Das Mitternachtsschiff. Wilfried Schneider

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Das Mitternachtsschiff - Wilfried Schneider


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kennst meinen Auftrag, Herr?«

      »Der Allgewaltige schenkt dir die Gnade seiner Stimme. Ich bin nur der Finger, der dich ruft. Die Kühnheit seiner göttlichen Ideen soll sich unverfälscht auf deinem Gesicht spiegeln.«

      »Du versteckst dein Wissen in bunten Worten. Der Kanal! Es ist der Kanal! Er füllt die Hirne in unseren Amtsstuben. Soll ich nach Punt fahren, wie einst König Hirams Gesandtschaft? Oder gar Ophir suchen? Ophir, das wäre unglaublich.«

      Aus schmalen Augen blickte der Priester auf den erregten Mann. Sie gingen nebeneinander, manchmal berührten sie sich an Armen und Hüften. Kerifer-Neith schob die Soldaten beiseite. »In Zor ersehnt man den Kanal wie ein Blinder das Sonnenlicht. Das Band nach Süden. Die Straße zum Lazurwasser. Der Weg in das Weihrauchland Punt.«

      »Ja, Herr, so ist es! Sidoniens Kaufleute geben schon neue Schiffe in Auftrag, Kartenkundige sitzen an den Tischen der Stadtfürsten. Die Vorsteher der Werften suchen nach Zimmerleuten.«

      »Der Kanal! Der Kanal! Jahre schon graben sie wie Erdwürmer, Tragtiere mit schwarzen Laken sind oft gerufen worden in den letzten Monaten.«

      »Die Menschen starben nicht vergeblich. Der Kanal wird unsere Länder verbinden. In drei Jahren …«

      »… schüttet der Sanddrache ihn zu. Lassen wir das. Schau nach links. Der Tempel des Ptah. Wiedererrichtet auf Befehl des göttlichen Necho.«

      Abdi-asirta hörte nicht zu. Der Sanddrache wird ihn zuschütten, das hatte auch der Kesselflicker in der Schankstube von Amasis geschrien. Priester und Volk reden mit einer Zunge! Auch in Zors Ämtern wurde mancher Zweifel gesät.

      »Der Tempel ist uralt.« Kerifer-Neith strich mit den Fingerspitzen über die Mauer vor den Säulen. »Diesen früheren Teil ließ man stehen, es geschah auf den Wunsch einer Frau, die Neferheres heißt. Ah, du hebst den Kopf, gut, gut! Einst war der Granit glatt wie Glas. Der Wüstensand hat die Bilder zerstört.« Einem Pflüger fehlten die Ochsen, ein Soldat stritt ohne Wagen. Ein Heerführer zog zur Parade vor seinen König. Die Armee war ausgelöscht.

      »So wandelt sich das Werk der Menschen, allein das Kemet der Götter besteht ewig. Vergiss dein bisheriges Leben, Abdiashirta von Zor. Du wirst einen Auftrag erhalten, wie keiner vor dir.«

      Gardisten mit rußgeschwärzter Haut liefen vorbei, irgendwo lärmte die Stadt.

      »Gehen wir durch die Mauer des Hapi!« mahnte der Priester. »Heute morgen sind die Patrouillen verstärkt worden. Wir rechnen mit Unruhen. Gut, dass die wichtigen Bezirke von Wällen umgeben sind.«

      Sakinu schlug gegen die Pforte. In einer Luke zeigten sich Augen. Kerifer Neith hielt sein Amulett hoch. Knarrend öffneten sich die Bohlen.

      »Das Viertel der Hochgeborenen?«, fragte Abdi-ashirta. Der Priester nickte und wies zum Fluss. Zwei Falken kreisten über dem Wasser. Die Mauer trennte die Villen am Ufer der Mächtigen von der Volksstadt Menfes. Kerifer-Neith bemerkte den Blick des Sidoners. »Hier ist nicht Zor. Ich hatte Augen ausgesandt und Zungen gaben mir weiter, was diese Augen sahen. Du kannst von deiner Oststadt in den Hafen gehen, ohne dass aus einer Nische schmutzige Finger nach dir greifen. Du lebst jetzt für Dekaden in Menfe, hier trifft sich die Welt und nicht nur ihr bester Teil. Der Schutz ist nötig. Es lebt sich nicht leicht im Zentrum der Macht. Du wirst hier wohnen, denn dein Weg in den Palast führt über Neferheres Haus.«

      Sklaven kamen mit der Sänfte. »Steig ein«, forderte der Priester. »Gib der Schönen, was ihr gebührt. In solche Häuser geht man nicht auf eigenen Füßen.« Er zog die Vorhänge zu. »Ist es nicht angenehmer, mit blinden Augen getragen zu werden, als den Schmutz der Gosse zwischen den Zehen zu spüren?«

      Das Blau im Fenster war dunkler geworden. Vom Hapi stieg die Dämmerung in die Gärten, am östlichen Ufer band sie schon die Erde an Nut, den kemetischen Himmel. Re gab dem Ostgebirge sein letztes Licht. Thot, der hilfreiche Mondgott, wies die letzte Barke zum abendlichen Ufer. An einer Torsäule des Wohnhauses lehnte Merit-Re, Neferheres Zofe.

      »Chain!« lockte sie, »Chain!« Sakinu brachte ihr die Katze. »Chain!« Merit-Re streichelte das gelbe Fell des Tieres.

      Abdi-ashirta verließ sein Zimmer und ging zu dem Syrer. »Uliliya ist in der Gesindestube«, meldete der Soldat. Er setzte den Helm auf, den er am Wasserbecken abgelegt hatte. Merit-Re lief ins Haus.

      »Welch eine Villa! Selbst Würdenträger wünschen sich so ein Haus nur in heimlichen Gebeten. Sakinu, hast du schon einmal ganze Tage innerhalb der Mauern verbracht?« Der Seemann betrachtete den Garten, dessen Dattelpalmen, Granatäpfel und Eselsfeigen, Gemüsebeete, Fischteiche und Gehege mit Fasanen und Gänsen das Anwesen von Menfes Märkten unabhängig machten. »Ein Haus mit einem Obergeschoss betrat ich noch nie. Allein die Mittelhalle mit ihrer Dachtreppe ist so groß wie mein Heim in Zor.«

      Verlegen hörte der Gardist seinem Gebieter zu, nie hatte ein Herr solche Worte an ihn gerichtet. Er zupfte an den Metallplatten seines Lederwamses, den Schild hatte er an die Beine gelehnt, das Kurzschwert drückte gegen die nackten Oberschenkel.

      »Erzähle mir, wie du als Söldner nach Kemet kamst!«, forderte der Admiral.

      »Ich … ich weiß nicht, was …«

      »Rede, als wäre ich Uliliya.«

      »Kemets Soldaten …« Der Gardist zögerte, fasste dann aber Mut. »Kemets Elitetruppen ritten durch unser Dorf. Aus dem Hinterhalt durchbohrten Pfeile den Standartenträger. Vielleicht geschah es aus Rache. Die Soldaten drangen in die Häuser ein.«

      »Wie erging es deiner Mutter, der in Sidon Geborenen?«

      »Als die Reiter in die Berge entschwunden waren, kamen wir zurück. Ich fand sie hinter dem Haus, auf der Erde liegend. Ein Blatt bedeckte ihre Lippen, es bewegte sich nicht. Ihr Sterben war wohl ein Versehen. Kemeten töten im Krieg keine Frauen und Kinder, wie sie auch keine Bauern töten, müssten sie doch im nächsten Jahr hungern wie das Volk, das sie erobert haben. Später brachte man mich als Gefangenen nach Menfe. Pharao brauchte Gardisten.«

      »Geh zur Ruhe, Sakinu. Mich schützt die Nacht.« Abdi-ashirta setzte sich auf eine der Bänke am Brunnen und dachte an sein einsames Leben in Zor. Bei seinen Ankünften hatten ihn stets nur die Schiffseigner begrüßt.

      »Du bist allein?«, fragte eine Frauenstimme.

      »Merit-Re?«

      »Merit-Re ist im Haus. Das Haus ist nun still.«

      Abdi-ashirta sprang auf. Neferheres weißes Gewandt streifte das Gras. Im Licht der Hausfackeln bannten ihre großen Augen den Sidoner. Sie trug keine Perücke. Ruhig lagen die in ihre Haarsträhnen geflochtenen Tonkügelchen auf den Schultern. Abdi-ashirta nahm die Hände zur Stirn und verneigte sich.

      »Es wird kühl«, sagte die Hausherrin, »gehen wir in die Kammern.«

      Abdi-ashirta genoss das gewärmte Wasser im Granitbecken des Erdgeschosses. Brennendes Öl in Kupferkesseln schickte geheizte Luft durch die Kanäle unter den Bodenplatten. Die Stunden mit Neferheres hatten den Seefahrer kaum ermüdet. Seine Lehrer in Zor besaßen die gleichgültigen Stimmen alter Männer, die der morgige Tag wenig interessierte.

      »Wie der Boden eines Tempels sich um Stufen erhöht, gliedert sich das Volk der Kemeten. Wie die Gottheiten vom Dunkel des Allerheiligsten verborgen werden, regiert Pharao jenseits alles Vorstellbaren, getragen von der Liebe und Verehrung beider Kemet. Diese Liebe und Verehrung sind wie die Pfeiler, von denen die Dächer der Tempel gehoben werden, dass sie die Wohnungen der Götter berühren.«

      So hatte die singende Stimme der hohen kemetischen Frau gesprochen. Der Seefahrer hatte den betörenden Seerosenduft ihres Salbkegels geatmet und kaum den Blick von der schönen Gastgeberin lösen können.

      »Pharao trägt nicht die rotweiße Krone beider Kemet, wundere dich nicht. Seinen Kopf bedecken Schwären, er verhüllt sein Haupt.«

      Der


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