Hispanien. Michael Koch

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Hispanien - Michael Koch


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      „Tartessos“ kann also außen vor bleiben: Was die Bewohner des Südens und Ostens in der Wahrnehmung antiker Quellen und neuzeitlicher Historiker unterscheidet, sind Orientalisierung bei den einen und Mediterranisierung bei den anderen – im 6. und 5. Jh. v. Chr. lässt sich vor allem im Südwesten des Landes eine wachsende Konvergenz beider Kulturräume beobachten, aus der mit der Zeit so etwas wie ein unverwechselbar „iberisches“ Kulturprofil entsteht. Überhaupt erscheinen diese beiden Jahrhunderte als die Blütezeit der als „iberisch“ anzusprechenden Kultur. Es ist eine der kurzen historischen Phasen, in der Osten und Süden des Landes weitgehend selbstbestimmt wirken.

      An der südlichen Küste und im Einzugsgebiet des Guadalquivir, aber auch im Binnenland südlich davon findet sich zu Beginn des Zweiten römisch-karthagischen Krieges eine nicht geringe Anzahl städtischer Siedlungen; einige nennen die literarischen Quellen, andere hat die Bodenforschung zutage gefördert. Zwei spanische Archäologen, Arturo Ruiz und Manuel Molinos, haben 1993 in einer Monografie die Siedlungsgeschichte des engeren iberischen Raumes untersucht und dessen vergleichsweise hohe Siedlungsdichte erwiesen. Es ist wahrscheinlich, dass die alten Stammesgebiete und ihre Herrschaftsstrukturen auch während der Phase der orientalisierenden Einflüsse im Großen und Ganzen erhalten geblieben waren. Ihre Fürsten haben ihren halbmythischen Ahnherrn in Arganthonios, wie Herodotos den lokalen/​regionalen „chief“ des Tarschisch-Raumes nennt. Aus derartigen chiefdoms muss sich die politische Karte des spätbronzezeitlichen Südens der Halbinsel zusammengesetzt haben, als die Phoiniker das TRT/​TRS-Land zu besuchen begannen. Ob sich von den Zimelien, welche solche chiefs in der Frühzeit der phoinikischen Penetration nach Tyros gesandt haben mögen, eine Spur in Ps. 72.10 erhalten hat, steht allerdings dahin (Koch 1984, 60 ff.).

      Im Zusammenhang mit dem zweiten Krieg zwischen Rom und Karthago erfahren wir quasi nebenbei, dass einer der mit Karthago verbündeten reguli, Culchas, 28 oppida beherrscht habe, ein anderer, Luxinius, die „stark (befestigten) Städte“ Carmo und Bardo. Sehr spät noch, in caesarischer Zeit, taucht ein einheimischer rex mit Namen Indo mit eigenem Truppenkontingent an der Seite Caesars auf (bell. Hisp. 10). Das kann nur bedeuten, dass Rom die alten Herrschaftsstrukturen tolerierte, solange sie sich nicht als seinen Interessen zuwider laufend erwiesen. Möglicherweise verbirgt sich hinter manchem der ‚romanisierten‘ Personennamen, die im Laufe der ersten 200 Jahre römischer Herrschaft über die Halbinsel begegnen, ein solcher regulus alten Stils.

      Mit Culchas erhoben sich im Jahre 197 v. Chr. gegen Rom nur noch 17 oppida. Im Jahre 206 v. Chr. war „Kolichas“, wie Polybios ihn nennt, mit einem Kontingent von 3.000 Fußsoldaten und 300 Reitern zu Scipio übergetreten. Offenbar hatte er früh die Seiten gewechselt und war von den beiden älteren Scipionen in einem Brief an Prusias von Bithynien zusammen mit Masinissa und Nabis genannt worden als Beispiel dafür, dass Rom die Macht dieser Könige erhöht und ihre Herrschaftsgebiete vergrößert habe (Polyb. 21,11). Nun wechselte er erneut die Seiten, was zu einem erheblichen Gebietsverlust führte.

      Nach Scipios Sieg und seinen Folgen für die hispanischen Verhältnisse sahen manche der iberischen reguli die Dinge nüchterner. Wie die römischen Provinzgouverneure sie behandelten, wissen wir nicht. Offenbar wurden sie in ihrer Macht eingeschränkt, ob politisch oder wirtschaftlich, ist unklar. In diese Reihe dürfte auch der Stadtherr von Castulo, Hannibals Schwiegervater, gehören. Diese chiefs residierten, soweit wir wissen, in angemessenem Rahmen: Die archäologische Forschung hat in den letzten Jahrzehnten im südiberischen, mehrheitlich ländlichen Raum palastartige Anlagen entdeckt, die als Herrscher-Residenzen angesprochen werden können. Die zuerst entdeckte und am nachhaltigsten erforschte dieser Anlagen – Cancho Roano in der südlichen Extremadura, wohl in das 7. Jh. v. Chr. gehörend und im Einflussgebiet der Orientalisierung liegend – enthält einen Sakralbezirk, der, spanischen Archäologen zufolge, nahelegt, dass, wenn nicht bereits eine frühere, so gewiss die „orientalisierende“ Phase der südiberischen Entwicklung im ersten vorchristlichen Jahrtausend eine sakralmonarchische Tendenz entwickelte. Herrscherliche Manifestationen finden sich auch in sepulkralen Zusammenhängen: Das Grabmal von Pozomoro, welches an das Ende des 6. Jhs. v. Chr. datiert wird und iberische Stilelemente mit ostmittelmeerischen, vielleicht nordsyrischen, vereint, gehört hierhin, aber auch die plastischen Darstellungen vom Grabmonument Cerrillo Blanco bei Porcuna sowie das Grabmal mit der Dama de Baza [s. Abb. 42] oder die Dama de Elche, eigentlich gedacht als Aufbewahrungsort für Leichenbrand.

      Auffällig ist, dass sich in den größeren Siedlungen des Südostens und Ostens keinerlei eindeutigen Ansätze zu einer Palast-Architektur gefunden haben. Es besteht Grund zu der Annahme, dass in bestimmten Zonen des „iberischen“ Raums, vor allem im Osten, im 5. und 4. Jh. v. Chr. politische und gesellschaftliche Veränderungen eintraten, die auf eine Abflachung der gesellschaftlichen Pyramide zielten, in deren Gefolge ältere Zeugnisse herrscherlicher Repräsentanz, beispielsweise die Grabtürme und weitere sepulkralen Monumente, zerstört wurden und neue nicht mehr entstanden sind.

      Der Zweite Krieg zwischen Rom und Karthago

       „Da habe Hamilkar Hannibals Rechte ergriffen, ihn an den Altar geführt und den Schwur tun lassen, niemals ein Freund der Römer zu werden.“

       (Polyb. 3,11)

      Die Geschichte des „Hannibalischen Krieges“ auf hispanischem Boden im Einzelnen zu erzählen, kann hier unterbleiben. Umfangreich ist auch die wissenschaftliche Literatur zu der sogenannten Kriegsschuldfrage. Karl Christ hat in einem luziden Essay dargestellt, in welchem Maße „die Interdependenz des historischen Urteils mit Gegenwartskonstellationen“ auch noch das heutige Urteil der Forschung prägt (1972, 3 ff.). Das war bereits in der Antike so. Polybios, unsere Hauptquelle, schrieb als Parteigänger der Scipionen eindeutig als Freund Roms und lässt seine Leser dies spüren. Gleichwohl hat es nicht den Anschein, als habe er falsch berichtet. Eine in den 1950er- und -60er-Jahren heftig geführte Kontroverse um das Verständnis von Polyb. 3,15,5 beruht auf einer unnötigen Überinterpretation dieses sehr komprimierten Textes und der Verquickung zweier inhaltlich nicht notwendig verbundener Aussagen. Die römische Gesandtschaft, die 220/​219 v. Chr. in Qrt Hadašt erschien, um die Lage zu erkunden, verlangte, Polybios zufolge, von Hannibal, „sich von Saguntum fernzuhalten, denn die Stadt stehe unter (römischem) Schutz“. Sie forderte ferner, „gemäß der mit Hasdrubal getroffenen Vereinbarung den Iberus nicht zu überschreiten.“ In moderne Diplomatensprache übersetzt bedeutet das: Bewahrung des status quo und Respektierung älterer römischer Verpflichtungen durch Karthago. Dass Hannibal kurz darauf im Frühjahr 219 v. Chr. Saguntum angriff und nach monatelanger Belagerung einnahm, dürfte mehr mit innerhispanischen Problemen zu tun haben als mit der Absicht, Rom zu provozieren. [Abb. 12a und 12b]. Die romfreundliche antike Geschichtsschreibung hat aus alledem einen Kriegsgrund fabriziert, welcher, angereichert mit Propaganda-Effekten, wie dem Hass Hannibals auf Rom schon seit Kindertagen und vielem anderem, zur Rechtfertigung der römischen Kriegserklärung an Karthago dient, die Polybios eindrucksvoll geschildert hat (3, 33). Die nicht unwichtige Frage nach der wirklichen Natur der römisch-saguntinischen Beziehungen, vor allem nach deren wahrem Alter hat Werner Huss in seiner „Geschichte der Karthager“ (1985) detailliert diskutiert. Ob eine irgendwie geartete vertragliche Beziehung zwischen Rom und Saguntum vor 220 v. Chr. bestanden hatte oder ob diese erst in der Frühphase des Krieges begründet wurde, weil, wie Polybios (3, 15) anmerkt, man daran gedacht hatte, diese Stadt zur Operationsbasis zu machen, muss danach offen bleiben. Klar ist aber, darin ist Huss zuzustimmen, dass „die Römer keinen Grund, der vor den Normen des internationalen Rechts hätte bestehen können, namhaft machen konnten, als sie i. J. 218 in den Krieg eintraten“.

      Im Sommer 218 v. Chr. war der Konsul Cn. Cornelius Scipio bei Emporion gelandet und hatte den hispanischen Nordosten bis zum Ebro unter römische Kontrolle gebracht. Zusammen mit seinem Bruder Publius gelang es in den nächsten sieben Jahren, einen


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