Der ermutigte Mensch. Arnold Mettnitzer
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Das vierte Abenteuer der Resonanz auf der Spielwiese des Lebens ereignet sich im Erleben von Kreativität, Kunst, Kultur und der auch damit verbundenen spirituellen Erfahrung, in der Lust, die Welt nicht nur zu erleben, sondern sie auch zu gestalten. Den Höhepunkt jeder Art von Resonanzerfahrung erlebt ein Mensch dort, wo ihm die Sprache versagt, wo er bei dem, was er erlebt, vergebens ums Wort ringt, ihm der Mund offen bleibt, er nichts zu sagen vermag ob des Entsetzens oder des unvermutet von menschlicher Schöpfungskraft gestalteten Schönen, mit dem er sich plötzlich konfrontiert sieht.
Was Sie von diesem Buch (nicht) erwarten dürfen
Dieses Buch ist weder ein Ratgeber noch eine Sammlung von Patentrezepten, auch kein Wegweiser für den richtigen Platz im Leben. Aber vielleicht markieren die Erzählungen, Erfahrungen, Berichte und Gedichte für Sie den einen oder anderen Lichtblick oder Aussichtspunkt auf Ihrer psychogeografischen Landkarte. Was Menschen im Sinne der oben beschriebenen Resonanz einander zu bieten vermögen, sind nicht Erfolgsgarantien, sondern Erlebnisgemeinschaften, die durch das Interesse aneinander, in gegenseitiger Hilfsbereitschaft und in der Freude am Erfolg anderer Ahnungen wecken, wie Leben gelingen kann. Dabei geht es nie um die billige Kopie eines vermeintlichen Erfolgsrezepts, sondern um Hilfestellung und Ermutigung zu einem unverwechselbar eigenen Lebensentwurf. Die verlässlichste Hilfestellung dabei, die größte Ermutigung dazu wird immer von einem anderen Menschen kommen. Nichts im Leben eines Menschen vermag diesen mehr zu ermutigen als ein anderer Mensch. Deshalb ist auch das Gegenteil wahr und tut, wenn es zutrifft, besonders weh: Nichts vermag einen Menschen mehr zu kränken als die Erfahrung, von anderen im Stich gelassen, übersehen, übergangen, enttäuscht zu werden.
Aber wie groß Enttäuschungen auch sein mögen, das Gespräch mit Menschen, denen man sich mitteilen, mit denen man den Schmerz darüber teilen kann, ist und bleibt das wichtigste Psychopharmakon der Natur: Jemand, der einem anderen dabei behilflich ist, die tiefe Kränkung zu überwinden, dass er sich in einem anderen Menschen getäuscht hat, aber jetzt damit beginnen kann, dieser Täuschung ein Ende zu setzen, die „Ent-täuschung“ als Lebenserfahrung annehmen und daran wachsen zu können. So bleibt er über solche Erfahrungen hinaus mit Menschen im Gespräch, übt sich in der Kunst des Mitteilens, um im Miteinander wahr-zunehmen, was als Wahrheit „von innen her“ getrennt voneinander niemals wahrzunehmen wäre. Wo Menschen miteinander teilen, was sie getrennt voneinander erleben, eröffnen sich Resonanzräume, in denen das Wort „wahr-nehmen“ das meint, was an Wahrem im Inneren eines anderen vor sich geht und durch gemeinsame Aufmerksamkeit (mit-)geteilt wird.
Darin erkennt dieses Buch den inneren Kern aller Resonanz und die daraus wachsende „Ermutigung“. Vor zehn Jahren habe ich diesen Vorgang „Klang der Seele“ genannt; heute versuche ich, das Resonanzbedürfnis des Menschen als den ständigen Dialog zu beschreiben, der – vergleichbar mit dem Grundbedürfnis des Atmens – einen Menschen mit dem größeren Ganzen seiner Welt in Verbindung hält. Gleichzeitig wird ihm dabei aber – je älter er ist, umso mehr – bewusst, dass er in dieser Welt seinen unverwechselbar eigenen Weg und seinen Platz alleine finden muss. Hilfreich dabei aber wird ihm immer sein, am Leben anderer Anteil zu nehmen, sie an seinem Leben teilhaben zu lassen und dabei einander immer wieder liebevoll infrage zu stellen und die besten Antworten auf solche Fragen in noch gründlicheren Fragen zu suchen. So bewahren sich Menschen gegenseitig vor übertriebener Belehrung und verstehen sich eher als Spielgefährten auf den unbegrenzten Resonanzfeldern des Lebens …
Ein Wort von Martin Buber lautet: „Beziehung ist Gegenseitigkeit.“1 Leben als Beziehung in Gegenseitigkeit heißt, durch geschenktes Vertrauen eine wesentliche Seite eines anderen Menschen kennen zu dürfen und sich des Reichtums dieses Geschenkes bewusst zu sein. Vielen Menschen in meinem privaten und beruflichen Leben verdanke ich den Reichtum solcher Erfahrungen. Zwei davon sind die Hirnforscher Joachim Bauer und Gerald Hüther, die ich in den Jahren 2009 bis 2010 im wissenschaftlichen Beirat einer psychosomatischen Klinik im Allgäu kennen- und schätzen lernen durfte und von ihnen über diese Zeit hinaus bei gemeinsamen Veranstaltungen viel lernen konnte. Gerald Hüther verdanke ich fast alles, was ich in diesem Buch zu den Themen Emanzipation, Transformation und Kohärenz zu sagen versuche.
Wenn sich der Untertitel dieses Buches und manche Abschnitte darin explizit auf die Studie von Hartmut Rosa über „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“2 berufen, dann nicht, weil ich in der Lage wäre, den beeindruckenden wissenschaftlichen Diskurs zu diesem Thema weiterzuführen, sondern in großer Wertschätzung dem Autor gegenüber, dessen „Opus Magnum“ ich die Erkenntnis verdanke, wie entscheidend und abgrundtief gründlich das Thema Resonanz den Menschen „schon vor der Wiege bis zu seinem letzten Atemzug“ bestimmt und begleitet. Der resonanzbasierende Wachstumsprozess im Mutterleib ist dabei genauso beeindruckend geheimnisvoll wie die Präsenz und die Resonanz eines Menschen weit über seinen letzten Atemzug hinaus.
Innerhalb der vergangenen zwei Jahre konnte ich im Kreis von kleinen Reisegruppen vier Mal Israel und Palästina besuchen. Das Faszinierende dabei war aber nicht nur, das Land der Bibel (wieder) zu entdecken, sondern auch das Kennenlernen der Sehnsuchtsheimat vieler Pioniere der Psychoanalyse. Meine dabei entstandenen Reisenotizen sind auf vielfachen Wunsch zu einem weiteren Bestandteil dieses Buches geworden. Wie in meinen früheren Büchern finden sich auch in diesem immer wieder Gedichte in den fortlaufenden Text verwoben. Das hat einerseits mit meiner Vorliebe für verdichtete Texte zu tun; hier aber erscheint es mir mehr als sonst allein schon dem Thema dieses Buches geschuldet, weil durch Lyrik die persönliche Tiefe eines Gedankens (seine Resonanzqualität) viel deutlicher zutage zu treten vermag als in prosaischen Formulierungen.
Und wenn ich es hier auch wieder wage, ein paar lyrische Texte „aus eigener Werkstatt“ zu verwenden, dann nicht, weil ich so sehr von deren Qualität überzeugt bin, sondern eher, um der Leserin und dem Leser im Klang und im Rhythmus der Sprache etwas von dem zu vermitteln, was mich bewegt und erst wieder loslässt, wenn ich es mir auf diesem Weg von der Seele geschrieben habe. Ohne mich mit einem der Großen des vergangenen Jahrhunderts messen zu wollen, darf ich in diesem Zusammenhang an Arthur Schopenhauer erinnern, der am Ende seiner „Parerga und Paralipomena“ darauf hinweist, dass „in Gedichten, unter der Hülle des Metrums und des Reims, der Mensch sein subjektives Inneres freier zu zeigen wagt, als in der Prosa, und sich überhaupt auf eine mehr rein menschliche, mehr persönliche, jedenfalls ganz andersartige Weise mittheilt, als in Philosophemen, und eben dadurch einigermaßen näher an den Leser herantritt […] Verse drucken lassen ist in der Literatur, was in der Gesellschaft das Singen eines Einzelnen ist, nämlich ein Akt persönlicher Hingebung“.3
Als Rastplätze für die lesende Seele finden sich in diesem Buch Arbeiten der portugiesischen Künstlerin Teresa Gonçalves Lobo. Als ich sie im Sommer 2018 an der portugiesischen Atlantikküste in Pedrógão traf, lud ich sie ein, mir Arbeiten aus ihrer Werkstatt zum Thema Resonanz zur Verfügung zu stellen. Sie lehnte ab, weil sie sich viel lieber in den folgenden Monaten diesem Thema widmen und mir die so entstandenen 16 Zeichnungen zur Verfügung stellen wollte. Dafür bin ich ihr aus ganzem Herzen dankbar.
Viele Überlegungen, Begegnungen und Erfahrungen aus den vergangenen Jahren habe ich in diesem Buch versammelt in der Hoffnung, in einer komplex gewordenen Welt mit ihren Kreuz- und Querverbindungen Perspektiven der Ermutigung freizulegen, Resonanz als Grundbedürfnis der menschlichen Seele (wieder-) zu entdecken und (erneut) bewusst im Alltag im Blick zu behalten. Denn das Schlimmste, was Menschen angesichts der drängenden Fragen dieser Welt passieren kann, ist Gleichgültigkeit. Eine „Ohne-mich-Devise“, die sich heraushält, nicht einmischt und von der Welt in Ruhe gelassen werden möchte. „Ohne mich! ist das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann“, schrieb der französische Diplomat und Philosoph Stéphane Hessel (1917–2013) und rief damit (nicht nur) jungen Menschen in der ganzen Welt ermutigend den geradezu biblisch anmutenden Satz zu: „Wenn ihr sucht, werdet ihr finden.“4
I.
Resonanz als Grundlage menschlicher Existenz
„Sagt mir, was bedeutet der Mensch? Woher ist er gekommen? Wo geht er hin? Wer wohnt dort oben