Über den Missouri. Liselotte Welskopf-Henrich

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Über den Missouri - Liselotte Welskopf-Henrich


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Ich werde gehen.«

      Die Bezeichnung »mittelmäßig« war ein Hieb, der traf. Roach versuchte ihn zurückzugeben. »Ausgezeichnet! Ich habe den Transport schon arrangiert. Halten Sie sich in vierzehn Tagen bereit. Eine Erbschaft oder sonstige Versorgung haben Sie als Tochter Ihres Vaters nicht zu erwarten. Vielleicht können Sie als Wäscherin arbeiten oder in welchem Gewerbe es Ihnen sonst zusagt …«

      »Ich brauche Ihre Arrangements nicht, Capt’n.« Das Mädchen wandte den Blick von Roach ab und schaute noch einmal ringsum in den Raum, in dem sich im vergangenen Frühjahr die Szene des Verrats an dem indianischen Unterhändler und der letzte heftige Zusammenstoß zwischen Cates Vater, dem Major Samuel Smith und Red Fox, Anthony Roach sowie dessen Gönner, dem Obersten Jackman, abgespielt hatte.

      Damals hatte in diesem kahlen Raum noch kein Armstuhl gestanden. Roach hatte die Wandbank an der einen Seite des Eichentisches herausreißen lassen, um seinen Stuhl aufzustellen. Das ganze Fort schien von Roachs Tun und seinem Atem vergiftet. Sie verließ den Raum.

      Der Sturm hatte etwas nachgelassen. Cate nahm das Schultertuch über den Kopf und ging über den Hof zu dem großen Tor im Palisadenring. Die Torwache ließ das Mädchen ohne weiteres hinaus. Die Wachen waren gewöhnt, dass Cate täglich das Grab ihres Vaters draußen vor den Palisaden aufsuchte.

      Das tat sie auch heute. Es war ein schlichtes Grab, ohne Blumen, ohne Kranz. Das Mädchen blieb bei dem Holzkreuz stehen. Ihre Schultern, ihr Kopf waren schon von Schneeflocken besetzt. Sie schaute irgendwo hin. In Wahrheit sah sie ihre Umgebung nicht, sondern nur Bilder der Erinnerung an ihren Vater.

      Als Tobias sie aufschreckte, waren ihre Hände kalt geworden, und sie spürte auf einmal, dass der Frost schon ihren ganzen Körper schauern ließ.

      »Geht hinein, Miss Cate.« Der Kundschafter sprach wie ein älterer Bruder zu dem Mädchen. »Es gibt eine wichtige Nachricht. Heute Abend komme ich zu Euch. Ihr müsst uns helfen.«

      »Gut, Tobias.«

      Cate begab sich wieder in das Fort und in ihre Kammer. Es war die Kammer, in der ihr Vater gestorben war. Sie nahm eine Näharbeit zur Hand. Es gab noch dies und jenes zu richten, wenn sie das Fort bald ganz verlassen wollte.

      Als sie des Nähens müde wurde, räumte sie die Arbeit beiseite. Sie betrachtete das Bild, das sie sich von dem Grab ihres Vaters gezeichnet hatte, und holte dann einen wohlverwahrten Brief hervor. Die Handschrift war ungelenk, aber deutlich. Es war der Brief des Rauhreiters Adams, der zu Samuel Smith gehalten und den verratenen Indianer hatte befreien wollen. Er hatte mit seinen guten Gesellen Thomas und Theo zusammen vor Roach fliehen müssen. In dem Brief stand, dass Cate auf weitere Nachricht warten sollte. Adams wollte ihr beistehen, sobald sie das Fort verlassen würde.

      Der Brief war vor Monaten geschrieben. Tobias hatte ihn damals heimlich überbracht. Ob Adams auch jetzt noch an Cate dachte?

      Das Mädchen holte sich neue Arbeit hervor. Der Tag schien ihr lang, weil sie wartete. Aber auch dieser Tag ging vorüber. Matt glitzernd fielen noch einige Flocken vom wolkenverhangenen Himmel zur dunkel gewordenen Erde. Cate hörte, wie die Mannschaften Essen fassen gingen, ein paar Worte und Rufe, schwere Schritte, dann wurde es ganz still. Das Mädchen hatte die Lampe nicht entzündet, sie wartete im unbeleuchteten Zimmer auf Tobias.

      Endlich öffnete sich die Tür, und der Kundschafter trat lautlos ein. Er drückte sich, weitab vom Fenster, an die Wand. Cate zog den Vorhang zu.

      »Was sagt Watson über den Dakota?«, fragte Tobias. »Ihr müsst es mit angehört haben. Der Bodendeckel war offen. Ihr seid schon im Kommandantenzimmer gewesen, während Watson und Roach bei dem Gefangenen im Keller waren.«

      »Du brauchst mir das nicht nachzuweisen, Tobias. Ich sage dir, was ich gehört habe. Warum sollte ich es vor dir verschweigen? In wenigen Tagen stirbt Tokei-ihto, wenn er gefesselt im Keller bleibt. Sie wollen ihm jetzt wenigstens wieder zu trinken geben.«

      »Der Freilassungsbefehl ist da. Morris, der Maler, hat dafür gekämpft. Er kannte Harry Tokei-ihto schon als Knaben im Zelt seines Vaters. Roach will mit einem Handschreiben rückfragen, um Zeit zu gewinnen und Lügen zu verbreiten. Ich bin der Bote, und ich kenne die weißen Männer. Ein Befehl ist ein Befehl, und einen schriftlichen Befehl heben sie niemals mehr auf. Sie werden den Freilassungsbefehl bestätigen und Roach zurechtweisen.

      »Aber vorher stirbt Tokei-ihto.«

      »Ein Indianer stirbt, wenn er sterben will. Cate, Ihr Vater hatte dem Häuptling vor den Verhandlungen verbürgt, dass er dieses Fort wieder frei verlassen kann. Ihr müsst Tokei-ihto sagen, dass der Befehl, ihn freizulassen, da ist. Dann wird der Häuptling leben wollen.«

      »Ich soll es ihm sagen?«

      »Ja. Ihr! Ihr seid die Einzige, die einen zweiten Schlüssel zum Kommandantenzimmer besitzt. Bei Eures Vaters Sachen müsst Ihr ihn gefunden haben.«

      »Das ist wahr. Ich kann ihn dir geben.«

      »Nein. Ich muss mit Roachs Brief nach Randall reiten; mein Mustang steht bereit. Ich habe schon viel Zeit verloren, um noch vorher mit Euch zu sprechen. Geht Ihr selbst des Nachts in das Kommandantenzimmer und steigt in den Keller hinunter. Der Schlüssel für die Bodenluke liegt im Wandschrank, das habt Ihr auch gesehen. Wenn Euch jemand trifft, so sagt, der Geist Eures Vaters habe Euch gerufen und verfolge Euch. Niemand wird Euch bestrafen, wenn etwas fehlgeht. Man wird Euch wegschicken, das ist alles und nicht mehr, als Euch sowieso bevorsteht. Aber des Gefangenen wegen müsst Ihr vorsichtig sein. Roach sucht nach einem Grund, den Dakota zu töten, ehe er ihn freilassen muss.«

      »Tobias! Nicht nur Roach schläft in seiner Kammer über dem Keller. Im Kommandantenzimmer hält ein Mann Wache!«

      »Aber nicht heute Nacht. Ich habe den Burschen wissen lassen, dass er sich heute Nacht fernzuhalten hat, weil Roach es so wünsche und Euch einmal des Nachts bei sich empfangen wolle, ehe Ihr abreist.«

      »Tobias! Bist du wahnsinnig geworden!«

      »Das Kommandantenzimmer ist heute Nacht leer. Ihr könnt dessen gewiss sein. Ihr habt den zweiten Schlüssel. Niemand wird Euch aufhalten.«

      Der Kundschafter konnte nicht wissen, was in Cate vorging, und in der Dunkelheit ihr Mienenspiel nicht beobachten.

      »Ich wage es«, sagte sie aber endlich. »Mein Vater würde wünschen, dass ich es tue.«

      »Gut.«

      Tobias entfernte sich noch nicht. Er zog einen Brief hervor und gab ihn Cate.

      »Der junge Adams wartet darauf, dass Ihr das Fort verlasst«, sagte er dabei. »Er will Euch zur Frau nehmen, wenn Ihr mit ihm hinaufgehen werdet nach Kanada. Adams ist ehrlich. Vertraut ihm und lest den Brief genau. Ihr kennt ihn doch, den Adams. Er hat immer zu Eurem Vater gehalten.«

      »Es ist wahr, was du sagst, Tobias.« Cate atmete auf. »Wirst du Adams noch einmal treffen?«

      »Ich kann ihm Eure Antwort bringen.«

      Als Roach und der Feldscher die Kellerluke wieder verschlossen hatten, hatte sich der Gefangene gerührt. Er hatte seinen Standplatz, der ihm den Blick zur Luke gewährte, verlassen und war zu der Wand zurückgetreten. Seine Kette klirrte. Er hasste es, sich auf den Kellerboden in den Schmutz zu legen, und lehnte sich an die Wand, um die Nacht im Stehen zu verbringen, wie er es in den Gefahren der Wildnis gelernt hatte. Aber es fiel ihm jetzt schwerer als früher. Seine Kräfte hatten nachgelassen.

      Draußen seufzte und sang der Wind. Irgend etwas schwebte durch die Dunkelheit und glitzerte. Ein paar Flocken verirrten sich und schwebten zögernd durch die Luke herein. Die Augen des Gefangenen folgten ihnen, bis sie am Boden zergingen.

      Obgleich der Gefesselte erschöpft war, schlief er nicht ein. Mit eingesunkenen Schultern lehnte er an der Wand und hing in halbwachem Zustand seinen Gedanken und Fieberphantasien nach. Er dachte an sein Zelt, an Mutter und Schwester. Er dachte an seinen Mustang und an die weite Prärie. Er dachte an seine Kampfgefährten, aber er hoffte nicht mehr, sie wiederzusehen. Der Gefangene hatte gehört, dass sein Volk geschlagen, dass es aus der Heimat vertrieben und ganz unterworfen sei;


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