Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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      »Welcher Partei gehört denn Grevenhagen an?«

      »Gar keiner, des ischt vielleicht sein größter Fehler. Er repräsentiert – wie soll man das richtig ausdrücken? – ehemals kaiserlich-parteilospreußische Königstreue in republikanischen Formen durchtränkt mit sehr viel Dienstauffassung, umkränzt von Regimentskameraden, immer auf Draht in ›Ehrensachen‹ und selbstverständlich evangelisch. Es hat den Anschein, daß er mit Fanatismus an seine eigene Dienstauffassung glaubt, und jedenfalls wär’ ihm zuzutrauen, daß er den prophezeiten Zusammenbruch herbeiwünscht, damit unsere rosarot beleuchtete Republik gleich damit abgeht …«

      »Daher der Scharfblick?«

      »Sachlichkeit hat immer ihren Hintergrund, lieber Wichmann.«

      »Aber wieso kommt dann unser Robby als Untergebener zu der von Ihnen so anschaulich geschilderten Grevenhagenschen klaren Unklarheit? Ist Rob von der ›rechten‹ Partei?«

      »Der Herr Korts paßt überall hin. Er hat bei der IG den Farbwechsel gelernt. Aber vielleicht erzählt er uns was, heut abend?«

      Korts schüttelte die Löwenmähne.

      »Nee … nee … nichts wird erzählt. Ich muß jetzt still sein! Wichmann hat gesagt, ich muß still sein und meine Flasche trinken. Aufs Wohl!«

      Die Sitzung in blaudunstiger Luft, vor gefüllten Gläsern zog sich in schweigendes Beisammensein hinein. Der Kellner räumte die Käseteller ab. Korts hatte die Hände auf den Tisch gelegt. Seine Handgelenke, die so breit waren wie der Arm selbst, kamen aus den Manschetten hervor und verstärkten den Eindruck des Stiermäßigen, den Wichmann beim ersten Anblick des Nackens, der einen breiten Kopf trug, schon unwiderstehlich gehabt hatte. Casparius saß auf der anderen Seite wie ein nachdenklicher, gutmütiger großer Affe.

      Es wurde nur noch getrunken und kaum gesprochen. Über des Casparius ausdrucksfähiges Gesicht ging eine Fülle von Stimmungen und Gedanken. Korts starrte auf sein Glas; seine Wangen waren rot.

      »Wichmann – kommen Sie mir bei der Hüsch nicht in die Quere … ich erschlage Sie sonst!«

      »Möchten Sie?«

      »Ja, das möchte ich.«

      »Auf Ihr Wohl, Robert Korts!«

      Die Gläser klangen ein letztes Mal.

      Es war spät in der Nacht, als die Kollegen zahlten und gingen. Die Residenzstraße war schon still geworden. Der Schein der Bogenlampen fand Bummler und Dirnen. Seltener als am Abend blendeten Autos mit Scheinwerfern. Das Schaufenster mit dem Platindiadem war noch immer erleuchtet und erzählte der Nachtstunde von Bällen und Logen, von sagenhaften Fürsten, die Diamanten verkaufen mußten, und von Frauen, die sie zu tragen wünschten. Korts blieb stehen. Er sagte nichts, aber er dachte an Lotte Hüsch. Er sagte doch etwas.

      »Gefällt Ihnen das Diadem, Wichmann?«

      »In einem schönen Frauenhaar … ja, Robby.«

      »Ich bin zu klein, Wichmann, zu klein, deshalb lieben mich die Frauen nicht. Wo haben Sie die zwanzig Zentimeter hergenommen, die mir fehlen?«

      »Im Nähtisch an der Elle abgeschnitten, Robby.«

      »Liebling?«

      Wichmann sah wieder in das grob geschminkte Gesicht und wandte sich brüsk ab.

      »Lassen wir das Diadem, Korts, bis Sie Generaldirektor sind.«

      Die Herren schlenderten weiter. Es ergab sich ohne Verabredung, daß sie in den dunklen Park kamen. Der Herbstgeruch und die Kühle gaben dem Abschied ihre Stimmung. Die Köpfe wurden müder und klarer. Die beiden Kollegen geleiteten Wichmann, das »Wundertier des Abendlandes«, ein Stück des Heimwegs.

      An der Ecke der Kreuderstraße blieb man stehen, um sich zu trennen.

      »Jetzt schlafe Sie nur gut und träume Sie net zuviel vom Josef Boschhofer und vom Justus Grevenhagen und von der Lotte und von den Frauenhaaren mit dem Diadem und dem eifersüchtigen Robert, des stört nur die Verdauung. Und für morge stelle Sie Ihren Wecker eine halbe Stund früher, denn morge sind wir keine Minut sicher vor dem arbeitseifrigen Chef!«

      Martha öffnete heute nicht mehr die Tür vor dem Klingeln; sie war schon zu Bett gegangen. Die ganze geheimrätliche Wohnung schlief in anklagender Ruhe, und nur der geduldige Heilige hielt noch immer die Zigarette, die ihm der Regierungsassessor des zwanzigsten Jahrhunderts zwischen die heilgebliebenen Finger gesteckt hatte.

      Oskar Wichmann stand noch einmal am Fenster, ehe er den Schlaf unter den Daunen suchte. Drüben, weit hinter dem Schatten des Ahornbaums, leuchteten die Fenster noch hell, und vor dem schmiedeeisernen Tor standen drei rassige Wagen.

      An einem der kommenden Sonntage wollte Regierungsassessor Dr. Wichmann in der Kreuderstraße 3 seine Karte abgeben.

      Es war schön zu träumen, ehe man schlief, wenn die leise Schaukel der Weinlaune und die Aussicht auf die Ernennung in den Schlummer wiegten.

      Die Tage, die auf den Weinabend des Kleeblatts folgten, waren von Arbeit geschwängert. In der Feuerprobe der kollegialen, sachlich rücksichtslosen Besprechungen schmiedete Wichmann seine Argumente, und er sah das Häufchen Blätter anwachsen, auf dem die endgültigen Formulierungen zu dem von ihm übernommenen Teilgebiet der Arbeit verzeichnet waren. Ein Wonnegefühl des erfolgreich Schaffenden gab seiner Stimmung Flügel. Die Zusammenarbeit mit Korts und Casparius verlief äußerlich reibungslos. Den »Regierungsrat« schien »Robert der Teufel« ausgezogen zu haben, wie man eine Jacke ablegt. Dieser etwas untersetzt geratene Stier war immer höflich und immer geduldig, auch wenn er die Meinung mit Assessor Wichmann kreuzte und seine gestellten Ohren die innere Erregung verrieten.

      »Sie nehmen das zu gründlich, Herr Wichmann …«

      »Die Sache erfordert es …«

      »Das können Sie vorläufig dahingestellt sein lassen …«

      »Ich finde mich mit keiner Unklarheit ab …«

      »Wir müssen bald abschließen …«

      »… nicht auf Kosten der Zuverlässigkeit …«

      In allen Tonarten von Moll und Dur wiederholte sich dieser Grundkonflikt zwischen den beiden jungen Männern. Wichmann dachte mit Leidenschaft an die Sache, Korts aber überwiegend an die Situation persönlicher Interessen, in die sie hineingestellt war.

      Nach vierzehn Tagen war bei Ministerialrat Grevenhagen eine Besprechung in größerem Kreise, auch unter Beiziehung einiger Herren aus dem Staatsministerium, vorgesehen. Korts, Wichmann und Casparius hatten ihre vorläufigen Ausarbeitungen abgegeben, und Anneli Schmock sowie Silvia Sauberzweig hatten aufgeatmet und Zeit gefunden, die Schublade mit dem Kriminalroman wieder um einen Spalt zu öffnen.

      Wichmann war entschlossen gewesen, sich am Vortag der Besprechung ein paar Mußestunden zu genehmigen. Da stürzte ihn der durchschneidende Gedanke, der ihm auf seinem Dienstweg beim Anblick eines glatten Teichspiegels kam, in Verzweiflung.

      Seine ganze Arbeit war Stümperei, nichts als eine Sammlung von Allerweltsweisheiten und nicht durchsichtigem Material. Selbstverständlich, selbstverständlich, es war selbstverständlich zweckmäßig, nicht die Bezirke eines jeden Ressorts räumlich anders abzugrenzen und ein Gewirr der Grenzen von Finanzamtsbezirken, Arbeitsamtsbezirken, Gerichtsbezirken, politischen Kreisen, Reichsbahndirektionen ineinander und durcheinander bestehen zu lassen.

      Wem waren diese Erkenntnisse etwa neu? Was kam damit voran? Gar nichts.

      Wesentlich wäre gewesen, das Allgemeine und Durchschnittliche herauszufinden, irgendeinen Maßstab, nach dem man bestmögliche Einteilungen, zunächst einmal sozialer und wirtschaftlicher Art, einfach und vergleichbar bemessen konnte.

      Maßstab … woher nehmen? Die Statistiker hatten ihn im Stich gelassen.

      Dennoch mußte ein Maßstab her … heute?


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