, krachten die letzten Salven. Robby presste sich zwischen den Sitzen auf den Boden des Overlands. Pah! Pulvergestank, Ziegelstaub, beißender Rauch: Dann quietschten die Reifen auf dem Asphalt. Robbys Augen brannten wie Feuer. Hinter ihm hockten zwei Kerle und lachten durch ihre Masken. Das was von A-17 noch übrig war, stand in Flammen.

      Robby schleckte sich den Staub von den Lippen und tastete nach seinem klatschnassen T-Shirt. Irgendwann musste er es heruntergerissen haben. Aber wann? Wann war das alles. Sie mussten Stunden gefahren sein. Plötzlich hielt der Wagen an, rollte wieder zurück, vielleicht einen Meter. Oder fünf? Wie sollte er es wissen?

      Die Handbremse schnarrte. Robby kroch nach vorne und rappelte sich auf. Draußen kreischten ein paar Frauen, dann kicherten Mädchen, die auf Boris zeigten.

      »Boris, Boris« und »Storca, Storca! Storca ist wieder da!«

      Ein grauhaariger Mann in kurzen Hosen, von dem Robby später erfuhr, er heiße Herreira, spähte in den Wagen. Boris stand auf dem Trittbrett und zog an Robbys Arm. Mit den Worten: »Junge wir sind da«, hielt er Robby die Hand hin, um ihm aus dem Wagen zu helfen.

      »Desce logo, o carro vai embora!« Boris sah besorgt in den Himmel. Der Rover musste weg, bevor sie mit den Hubschraubern alles absuchten. Und sie werden kommen. Soviel war sicher.

      »Wo sind wir«, wollte Robby wissen, während er misstrauisch auf die Jungen und Mädchen und auf den Grauschopf blickte, der immer noch am Straßenrand stand.

      »Zu Hause«, rief der Dealer. »Mann, zuhause sind wir wieder. »Zuhause bei uns in Tres Rochas!«

      Das also war Tres Rochas. Im Knast hatte er den Namen ein einziges Mal gehört, doch war er damals nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte.

      Das Durcheinander der verwinkelten Treppen, aneinander gesetzte Hütten und Buden, Backsteinkaten da und dort, von dichtem Buschwerk überwuchert, mannshohe Durchlässe, die sich wie grüne Tunnel im Chaos der ärmlichen Unterkünfte verloren ... wie sollte man sich hier zurecht finden? Verstecke! Phantastische Verstecke mitten in Rio!

      Verwundert blinzelte Robby auf die Mückenschwärme in Bananenstauden und auf das Netz aus Bambuszäunen, hinter denen Kinder lärmten und auf die vielen dünnen Brettchen, die über den Gräben lagen, in denen schwarzes, Abwasser voll Schlieren und Abfall gurgelnd weiter floss. Die enge Gasse, in der sie angehalten hatten, endete nicht weit von dort, wo der Rover stand. Hier, zwischen dichtem Gestrüpp würde es so gut wie unmöglich sein, mit einem nur mittelgroßen Wagen weiterzukommen.

      Eine halb vermoderte Treppe, ab und zu durch Absätze und rampenartige Pfade unterbrochen, führte zu weiter oben liegenden Buden, die nur nach einem die Muskel strapazierenden Aufstieg zu erreichen wären. Boris schob den Jungen auf ein verwildertes Grundstück, nachdem sie den Wagen aus den Augen verloren hatten. Ein dreifach gezogener,


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