Das Kartell der Skorpione. Mario Monteiro

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Das Kartell der Skorpione - Mario Monteiro


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in die Welt!«

      Dazu der Inlandskonsum. Ein bis auf die Knochen gestresstes Volk, durch jahrelange Inflation in die Armut getrieben und dann von der Rezession verfolgt. Hinter den miesesten Jobs rannten sie jetzt her, zusammengepfercht in rasant wuchernde Millionenstädte, die nichts als neue Armut zustande brachten. Im Elend geboren, verloren sie jede Sicherheit und zuletzt die Achtung vor sich selbst.

      Nur dank der Voraussicht Cariagas und seiner Organisatoren lagen nun Tonnen von Kokain und Maconha in den Verstecken. Berge von Drogen, meterhoch aufgestapelt, modernste Pistolen zu Tausenden, selbst Handgranaten und Dynamitpatronen, Schnellfeuermunition und Granatwerfer sammelte sich auf den Morros an, nur ein paar tausend Meter von Luxusvierteln und übervölkerten Sandstränden entfernt.

      Und dort unten? Fingen sie endlich an zu zittern und lahm vor Entsetzen auf den Vulkan zu starren, der in der nächsten Stunde ausbrechen könnte? An fünf Fingern könnte man sich abzählen, wie lange sich die Horden in den Bergen noch im Zaum halten ließen, meinten nicht wenige. Bis die Skorpione aus Löchern und Spalten krabbelten und losmarschierten, um den apokalyptischen Sturm anzublasen.

      Wenn sie beginnen sollten, Söhne und Töchter der Reichen, Playboys und Spekulanten, Parasiten eines vermoderten Systems am Strand von Ipanema zusammenzuschießen. Wer sollte Hunderttausende der Ärmsten daran hindern, mit Schnellfeuergewehren, automatischen Pistolen und Plastikbomben in eine Welt einzudringen, die sie ausgeschlossen hatte? Nur um sich das zu holen, was sie zum Leben brauchten und nicht bezahlen konnten. Wer hätte es gewagt, sich ihnen zu widersetzen?

      Trost sei mit euch! Sonne und Meer, erfrischender Schatten unter Kokospalmen, eng an haselnussbraune Brüste geschmiegt, das eigne sich nicht für einen Krieg, behaupteten die anderen. Ganz Unrecht hatten sie nicht. Fuhr man nicht jede Nacht hinauf und feilschte in düster verwinkelten Gassen, wartete im Dunkel auf den nächsten Dealer, hielt die Hand durchs Autofenster, um die tägliche Ration in Empfang zu nehmen? Selbst tagsüber, im Schatten eng aneinander stehender Bürotürme, in Tiefgaragen, neben Schulen und Clubs, an kilometerlangen Stränden, überall wartete einer auf den anderen. Nicht mehr als ein verständnisvoller Blick zwischen zwei Welten und ein Geschäft, das in 3o Sekunden abgeschlossen ist.

      Nonsens! Wer bringt schon seine Kunden um? So blieb das Arsenal der Trader und Dealer, wo es schon immer war. In den Hütten auf den Bergen, versteckt unter Elendsbaracken, hinter Tausenden von Bretterbuden, in ausgetrockneten Brunnenlöchern und raffiniert ausgehobenen Gruben. Wie ein gigantisches, nicht zu überblickendes Spinnennetz zog es sich von Hang zu Hang. Wer wusste auch nur ungefähr, wie viele es waren, die dort hausten? Wem war bekannt, wo ein Elendsviertel endete und das nächste begann? Am wenigsten wussten sie das bei der Polizei. Oder sollten sich junge Beamte mit ärmlichen Gehältern, veralteten Waffen und dürftiger Ausbildung im Labyrinth der an den Abhängen ineinander verkeilten Behausungen abknallen lassen wie Schießbudenprämien? Sie hatten doch Frauen und Kinder. Und wie viele von ihnen mussten selbst in den Hütten ihr Dasein verbringen! Wand an Wand mit Tradern, Kokainschleppern und Mördern. Und die hatten immer die besseren Waffen. Dafür hatte der alte Herr auf dem Penthouse beizeiten gesorgt.

      César Barrios wunderte sich. Die Sekretärin saß nicht am Tisch und beide Doppeltüren waren angelehnt. Also musste Claudia im Allerheiligsten sein. Auch auf ihrem Schreibtisch lag diesesmal keiner der üblichen Schmierzettel, so dass Barrios nicht die geringsten Anhaltspunkte hatte, was kommende Überraschungen betraf.

      Vorsichtshalber spähte er durch den Türspalt, hüstelte dann hörbar, bevor er den Koloss seines athletischen Körpers, Militärmaß eins, 88 nahezu lautlos auf den dicken Teppich setzte.

      Nur wer zu den wenigen gehörte, die es schafften, bis hierher vorzudringen, konnte das knappe Kopfnicken Cariagas, unterstrichen durch einen vagen Wink mit der Spitze des Kugelschreibers, als Aufforderung werten, sich vorschriftsmäßig vor dem Schreibtisch aufzustellen.

      Während Barrios beide Türen zuzog, schnupperte er unauffällig, da er seiner Nase mindesten ebenso traute, wie Augen und Ohren. Guimaraes war also noch nicht dagewesen. Sonst wäre in der seltsamen Umgebung des Raumes, die gelegentliche Besucher an die Sterilität eines Operationssaales erinnern mochte, doch noch die eine oder andere Spur festzustellen gewesen. Barrios fand das Parfüm jedenfalls widerlich und es gehörte zu den ungelösten Rätseln des Hauses, warum sich der empfindliche Cariaga den penetranten Geruch nicht längst verbeten hatte.

      Auch auf dem peinlich geordneten Arbeitstisch lag heute nicht das Geringste, was für César Barrios, einen ehemals gerissenen Polizeibeamten, interessant genug gewesen wäre, um unverzüglich registriert zu werden.

      Lediglich der verschnörkelte Brief, dessen Absender er zu gerne erfahren hätte, wäre Grund genug gewesen, seine späherischen Instinkte wachzurufen. Doch seinen Blick allzu auffällig über den auf Hochglanz polierten Tisch schweifen zu lassen und das im ungeeignetsten Moment, wäre mehr als nur leichtsinnig gewesen.

      »Setzen Sie sich, Barrios! Setzen Sie sich!« Es klang monoton, wie elektronisch aufgenommen und jeweils abgespielt. Dabei sah der Mann hinter dem Schreibtisch keinesfalls auf. Vielmehr schien er immer noch damit beschäftigt zu sein, jene geheimnisvolle Nachricht, und darum handelte es sich zweifellos, mit einer Reihe roter Randnotizen vollzukritzeln.

      »Danke, Senhor Cariaga.«

      Also hinsetzen und warten. Barrios kam nicht umhin, an die erbärmliche Kammer zu denken, in der ihn sein Stiefvater täglich schlug, während er selbst auf dem Stuhl regungslos zu verharren hatte. Keinen Mucks durfte er sich erlauben, wenn es nicht noch schlimmer kommen sollte. Als er dann erwachsen war, kam die Zeit, in der er selbst zuschlug. Und zwar hemmungslos. Das hatten sie ihm während der regelmäßigen Lehrgänge auf dem Seminar beigebracht.

      »Leutnant Barrios«, hieß es meistens, »erklären Sie das den Kameraden!«

      Ohne eine einzige Sekunde zu verlieren, war er jedes Mal aufgespritzt, stellte sich in Position und schoss los. Bald war er das Paradebeispiel eines guten Polizisten.

      Viel zu gut für die Beamtenlaufbahn, wie einige Dienstkollegen lästerten. Eines Tages war es dann so weit. Unter Beifall der gesamten Presse gelang es ihm endlich, Cariaga zu verhaften. Von da an änderte sich sein Leben. Denn sein prominentester Gefangene saß nur knappe vier Stunden in Untersuchungshaft und noch vor Sonnenuntergang waren seine Anwälte mit einem tadellosen ›habeus corpus‹ erschienen und unter den Augen perplexer Staatsbediensteter hatte Cariaga den jungen Barrios gleich mitgenommen. Aus war es mit der Karriere bei der Polizei.

      »Danke«, sagte Barrios ein zweites Mal. Es durfte nicht unhöflich klingen. Nur eben knapp, so wie es bei Cariaga schon immer üblich war. César Barrios quälte sich in den Armstuhl, dessen Hersteller vermutlich nur an Körpermaße durchschnittlicher Mitmenschen gedacht hatte. In der wenig komfortablen Lage blieb Barrios nichts anderes übrig, als Bügelfalten und Schuhspitzen zu überprüfen und dabei unauffällig die rosafarbene Wand auf mögliche Neuanschaffungen zu überprüfen. Doch außer dem goldgerahmten Foto einer brünetten Dame, die zum Zeitpunkt der Aufnahme in ihren besten Jahren gewesen sein musste, bevor sie Cariaga zum Frühwitwer gemacht hatte, war nichts zu sehen. Was die übrige Ausstattung der näheren Umgebung betraf, so war sie von spartanischer Einfachheit und passte nicht recht zu der nahezu festsaalartigen Ausdehnung des Raumes und auch nicht im Hinblick auf die vielen Millionen, die der alte Mann für das Kartell zusammenscheffelte.

      Dennoch war Cariaga alles verhasst, was den leisesten Verdacht auf Luxus oder gar Prunksucht hätte aufkommen lassen. Nichts als ein weit ausladender Arbeitstisch, dahinter ein hoher weicher Ledersessel, auf den der Boss wegen ständiger Rückenschmerzen nicht verzichten konnte, ein geräumiger Bücherschrank, gleich daneben eine massive Truhe aus tiefschwarzem Jacarandá und die Sitzecke mit Konferenztisch im Hintergrund waren geduldet worden.

      César Barrios hatte an diesem Morgen seine Rambomuskeln unter einem blendend weißen Jackett verborgen. Der Respekt einflößenden Boxerfäuste wegen hätte man den ehemaligen Polizeioffizier für alles andere halten können, nur nicht für ein gerissenes, mit allen Wassern gewaschenes Finanzgenie. Das habe Barrios


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