Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien. Tino Hemmann
Читать онлайн книгу.Holztisch. Nur drei Schritte, und er stand am rechten der beiden Kellerfenster, durch das er einen kleinen Sektor des Spielgartens einsehen konnte. Wie es schien, waren die Kinder jetzt zu Tisch, wenigstens waren draußen keine mehr zu sehen.
Der junge Mann nahm ein Schlüsselbund aus der Hosentasche, ging zur hinteren Wand des Kellers, schlug vorsichtig einen Wandteppich zur Seite, hinter dem sich eine Stahltür ohne Klinke verbarg, die mit einem Schloss gesichert war. Todor steckte den Schlüssel in den Zylinder, drehte ihn zweimal herum, worauf sich die Tür einen Spaltbreit öffnete. Er betrat den zweiten, wesentlich kleineren Kellerraum, klinkte die Tür von innen ein und betätigte einen alten Lichtschalter, der zwei LED-Lampen zum Leuchten brachte.
Er zog ein großes, mit roten Blüten bedrucktes Laken von einem Gestell und ließ es fallen.
Da stand das MANPADS, erschien majestätisch und unberührt, obwohl Todor die Waffe bereits einige hundert Male demontiert und wieder montiert hatte. Unter dem schultergestützten Lenkwaffensystem verbarg sich eine verschlossene Kiste, die Platz für zwei laserstrahlgelenkte Flugabwehrraketen bot, jedoch nur eine beinhaltete. Auf der Kiste war ein deutliches SBD zu lesen, die Kennung des schwedischen Herstellers Saab Bofors Dynamics.
*
»Leg dich hin!«, brüllte der VRS-Soldat Stokan Vujasinović, der in einer lumpigen Uniform steckte.
Der zehnjährige Todor ließ sich augenblicklich in den Dreck fallen, als wäre sein Körper ein Holzklotz, und schaute aufmerksam dem Soldaten zu, welcher acht Schritte von ihm entfernt das MANPADS geschultert hielt. »Nebojša sitzt auf einem Hügel, Kilometer von hier entfernt.« Der Soldat brüllte, als wäre Todor meilenweit entfernt und nicht unmittelbar neben ihm. »Er hat eine Mini-Radaranlage, die meinem Baby die Ziele zuweist. Ich glaube, er benutzt eins vom Typ PSTAR. Schnell, komm her!«
Todor sprang auf, als hätte ihn ein Affe gebissen, und stand augenblicklich dicht neben dem Soldaten.
»Siehst du das Display hier?«, schrie dieser.
»Ja!«, brüllte der Junge.
»Schau genau hin!«
Todor riss den Mund weit auf. »Ja!«
»Die Radardaten von Vodnik1 Nebojša werden hier auf dem Display des Lagedarstellungsgeräts an meiner Starteinheit abgebildet.«
Mindestens so laut, wie der Soldat sprach, brüllte Todor: »Aha!«
»Und das Ding hier ist eine Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete. Ein schwedisches Robotsystem 70! Alles, bis auf das Rohr hier, ist die Starteinheit. Und das hier«, er zeigte auf das Rohr, »ist die Lenkwaffe! Die steckt direkt in einem Transport- und Startrohr und wird auch aus dem Rohr gestartet. Eigentlich tragen zwei Soldaten das ganze Teil, einer die Abschussvorrichtung mit dem Lenkgerät und dem Gestell, der andere trägt zwei Lenkwaffenbehälter. Eigentlich! Die Feuerbereitschaft dauert gerade mal dreißig Sekunden!«
Wieder brüllte Todor, dessen Gesicht voller Dreck war und der keinesfalls alles verstanden hatte: »Aha!«
Noch war der Soldat mit seinen Erklärungen nicht fertig. »Die Lenkwaffe wird mit einem Laser-Leitstrahl zum Ziel geführt. Ich muss nur das Ziel im Fadenkreuz verfolgen. Alles andere macht die Lenkwaffe von allein. Kommt das zu vernichtende Ziel in den Ansprechradius des Näherungszünders – hier vorn an meinem Baby, dann wird der Näherungszünder den Splittergefechtskopf explodieren lassen. Bei einem Direkttreffer dagegen sorgt der Aufschlagzünder für die Auslösung des Splittergefechtskopfes. Die RBS 70 kannst du getrost auch gegen Bodenziele einsetzen! Ich habe nur eine Lenkwaffe, also nur einen Versuch!«
Helikoptergeräusche wurden lauter.
»Wenn ich damals so ein Ding gehabt hätte, würden meine Eltern bestimmt noch leben!«, sagte Todor.
»Was?«, brüllte Stokan Vujasinović, der VRS-Soldat. »Schnell! Leg dich hin! Und halte dir verdammt noch mal die Ohren zu!«
Erneut schmiss sich Todor in den Dreck, rollte noch hinter einen kleinen Erdhügel und beobachtete mit halb zugekniffenen Augen das MANPADS auf der Schulter des Soldaten. Ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönte. Die Lenkwaffe rauschte davon und wurde immer schneller.
Schon bald gab es einen heftigen Knall. Trotz des Treffers zischten noch zwei NATO-Raketen über Todors Kopf hinweg! Erneut verging eine knappe Minute, dann gab es zwei gewaltige Detonationen, die sogar den Boden vibrieren ließen. Der Junge spürte nur die Vibrationen, hören konnte er stundenlang nichts.
Stokan Vujasinović, der das MANPADS bedient hatte, erklärte Todor später, dass er einen NATO-Marschflugkörper abgeschossen hätte, zwei wären aber durchgekommen.
»Eine traf die Fabrik am Fluss. Unsere neue moderne Düngemittelfabrik haben sie völlig zerstört! Die zweite schlug westlich von der Fabrik ein. Mitten auf einem öffentlichen Platz. Vierundzwanzig Tote, sagen sie. Neun Kinder!«
*
Erschrocken lauschte Todor, sein Hemd war durchgeschwitzt, sein Mund trocken, als würde er noch immer im Dreck neben Stokan Vujasinović liegen. Hatte er eben ein Klopfen gehört? Rasch bedeckte er das MANPADS und die Kiste des Lenkwaffenbehälters mit dem Blumenbettlaken, schlüpfte aus dem hinteren Keller, schloss die Stahltür ab und kontrollierte, ob der Wandteppich die Tür komplett verdeckte.
Es klopfte tatsächlich gegen die Kellertür, jedoch ganz sanft und vorsichtig.
»Wer ist da?«, fragte Todor, der neben der Holzliege stand, denn unter dem Kopfkissen lag versteckt seine Pistole.
»Ich bin es nur!«, rief eine hohe Jungenstimme. »Ich, Matej!«
»Was ist los, Matej, ich habe keine Zeit für dich!«, rief Todor zurück.
»Ach schade. Ich wollte dir was Wichtiges zeigen.« Matejs Stimme klang sehr betrübt. Er war der kleine, elfjährige Bruder von Marija, jener hübschen Erzieherin aus dem Kindergarten. Ein schmächtiges, liebenswertes Kerlchen, das absolut zufällig immer dann in unmittelbarer Nähe war, wenn sich Todor im Garten aufhielt.
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