Die Melodie des Mörders. Miriam Rademacher

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Die Melodie des Mörders - Miriam Rademacher


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      © 2018 Carpathia Verlag GmbH, Berlin

      Umschlagillustration: Christoph N. Fuhrer, www.fuhrer.me

      ISBN 978-3-943709-30-8 (Print)

      ISBN 978-3-943709-31-5 (EPUB)

      ISBN 978-3-943709-32-2 (MOBI)

      ISBN 978-3-943709-33-9 (PDF)

       www.carpathia-verlag.de

      Somewhere in My Memory

      In einer Dezembernacht vor dreiundzwanzig Jahren

      Regen prasselte auf die Windschutzscheibe seines Dienstwagens. Obwohl die Scheibenwischer ihr Bestes gaben, konnte Sergeant Hoffer kaum die Landstraße vor sich in der Dunkelheit erkennen. Dies war eine Nacht wie geschaffen dafür, in der Polizeistation zu bleiben und einen neuen Rekord im Kaffeetrinken oder Kartenhausbauen aufzustellen. Stattdessen schwamm er mehr als er fuhr über die schlechten Straßen am Rande seines Dorfes. Wenn jemand schon ausgerechnet in dieser Nacht sterben musste, warum konnte er es nicht schön zentral in der Nähe der Wache tun? Warum hatte es eigentlich nicht den Bäcker Jones erwischt? Dann hätte Hoffer dessen hübsche Witwe am nächsten Wochenende zum Tanz ausführen können. Gut, ein plötzliches Ableben des einzigen Bäckers hätte im Dorf eine spontane Versorgungskrise ausgelöst, aber Hoffer hatte schon seit langem eine Schwäche für die junge Gattin des Bäckers, die dessen Brötchen locker ausstach.

      Bobby Hoffer war noch nicht lange Sergeant. Er war gerade neunundzwanzig Jahre alt geworden und hatte doch schon all seine Ideale begraben. Hier, in Mittelengland, als Polizist in einem kleinen Kaff, würde ihm keine große Karriere beschieden sein, egal wie sehr er sich auch bemühte. Ein Grund dafür, seine Bemühungen von vornherein in einem gewissen Rahmen zu halten, wie er fand.

      Der Regen klatschte weiter auf das Autodach und ließ seine ohnehin schon schlechte Laune in ungeahnte Tiefen absacken. Heute Abend war er allein unterwegs, weil sich die meisten seiner wenigen Kollegen wegen einer Magen-Darm-Grippe in der Nähe von Toiletten aufhalten wollten. Auch er selbst verspürte schon ein ungutes Grummeln in den Eingeweiden. Und jetzt auch noch eine Tote auf der Gleech-Farm. Wen kümmerte das eigentlich? Da draußen auf dem Hügel wohnten ohnehin nur Idioten. Junge Spinner, die sich für Künstler hielten, hausten dort zusammen in einem ehemaligen Bauernhaus. Angeblich schrieben sie Gedichte und Songs und malten Bilder. Doch Hoffer war sich sicher, dass in der Künstlerkommune am Dorfrand vor allem eines praktiziert wurde: Sex. Und auch wenn er es sich nur ungern eingestand, so war er stinksauer, dass er nicht mit von der Partie war. Das hatte man eben davon, wenn man einen anständigen Beruf erlernt hatte.

      Jetzt bog er schwungvoll in die ungepflasterte Zufahrt zum Hof ein. Schlamm spritzte bis an die Seitenfenster seines Wagens, was seine Laune weiter verschlechterte. Die Reinigung des Dienstfahrzeugs würde sein Vorgesetzter zweifellos ihm aufbrummen.

      Im Lichtkegel seiner Scheinwerfer entdeckte er eine Ansammlung von Menschen in der Dunkelheit. Einige hielten sich ihre Jacken zum Schutz vor dem Regen wie kleine Zelte über den Kopf. Andere hatten sich zu Gruppen unter Regenschirmen zusammengefunden. Hoffer hatte es doch gewusst. Auf der Gleech-Farm hatte es wieder eine Party gegeben. Von wegen Künstler. Hier war den ganzen Abend über nur gesoffen und rumgeknutscht worden. Vermutlich alle wild durcheinander. Und nun hatte es einen von ihnen also erwischt.

      Er erkannte Ralph Porter, den bekanntesten Schürzenjäger des Dorfes mit gleich zwei verschreckten Blondinen im Arm. Und da stand auch Una, die dralle Maus, in einem viel zu kurzen Röckchen. Und was hatte der alte Gregory, dieser nichtsnutzige Penner, hier oben bei den jungen Leuten verloren?

      Nachdem Hoffer seinen Wagen vor den Wartenden zum Halten gebracht und sie mit einem Schwall Pfützenwassers zurückgedrängt hatte, stieg er aus. Eine Gestalt löste sich aus dem Pulk und kam auf ihn zu. Er erkannte in ihr den Dorfarzt Cleo Grumming, der es trotz seiner fast siebzig Jahre irgendwie geschafft hatte, schneller hier zu sein als er. Und das, wo das Auto des Arztes einen kaum jüngeren Eindruck machte als er selbst.

      Der Dezemberregen war nicht nur nass, er war auch kalt. Er war lausig kalt, und ein eisiger Wind tat sein Übriges, um Hoffers Sehnsucht nach der warmen Wachstube weiter anzuheizen.

      »Guten Abend, Bobby. Hässliches Wetter, nicht wahr? Ich habe den jungen Leuten gesagt, dass sie genauso gut drinnen auf die Polizei warten können, aber das wollten sie nicht. Sie sind alle sehr verstört«, begrüßte ihn Grumming und streckte ihm eine nasse Hand entgegen, die Hoffer beiläufig ergriff.

      »Wo ist die Leiche?«, fragte er statt einer Begrüßung. Er fror jetzt schon und er hatte nicht vor, mehr Zeit als nötig im Regen zuzubringen.

      »Gleich da vorn unter der Laterne. Ich bring dich hin.«

      Grumming ging mit langen Schritten voraus, und Hoffer folgte ihm, wobei er die gaffende Meute bewusst ignorierte. Unter ihren Blicken hielt er sich ein wenig gerader und ging forscher als sonst, er war hier schließlich der Ermittler.

      Sie brauchten nicht weit zu gehen. Der leblose Körper lag dicht neben der Hauswand auf einem Gehweg aus Steinplatten. Die Arme und Beine weit ausgestreckt, ruhten die in Turnschuhen steckenden Füße in einer Pfütze aus Regenwasser. Beim Näherkommen sah Hoffer die aufgerissenen Augen der Toten, die ausdruckslos im Licht einer schwachen Außenlaterne schimmerten. Ein Mädchen, fast noch ein Kind. Das Blut auf ihrem Gesicht und ihrem langen Haar mischte sich mit dem Regen, das Loch in ihrem Kopf schien sehr tief zu sein.

      »Sie hat bei ihrem Sturz einiges mitgerissen«, sagte Cleo Grumming und deutete auf die vom Regen glänzende Schieferplatte neben der Toten. »Vermutlich wird sie dort ganz oben aus der Dachgaube gesprungen sein. Ein Wunder, dass sie die Dachrinne nicht auch noch mitgenommen hat, wenn sie so knapp gesprungen ist.«

      Grumming wies nach oben, und Hoffer sah, dem Finger des Arztes mit den Augen folgend, zum Schieferdach des Bauernhauses hinauf. Hoch über ihnen stand ein Fenster weit offen. Im schwachen Licht der Hoflaterne konnte Hoffer erkennen, dass dem Dach weit mehr als nur eine Schindel fehlte. Schwer zu sagen, wo diese Schieferplatte von der Größe eines Atlanten aber nur einem halben Zentimeter Dicke ihren Platz verlassen hatte. Aber es schien ihm durchaus möglich, dass das Mädchen sie auf seinem Weg in die Tiefe mitgerissen hatte.

      »Sieht mir nach Selbstmord aus, Bobby. Die Kleine ist scheinbar aus dem Fenster gesprungen. Aber ich hielt es in jedem Falle für richtig, die Polizei einen Blick auf den Ort des Geschehens werfen zu lassen. Man kann ja nie wissen«, sagte Grumming.

      »Lebte sie hier oben auf der Farm oder war sie eine derjenigen, die nur zum Feiern hier rausfuhren?«, fragte Hoffer und zückte ein Notizbuch samt Kugelschreiber.

      »Sie hat hier gewohnt«, erwiderte Grumming und schüttelte langsam den Kopf. »Traurig, so jung sterben zu wollen. Bestimmt befand sie sich in einer depressiven Verstimmung und schon morgen hätte die Welt wieder anders ausgesehen. Jetzt wird es für sie nie wieder morgen.«

      Hoffer lauschte dem sentimentalen Gequatsche des Mediziners nur mit halbem Ohr, während er ein paar nichtssagende Notizen auf sein Blatt schmierte. Als diese durch Regentropfen drohten, verwischt zu werden, klappte er das Notizbuch wieder zu und ging mit großen Schritten und jenem ernsten Gesichtsausdruck, an dem er lange geübt hatte, auf die Partygesellschaft zu. Diesmal war es Grumming, der ihm folgte.

      »Wer hat die Tote gefunden?«, rief Hoffer laut.

      Daraufhin hob eine kleine Gestalt unter einem der Regenschirme den Zeigefinger und reckte ihn zögernd nach oben. Das unscheinbare Mädchen, das sich an den Arm eines jungen Mannes klammerte, kam Hoffer vage bekannt vor, aber es fiel ihm kein Name zu dem spitzen Gesicht mit den schmalen Lippen ein. Hinter den beiden drängte sich die ganz in schwarz gekleidete Gestalt der stets leidenden Dichterin Bella Black unter den schützenden Schirm. Dass Bella Black ein Künstlername war, wusste Hoffer genau. Zu ihrer Schulzeit hatte sie nämlich noch Margret Gardener


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