Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen. Albrecht Gralle

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Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen - Albrecht Gralle


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er weiterging, sah ich, dass auf der Leine nichts fehlte.

      Ich zwinkerte mit den Augen. Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht.

      Der Mann ging jedenfalls weiter und kam direkt auf mein Versteck zu. Ich wich zurück und bekam Angst.

      Er blieb vor mir stehen und sagte: „Du brauchst keine Angst zu haben! Wahrscheinlich wunderst du dich, woher ich komme, was? Ein nackter Mann, der vom Ölberg heruntersteigt! Und ich kann übrigens nicht nur Brote vermehren, sondern auch Hosen und Hemden.“

      „Ja“, nickte ich, „ich habe mich … ahm … gewundert“, und überlegte fieberhaft, wie ich möglichst schnell von hier verschwinden könnte. Gleichzeitig hielt mich irgendetwas fest. Ich war erstaunt, dass er Deutsch mit mir sprach. Und seine Stimme war so freundlich und gleichzeitig sehr bestimmend und präzise, eine seltsame Mischung. Seine Augen blickten mich an, als hätte er sich seit zwanzig Jahren nach mir gesehnt und wäre froh, mich endlich zu treffen. Meine Angst verschwand.

      „Es war mal wieder soweit“, fuhr er fort. „Ich bin zurück.“

      „Aha“, sagte ich und setzte gleich hinzu: „Und woher … woher kommen Sie?“

      „Du kannst mich duzen“, sagte er lächelnd. „Ich heiße Jeschua.“

      Ich stellte mich mit Oliver Sanders vor und wiederholte meine Frage: „Also, woher kommst du?“

      Er deutete nach oben. „Aus dem Himmel, obwohl er ja nicht oben ist. Er ist um uns herum und liegt gleich um die Ecke. Die ganze Erde ist ja erfüllt mit seiner Herrlichkeit.“

      „Aus dem Himmel“, wiederholte ich nicht gerade geistreich und blickte auf seine nackten Füße. „Ist es nicht ein bisschen steinig, hier barfuß zu gehen?“

      „Oh, das macht mir nichts“, wehrte er ab. „Ich habe keinen zerbrechlichen Körper mehr. Das war nur beim ersten Mal so. Ich kann auch durch Wände gehen, wenn es sein muss. Dieser Körper ist eine deutliche Verbesserung. Du wirst selbst einmal so einen erhalten, wenn du auferstehst und eintauchen wirst in die vollkommene Freude! Keine Kopfschmerzen, keine Gicht, kein Rheuma, kein Durchfall und nie mehr Muskelkater.“

      Ich blickte ihn an, und in seinem Blick lag so viel Freude und Zuwendung, dass in mir der Verdacht aufstieg, es könnte tatsächlich Jesus sein. Zumindest war Jeschua die hebräische Form davon.

      „Du bist …?“, fragte ich vorsichtig weiter.

      „Ja, ich bin es. Gehen wir in die Altstadt. Ich mag die Atmosphäre, wenn die Stadt erwacht und man den ersten Kaffee zusammen trinkt.“

      Er ging tatsächlich völlig entspannt über den Schotter. Als ob er Hobbit-Füße hätte mit einer dicken Hornschicht unter der Fußsohle.

      „Darf ich dich mal … anfassen?“, fragte ich.

      „Bitteschön.“

      Ich berührte vorsichtig seinen Unterarm. Er fühlte sich deutlich wärmer an als 37 Grad, und es war mir, als ob etwas wie eine sanfte Kraft durch meine Finger floss.

      „Da kommt kein Messer durch, keine Kugel, nicht einmal eine Atomexplosion könnte diesem Körper etwas anhaben“, sagte Jeschua.

      Ich strich über seinen Bart, und er knisterte, als ob er elektrisch aufgeladen wäre.

      „Es fühlt sich nach sehr viel Kraft und Energie an“, sagte ich.

      „Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft“, zitierte er und fügte hinzu: „Wenn ich will, kann dieser Körper so hart wie ein Diamant werden oder so durchlässig wie Radiowellen.“

      Als wir in die engen Gassen Jerusalems eintauchten, fingen die Händler gerade an, ihre Waren auszubreiten. Eine Gruppe von jungen Männern hing vor einem großen Gebäude herum. Vielleicht suchten sie Arbeit. Hinter einer Biegung sahen wir ein Café. Ein Mann mit einem dünnen Kinnbart und einem Burnus um den Kopf nickte uns zu und winkte uns heran.

      Jeschua sprach mit ihm arabisch und bestellte uns zwei Tassen Kaffee und eine Schale mit Nüssen. Ich blickte auf die Uhr. Es war kurz vor sieben.

      Der Kaffee war stark, schwarz und heiß.

      Jeschua schien ihn zu mögen.

      „Aber wieso kannst du essen und trinken mit diesem himmlischen Körper?“, fragte ich leise, um jedes Aufsehen zu vermeiden. „Ich dachte, im Himmel sei alles irgendwie ätherisch, leicht, luftig und so weiter.“

      „Der Himmel ist härteste Realität“, erwiderte er. „Eigentlich die Realität an sich. Und ein himmlischer Körper schließt alles ein, was ein irdischer kann, aber er geht darüber hinaus. Das habe ich damals doch auch schon gezeigt. Ich habe nach meiner Auferstehung mit meinen Schülern Fische und Brote gegessen und habe ihnen am Tag vor der Kreuzigung versprochen, Wein mit ihnen zu trinken im Reich Gottes. Das war alles ernst gemeint.“

      „Aber wie geht das? Du hast doch gesagt, es sind zwei … Wirklichkeiten?“

      Jeschua lächelte. „Du willst es aber genau wissen, was?“

      „So etwas interessiert mich“, sagte ich. „Was wirklich spannend ist, das sind doch immer die Details, zum Beispiel bei einem Mord oder bei der Liebe.“

      „Ja, da ist etwas dran. Nun, die himmlische Wirklichkeit kann das Irdische aufnehmen und verwandeln, aber nicht umgekehrt. Mein irdischer Körper wurde ja auch aufgenommen und verwandelt. Der Tod ist verschlungen in den Sieg … Und die Geschmacksnerven eines Auferstehungskörpers sind hundertmal intensiver. Dieser Kaffee ist frisch, und die Bohnen sind erstklassig. Natürlich nichts gegen das Getränk im Himmel, das dem Kaffee ähnlich ist.“

      Ich fasste es nicht: Kaffee im Himmel? Ob es dort auch Kaffeeautomaten gab? Wahrscheinlich eher nicht.

      Jeschua sagte etwas zu dem Wirt, der daraufhin lachte.

      „Meine Güte“, sagte ich. „Die Auferstehung! Darüber streiten sich die Theologen seit Hunderten von Jahren. Ob du geistig auferstanden bist oder symbolisch, ob dein toter Körper gestohlen wurde oder ob du wiederbelebt wurdest oder nur scheintot warst. Es gibt zig Variationen.“

      „Ja, das Wort Auferstehung kann missverständlich sein“, nickte er. „Bei meiner Auferstehung wurde ja keine Leiche neu belebt. Bei mir war es eher eine Verwandlung. Aber die Evangelien erzählen das doch alles: das leere Grab, die Begegnungen im Garten oder die beiden Wanderer auf dem Weg nach Emmaus, die Szene am See Genezareth – fremd und dann doch wieder bekannt …“

      „Den meisten fällt es schwer, an so etwas zu glauben“, sagte ich und fragte: „Aber warum kommst du nackt aus dem Himmel? Gibt es da keine Kleider?“

      „Doch schon, aber die bewegen sich nicht nach irdischen Regeln. Sie gehorchen der Schwerkraft des Himmels, und das würde hier komisch aussehen. Sie fangen an zu flattern, wenn es hier windstill ist, weil sie sich nach deinen Stimmungen richten. Sie wechseln die Farben, wenn dir danach ist. Das würde auffallen. Auch die Engel mussten sich irdische Kleider besorgen, wenn sie auf der Erde sichtbar wurden und nicht gleich auffallen wollten.“

      „Das wusste ich nicht.“

      „Jedenfalls“, sagte Jeschua, „es war kein Zufall, dass du mir begegnet bist. Irgendjemand sollte alles einmal aufschreiben. Ich finde, es ist an der Zeit, dass es einen Bericht über meine Wiederkunft gibt und über andere Ereignisse, die sich anbahnen. Ich werde übrigens daran arbeiten, dass sich dieses Buch überall verbreitet.“

      „Ich kann nicht schreiben“, sagte ich.

      „Dann such dir jemand, der das für dich erledigt. Ich werde dir dabei helfen. Mach dir auf alle Fälle Notizen.“

      „Wieso gerade ich?“, fragte ich weiter.

      „Darauf werde ich nicht antworten“, sagte Jeschua. „Aber bilde dir nicht ein, dass du deshalb etwas Besonderes bist.“

      Ich merkte, dass es keinen Sinn hatte, an dieser Stelle weiterzubohren und steuerte auf


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