Spenglers Nachleben. Группа авторов
Читать онлайн книгу.als »Abschluss« jener »tiefsten Krisis«, die in Spenglers Untergang des Abendlandes ihren adäquaten Ausdruck gefunden habe.5 Nach vollzogener ›Machtergreifung‹ erschien ihm – und mit dieser Einschätzung lag er präzise auf der nationalsozialistischen Linie seiner Zeit – der Pessimismus Spenglers als ein »schöpferischer« vor allem insofern, als er zum »Widerspruch« gereizt und »hinter aller Kritik und Absage« ein »welthistorisches Vertrauen« transportiert habe, »das alle nachfolgenden Denker und Forscher, Techniker und Politiker in ihren Taten ewig rechtfertigt.«6
Angesichts des unbedingten Tatendrangs der Nationalsozialisten war Spengler im Deutschen Reich seit Ende der 1930er Jahre also als »Schwarzseher und Reaktionär, so wie eben die zeitgenössischen Herren solche Worte brauchten, verfemt«; im Ausland hingegen »galt er […] als einer der ideologischen Mitschuldigen am Rückfall in die Barbarei«, wie Theodor W. Adorno feststellte.7 Der epochale Schwarzseher war weithin in Ungnade gefallen. Als der praktische Versuch, Spengler zu überwinden, dann im Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht an sein Ende gekommen und seinerseits zu einer Geschichte geworden war, die es möglichst rückstandslos ›aufzuarbeiten‹ und also ihrerseits zu überwinden galt, legte sich verlegenes Schweigen über ein Werk, das eine ganze Generation von (deutschen) Intellektuellen inspiriert hatte. Im »Epilog des Nazizeitalters« stand der reaktionäre Prophet, wie der Ingenieur Georg Schreiber durchaus zeittypisch zu Protokoll gab, »glücklicherweise« für »tempi passati«.8 Zwar ist er – wie die folgenden Beiträge zeigen werden – nie ganz aus dem kulturkritischen Diskurs verschwunden, er wurde aber kaum noch zitiert und hatte der zur Nachkriegsgesellschaft geläuterten Volksgemeinschaft augenscheinlich nichts mehr zu sagen.9
»Ein Kubus aus schwärzlichem Porphyr wurde auf das Grab gesetzt und darauf nur der Name SPENGLER.«
Koktanek, Anton Mirko: Oswald Spengler in seiner Zeit, München 1968, 463.
Der Umstand, dass Adorno 1955 in seine Essay-Sammlung Prismen einen Aufsatz unter dem Titel Spengler nach dem Untergang aufnahm, der auf einen Vortrag zurückgeht, den er 1938 im US-amerikanischen Exil gehalten hatte, muss vor diesem Hintergrund per se als Kritik einer Strategie des Vergessenmachens verstanden werden, die Spengler zwar betraf, jedoch keineswegs nur ihm, und nicht einmal vor allem ihm, galt. Im Gegenteil fügte sich das Tabu, das spätestens seit 1945 über Spengler verhängt zu sein schien, zwanglos in jene erinnerungspolitische Amnesie, die es den Nachkriegsdeutschen ganz allgemein erlaubte, von dem zu schweigen, was sie doch schwerlich vergessen haben konnten. Adornos ›Erinnerung‹ an Spengler hingegen war einer Form der Vergangenheitsbewältigung verpflichtet, die nicht auf Verdrängung, sondern Durcharbeitung gründen sollte. Weniger dem Werk in seiner Gesamtheit, über dessen Zugehörigkeit zum Theoriebestand der »extremen Reaktion« er sich keine Illusionen machte,10 galt deshalb seine »rettende Kritik Spenglers«,11 sondern dem Problem, das Spengler mit großsprecherischer Geste gelöst zu haben behauptete, und das mit seiner ›Überwindung‹ endgültig aus dem Blick zu geraten drohte: dem Problem der Geschichte in jenem emphatischen Sinn, den erst die Moderne dem Wort gegeben hatte. Denn über Spengler nachzudenken bedeutete für Adorno und die kritische Theorie vor und nach dem Krieg, über Geschichte nachzudenken.12 Nach dem »faschistischen Ende der Geschichte«13 in Deutschland an Spengler zu erinnern, hieß folglich, Einwand gegen jenes berühmte Führer-Wort zu erheben, nach dem »wesentlich« für die Nationalsozialisten allein sei, »dass die letzten, die in Deutschland Geschichte machen, wir sind!«14
Gegen das ›Vergessenwerden‹ Spenglers, das im Posthistoire der Nachkriegszeit seinen Teil zur endgültigen Sanktionierung dieses Imperativs beizutragen drohte, behauptete Adorno deshalb eine Aktualität Spenglers, die er auf den gehemmten Gang einer Geschichte zurückführte, die der Untergang des Abendlandes über das ›Dritte Reich‹ hinaus mit einer Hypothek belastet habe, die sich nicht ohne weiteres würde tilgen lassen. Nach wie vor gälte es deshalb, Spengler, »der kaum einen Gegner gefunden [hat], der sich ihm gewachsen gezeigt hätte«,15 standzuhalten. Das aber bedeutete für Adorno nicht weniger, als »den ›Standpunkt der wirklichen Geschichte‹, die keine Geschichte, sondern schlechte Natur ist, geschichtlich aufzuheben und das geschichtlich Mögliche zu verwirklichen, das Spengler unmöglich nennt, weil es noch nicht verwirklicht ist.«16 Sinngemäß ließe sich in Anlehnung an die Negative Dialektik formulieren: Philosophie, die überwunden schien, erhält sich am Leben, weil der Moment ihrer praktischen Widerlegung versäumt ward.17 Das ›Vergessenwerden‹ Spenglers wird dann als Symptom einer (Geistes-) Geschichte dechiffrierbar, die den Untergang des Abendlandes nicht einfach, wie das noch Bense und mit ihm viele Zwischen- und Nachkriegsdeutsche dachten, ›überwinden‹ kann, aber gerade deshalb vergessen muss, um nach der Katastrophe weiterlaufen zu können – einer Geschichte, zu deren allgemeinem Bewegungsgesetz das Vergessen geworden ist: »Wenn die Geschichte der Philosophie nicht so sehr in der Lösung ihrer Probleme besteht als darin, daß die Bewegung des Geistes jene Probleme wieder und wieder vergessen macht, um die sie sich kristallisiert, dann ist Oswald Spengler vergessen worden mit der Geschwindigkeit der Katastrophe, in die, seiner eigenen Lehre zufolge, die Weltgeschichte überzugehen im Begriff ist.«18
Das ›Vergessenwerden‹ Spenglers erweist sich so gesehen als das genaue Gegenteil eines Durcharbeitens oder gar einer Überwindung Spenglers. Es erscheint als eine Form der Verdrängung, in der die Wiederkehr des Verdrängten stets schon angelegt ist. Kritisch an diese Diagnose Adornos knüpfend, sprach Jacques Bouveresse 1983 in Hinblick auf ›die Postmodernen‹ (gemeint waren Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jacques Lacan, Claude Lévi-Strauss, aber auch Georges Canguilhem und Gaston Bachelard) von »Spenglers postume[r] Rache«19 und argumentierte polemisch, »derzeit den Untergang des Abendlandes neu zu lesen« führe zu der Einsicht, »daß unsere arglosesten ›Entdeckungen‹ nichts anderes sind als traditionelle Themen, denen einzig das Vergessen einer doch erst kurze Zeit zurückliegenden Vergangenheit es erlaubt, mit wahrlich trügerischer Jungfräulichkeit wiederaufzutauchen.«20 Nur weil der Autor Spengler so gründlich vergessen worden sei, könnten viele seiner Konzepte neu und ›postmodern‹ erscheinen, befand Bouveresse und mutmaßte, vor allem der Umstand, dass »die organizistische und biologistische Sprache, in der er seine Thesen formulierte, heute naiv und höchst beunruhigend klingt«, verstelle den Blick darauf, »daß einige der charakteristischsten davon in der avancierten Philosophie und Wissenschaftstheorie heute mehr oder weniger Gemeinplätze geworden sind.«21
Bereits ein Jahr zuvor hatte Manfred Frank in seinen Vorlesungen über die Neue Mythologie polemisch zu Protokoll gegeben, es sei »fast unglaublich, wie stark die Retusche« gearbeitet habe, wenn man bedenke, wie man in »Teilen der jüngsten französischen Philosophie […] die Einheit und das Ende des abendländischen Phänomens (wie schon Nietzsche und Spengler) wiederentdeckt [und] dem wilden, grausamen Leben ein fröhliches ›Ja‹ entgegenruft«.22 Als dann 1985 mit Friedrich Kittlers Aufschreibesysteme 1800/1900 eine spezifisch deutsche Variante jenes poststrukturalistischen Denkens in Erscheinung trat, gegen das Frank so leidenschaftlich Front gemacht hatte – Geoffrey Winthrop-Young sprach von einem »distinctly German offshoot of poststructuralism«23 –, wurden die Latenzen, die Frank und Bouveresse an Teilen der zeitgenössischen französischen Theorie kritisiert hatten, virulent: »Spenglers begreiflicher Wunsch, daß ›sich Menschen der neuen Generation der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntnistheorie zuwenden‹, kommt also an einem Punkt zumindest reichlich verspätet«,24 schrieb Kittler dort und setzte Spenglers Trias von Technik, Krieg und dem Ende der Geschichte auf die Forschungsagenda einer Medienwissenschaft, die als German media theory rasch paradigmatisch für eine bestimmte Form der Kulturwissenschaft werden sollte.25
Mit der Wiederkehr der Krise des Rationalismus, die im postmodernen Denken ihren Ausdruck gefunden hatte, und die keineswegs zufällig mit der Wiederkehr ökonomischer Krisenerfahrungen seit den 1970er Jahren zusammenfällt, kehrte also – genannt oder ungenannt