Dr. Love und die schüchterne Forelle. Michael Bresser

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Dr. Love und die schüchterne Forelle - Michael Bresser


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– »Mach dir nichts draus. Du bist halt nicht der Allerschönste. Aber irgendwann. Du weißt: Jeder Topf findet einen Deckel.« – »Wenn du vom anderen Ufer bist, das ist kein Problem für uns. Wir sind tolerant.«

      Irgendwann nervt das. Vor allem wenn die Fragen gut gemeinten Aktionen weichen. Zuerst wurden mir Kontaktanzeigen von Parship und Elitepartner zugesteckt. Natürlich ganz unauffällig. Ich ging bei meinen Eltern auf die Toilette, da lag eine Anzeige auf dem Klodeckel. Intelligenter, solventer Akademiker Ende zwanzig sucht repräsentative Sie. Aussehen zweitrangig. Daneben war mit Kuli geschrieben: »Die Gebühren für die Vermittlung würden wir übernehmen.« Super.

      Mein Vater gibt sich immer progressiv, doch hat er quälende Ängste, dass ich homosexuell bin. Das würde er nie offen zugeben. Aber in seinen Erzählungen von der wilden Studienzeit spielen die schwulen Unikumpel immer nur witzige bis blamable Rollen. Er versichert hinterher immer, dass seine Generation auch die Schwulen von der Geißel der Gesellschaftsdoktrinen befreit habe, doch überzeugend klingt seine liberale Haltung nicht.

      Da musste eine Lösung her. Und die hieß Nadine – wie in dem Song der irischen Bluesröhre Rory Gallagher. Und es war reiner Zufall. Ich war auf der Party eines Kommilitonen in der List, nicht weit von meinem Elternhaus entfernt. Nadine war mir gleich zu Anfang aufgefallen: hochgewachsen, schlank, schwarze Lackstiefel, dazu ein Ledermantel, wie ihn SS-Offiziere getragen hatten. Sehr provokativ. Dazu trug sie ihre dunklen Haare wie die Filmstars der Vierziger und besaß ein loses Mundwerk. Sie sah einfach fantastisch aus, als sie zu Whole lotta love abtanzte.

      Durch mehrere Wodka-Redbulls ermutigt, traute ich mich, sie anzusprechen.

      »Ich bin die Gitarre und du meine Blues-Harp. Lass uns gemeinsam im Takt der Liebe grooven», artikulierte ich ohne Stottern. Den Spruch hatte ich aus einem Buch mit dem Titel Angriff auf die Frau – Flirten für Dumme. Sie musterte mich von oben nach unten und wieder retour.

      »Mit einem hässlichen Ekelschlumpf wie dir würde ich nicht mal die Toilette abputzen. Verpiss dich.«

      Ich habe gelesen, dass langfristige Beziehungen oft mit Missverständnissen beginnen. Allerdings kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Julia Romeo »Ekelschlumpf« genannt hat. Selbst Nancy dürfte Sid Vicious freundlicher begrüßt haben. Dennoch, das war sie: meine große Liebe. Ich nahm ihr die reservierte Reaktion auf meinen Anmachspruch nicht krumm und beschloss, die Zeit für mich spielen zu lassen. Ich setzte mich in eine Ecke und beobachtete meine Wunderfrau beim Tanzen, Trinken und Chillen. Um ein Uhr begann sich die Fete zu leeren. Nadine hatte gut getankt, wie ich bemerkte. Sollte sie ihren Spaß haben. Irgendwann kam sie auf mich zugetorkelt. Selbst betrunken wirkte sie eleganter als die Dietrich.

      »Ey«, sagte sie. Mir wurde ganz schummrig, und das lag nicht am Alkohol. »Was spannste mich die ganze Zeit an. Biste ein Stalker?«

      Ich fasste Mut. Du wirst mit dieser fantastischen Frau eine Beziehung eingehen. Sie wird dich lieben und ehren, dachte ich, und …

      »Ey, mach das Maul auf, wenn ich mit dir rede, Spacken«, zischte sie. »Spacken« klang freundlicher als »Ekelschlumpf«. Machte unsere Beziehung Fortschritte?

      »Sag einmal: Hast du schon eine Schlafgelegenheit? Bei mir wäre was frei, gibt auch Frühstück ans Bett.« Direkter war ich noch nie bei einer Frau geworden. Würde mein Mut belohnt werden?

      Sie überlegte, schaute mich mit immer kleiner werdenden Augen an. Schließlich sagte sie: »Du hast recht. Ich muss eigentlich noch nach Bremen. Aber warum nicht hier pennen. Geht klar. Aber eins sag ich dir vorneweg: Anpacken ist nicht. Komm nicht auf dumme Gedanken. Und du schläfst in einem anderen Raum. Capisci?«

      »Gebongt, ich will dir nur helfen«, sagte ich. Ich dachte aber, da geht bestimmt etwas. Spätestens morgen sieht sie in mir den Mann, der sie durchs Leben begleitet, sie auf Händen bis in eine gemeinsame Wohnung trägt.

      Ich rief ein Taxi und half Nadine ins Auto, da sie nicht mehr sicher stehen konnte.

      »Finger weg, Spargelaffenarsch!«, zischte sie.

      Meine Ma sagt immer: »Was sich liebt, das neckt sich.« Wurden die ersten Zeichen von Liebe immer deutlicher?

      »Bitte, Madame.« Ich ließ mich nicht beirren. Fünf Minuten später bezahlte ich den Taxifahrer.

      »Wow, ihr hat ein schönes Haus. Wohnst du noch immer bei deinen Eltern?«, sagte sie, als ich sie den Treppenaufgang hochschleppte.

      »Nein, ich lebe mit einem Kumpel in einer Zweier-WG in Limmer. Aber die wird zurzeit renoviert, daher schlafe ich bei meinen Eltern. Nichts Dauerhaftes.«

      Unsere Männerbude wollte ich ihr erst zeigen, wenn die Beziehung gefestigter war.

      Ich führte sie mit einigen Schwierigkeiten zu meinem Zimmer in der ersten Etage. Meine Eltern schienen zu schlafen. Gott sei Dank. Nadine warf sich angezogen auf mein Jugendbett und flüsterte noch: »Denk daran, Säger. Anpacken verboten und anderes Zimmer.« Dann schlief sie schon. Ich malte ein Schild »Nicht stören!!! Damenbesuch!!!« und hängte es an die Tür. Doch wo sollte ich bleiben? Ach, egal. Ich nahm eine Decke und legte mich auf den Boden. Nadine bekam sowieso nicht mit, dass ich im selben Raum nächtigte. Vor Aufregung bekam ich kaum ein Auge zu, schlief aber irgendwann auch ein.

      »Was machst du Clerasilantiwerbung in einem Zimmer mit mir? Hast du mich angefasst? Ich trete dir gleich in die Klöten!« So charmant wurde ich geweckt.

      »Hast du gut geschlafen?«, fragte ich. »Die Decke ist sehr kuschelig. Frühstück?«

      Wenn Blicke töten könnten, wäre es um mich schlecht bestellt gewesen. Was hatte die Frau? Wir waren füreinander bestimmt. Und daher gab ich die Hoffnung nicht auf. Ma bereitet ein ausgezeichnetes Frühstück. Und Liebe geht durch den Magen. Das habe ich gelesen, Beweise habe ich aber noch nicht.

      »Warum nicht«, zeigt sich Nadine besänftigt. »Ich könnte etwas zwischen den Kauleisten gebrauchen.« Ah, die These über Liebe und Magen stimmt, freute ich mich.

      »Moment«, sagte ich.

      Ich rannte aus dem Zimmer. Im Esszimmer führte Gerhard mit der Linken einen Toast mit Leberwurst zum Mund, mit der Rechten verrührte er Milch im Kaffee. Mutter legte gerade das vierte Gedeck auf.

      »Moin. Nadine frühstückt mit. Keine dummen Fragen, bitte.«

      Gerhard grinste wie die halslose Katze aus Alice in Wonderland. »Guten Morgen, Casanova. Geht klar, unsere Lippen sind versiegelt«. Er knuffte mich verschwörerisch.

      Auch Mutter konnte sich das Strahlen nicht verkneifen.

      »Unser Sohn hat eine Freundin, das muss ich gleich Tante Gerti erzählen.«

      Mir wurde mulmig. »Halt doch mal den Ball flach, Mutter. Das ist kein großes Ding.«

      Gerhard hob beschwichtigend die Hände. »Der Junge hat recht, Ingrid. Wir haben es damals doch auch wild getrieben. Da müssen wir jetzt kein Fass aufmachen.«

      Mir schwante Übles, aber da musste ich durch. Ich stiefelte in mein Zimmer, wo Nadine sich gerade einen Joint baute.

      »Frühstück ist angerichtet. Kommst du?«, lächelte ich. Irgendetwas hatte die Frau, das meine Angstzustände ausschaltete. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart völlig frei.

      »Der Johnny war als Nachtisch gedacht«, zeigte sie sich begeistert. »Kann nicht schaden, den Magen zu füllen. Hoffentlich labern mich deine Eltern nicht voll. Da kann ich gar nicht drauf. Boah, meine Birne platzt gleich. Ich sollte bei Alkohol echt kürzertreten.«

      Im Esszimmer dienerte mein Vater vor Nadine. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. So einen Mist machte er sonst nie.

      »Herzlich willkommen in unseren bescheidenen Hallen«, faselte er. Hatten sie mir nicht versprochen, die Klappe zu halten.

      Nadine musterte ihn mit schiefem Blick und hielt meiner Mutter die Hand hin. Bevor Ma sie ergreifen konnte, zog meine Angebetete sie wieder weg.

      »Nadine. Sorry, mir ist heute nicht nach Quatschen.


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