Anekdoten frommer Chaoten. Adrian Plass

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Anekdoten frommer Chaoten - Adrian Plass


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Dich (und dann leider doch noch beschloss, er liebe Dich), finde ich atemberaubend.

      Man hat über die Jahre schon so manches Mal nach meiner Ferse geschnappt, und manchmal werden die Leute sehr persönlich. Du hast den Burschen erwähnt, der meinte, Du sähest alt genug aus, um Dein eigener Vater zu sein.Auf mich kam einmal eine Frau zu, nachdem ich gepredigt hatte, und fragte mich, ob ich jemals einen Schlaganfall gehabt hätte. Nein, erwiderte ich und fragte zurück, was sie zu der Frage veranlasst habe. Sie antwortete: »Wenn Sie lächeln, zieht sich nur eine Hälfte Ihres Gesichts nach oben.« Am liebsten hätte ich ihr gesagt, ich sei von Natur aus hässlich, und sie gefragt, was ihre Ausrede sei, aber so etwas können wir ja nicht machen, oder? Wir müssen uns schließlich wie Christen benehmen. Wie wär’s, wenn wir Gott fragen, ob wir jede Woche eine halbe Stunde freibekommen könnten und in Schaltjahren einen Monat? Nein, das ist keine gute Idee …

      Aber das war nur ein kleiner Schnapper, verglichen mit dem üblen Biss, den ich einmal erhielt, nachdem ich in einer Gemeinde gepredigt hatte. Die Ironie ist, dass ich den Schäferhund nie zu Gesicht bekam, der sich da an mir gütlich getan hatte. Er (oder sie) schnappte einfach nur zu und war auf und davon, bevor ich auch nur »Platz!« rufen konnte. Der betreffende bissige Hund hatte nicht einmal den Mut, mich persönlich anzusprechen, sondern hinterließ mir nur einen Zettel ohne Unterschrift (ich kann anonyme Briefe nicht ausstehen; sie sind so feige) am Büchertisch. Er war säuberlich zusammengefaltet, mit rasiermesserscharfen Falten, die schon ahnen ließen, wie schneidend sich der Inhalt anhörte. Darin stand:

      Sir, wir möchten Jesus hören, nicht Ihr unsinniges Geschwafel. Mit all diesen Dummheiten können Sie keine Seelen für Jesus gewinnen. Sie sind kein Prediger, Sie sind ein Komiker. Sie haben Ihren Beruf verfehlt.

      Es hört sich erbärmlich an, das zuzugeben, aber dieser kleine Pfeil aus der Dunkelheit ließ mich in Tränen ausbrechen. Dabei dachte die Person, die den Zettel geschrieben hatte, zweifellos, sie wäre damit treu für die Wahrheit eingestanden, zumindest aus ihrer Sicht. Und das bringt mich wieder zu dem Gedanken, »Wahrheit« weiterzugeben. Wir haben uns darüber unterhalten, dass Gemeinden Orte brauchen, wo man ohne Angst vor Repressalien alles sagen kann, was einem im Sinn ist. Aber ist da nicht auch eine gewisse Vorsicht angebracht? Schließlich sind manche Christen unterwegs, um »die Wahrheit zu sagen«, und richten damit großen Schaden an. Wenn mir heutzutage jemand ankündigt, er werde mir »in Liebe die Wahrheit sagen«, schaue ich mich nach dem nächsten Atombunker um. Meist bedeutet die Ankündigung, »in Liebe« sprechen zu wollen, das genaue Gegenteil.

      Warst Du schon einmal in einer dieser christlichen Versammlungen, wo der Prediger über Vergebung und Versöhnung spricht und der Gottesdienst dann mit einer qualvollen Zeit endet, in der alle aufgefordert werden, zu jemandem hinzugehen, dem sie Unrecht getan haben, um sich die Hand zu geben und sich wieder zu vertragen? Diese Folterveranstaltungen verschaffen ungeschickten (oder auch rachsüchtigen) Leuten eine ideale Gelegenheit, zu jemandem zu sagen: »Übrigens, ich hasse dich schon seit Jahren. Bitte vergib mir.« So können sie ihren Groll herauslassen und sich gleichzeitig mächtig fromm dabei vorkommen. Was soll mir das denn bringen, wenn einer auf mich zumarschiert und mir »bekennt«, er habe mich gehasst? Ich wäre besser dran, wenn ich ahnungslos bleiben könnte. Dann stapfen sie wieder davon, freuen sich, dass sie sich ihren Kram von der Seele geredet haben, und ich bleibe taumelnd zurück. Und manchmal gehen diese Momente grauenhaft schief, bevor auch nur ein Wort gesprochen wurde …

      Bei einer christlichen Großveranstaltung (deren Namen ich nicht nennen möchte, aber sie findet im Frühjahr [engl. spring] statt, wenn man die Ernte [engl. harvest] einbringt)

      hatte eine Bühnenpersönlichkeit, die notorisch schwierig war, so vielen Leuten auf die Füße getreten (die ihren Groll nun bekennen wollten), dass sich eine lange Schlange bildete. Stell Dir das vor – so allseits unbeliebt zu sein, dass die Leute sich wie an der Käsetheke eine Nummer ziehen und anstellen müssen, um Dir zu sagen, wie sehr sie Dich hassen. Wie leicht können wir selbst schöne Dinge wie Frieden und Versöhnung verderben.

      Und deshalb stoße ich einen riesigen Seufzer der Erleichterung aus, wenn Du davon sprichst, dass Gott uns mitten in unserem Chaos begegnet. Heiligkeit und Chaos bestehen Seite an Seite. Kürzlich stieß ich auf die folgenden Worte von Erzbischof Rowan Williams (dem mit dem berühmten merkwürdigen Haarschnitt, unter dem sich ein Gehirn von der Größe eines Planeten zu verbergen scheint):

      Ein Mensch ist nicht dadurch heilig, dass er durch Willenskraft über Chaos und Schuld triumphiert und ein makelloses Leben führt, sondern dadurch, dass dieses Leben den Sieg der Treue Gottes inmitten der Unordnung und Unvollkommenheit zeigt. Die Kirche ist heilig … nicht, weil sei eine Versammlung der Guten und Wohlgesitteten wäre, sondern weil sie vom Triumph der Gnade im Zusammenkommen von Fremden und Sündern spricht, die einander durch ein Wunder genug vertrauen, um sich zu gemeinsamer Buße und gemeinsamem Lobpreis zusammenzuschließen. … Menschlich gesprochen ist Heiligkeit immer dies: Gottes Duldsamkeit inmitten unserer Ablehnung ihm gegenüber, seine Fähigkeit, jeder Ablehnung mit dem Geschenk seiner selbst zu begegnen.1

      Verzeih das lange Zitat. Ich füge es ein, weil ich a) finde, es ist sehr schön ausgedrückt, und b) wünschte, ich hätte nur zehn Prozent von dem Verstand Seiner Eminenz. (Siehst Du? Bei mir sind bisweilen selbst Momente der Einsicht mit Ehrgeiz und Neid befleckt.)

      Manchmal denke ich, wir Christen denken nur in der Vergangenheitsform gern über unsere Kaputtheit nach. In dem Sinne:Wir waren kaputt, aber dann kam Jesus, und jetzt sind wir nette Leute. Dabei hat uns die Gnade nicht nur gerettet, sondern sie begleitet uns in jeder Sekunde, mit all dem Chaos und Unrat, die uns immer noch anhaften.

      Ich versuche heutzutage ganz offen über meine Kaputtheit zu sprechen, und im Allgemeinen höre ich einen Seufzer der Erleichterung, wenn ich von meinen Kämpfen erzähle. Es macht mich zugleich froh und nervös, wenn Leute so nett sind, mir zu sagen, ich sei wie ein frischer Lufthauch und sie wüssten die Authentizität zu schätzen, um die ich mich bemühe. Aber das macht mir wirklich Sorgen im Blick auf den Zustand der Kirche, denn ich fürchte, dass Leute, die Echtheit ungewöhnlich und erfrischend finden, offenbar täglich per Sonde ernährt werden. Ich gebe zu, dass es mir manchmal schwerfällt, mich angreifbar zu machen (es kostet immer etwas, nicht wahr?), weil ich es auch ernst zu nehmen versuche, wenn die Bibel sagt, dass leitende Christen Vorbilder sein sollten. Doch ein Vorbild zu sein kann ja wohl nicht bedeuten, dass man ein falsches Bild vorspiegeln soll. Und ich möchte in meiner Kaputtheit befreiend sein, wenn Du verstehst, was ich meine.Wenn ich mich hinstelle und sage: »Ich bin ein mieser Kerl, und ich habe vor, das auch zu bleiben und olympiareif zu sündigen.Wer macht mit?«, dann verrate ich den innersten Kern der Botschaft Jesu. Er möchte mich liebevoll formen und, ja, verändern. Aber wenn ich andererseits einfach nur den Eindruck erwecke, ich wäre besser, als ich bin, dann erreiche ich doch nichts, außer dass ich jeden entmutige, der mir zuhört. Zumindest denke ich, dass es so läuft. Aber dann will ich auch nicht den Fehler machen, einfach nur öffentlich meine schmutzige Wäsche zu waschen …

      Noch einmal zurück zu dem Mann, der sagte, er hasse Dich: Es liegt nicht nur daran, dass Du der Gemeinde Jesu ihre Schwächen und Macken vor Augen führst, sondern auch daran, dass Du ehrlich von Dir selbst und Deinen eigenen Schwierigkeiten und Ängsten sprichst. Vielleicht lässt Deine Bereitschaft, dich schwach zu zeigen, anderen ihre eigenen verborgenen Fehler unbehaglich nahe kommen. Oder vielleicht denken sie auch, Deine Bekenntnisse über noch nicht ausgestandene Kämpfe seien irgendwie ein »Verrat« am Evangelium. Manche Christen meinen ja, wir müssten alle auf Hochglanz polierte »Trophäen der Gnade« sein. Wie kommst Du damit klar, nicht nur zur Albernheit, sondern auch zur Transparenz berufen zu sein?

      Ich stimme Dir vollkommen zu – wir wollen immer alles hübsch sauber und ordentlich haben, und am liebsten würden wir die Gnade steuern und zu denen hinlenken, die sie verdienen, was natürlich ein Widerspruch in sich ist. Und wenn wir das versuchen, kriegen wir am Ende haufenweise lächerliche kleine Regeln und Vorschriften heraus – das, was in Zen and the Art of Motorcycle Maintenance »kleinkarierte Regeln für kleinkarierte Leute« genannt wird. Jesus war auf Schritt und Tritt von Leuten umgeben, die Experten darin waren, die Religion zu einer hektischen Plackerei zu machen, den Pharisäern. Sie hatten Vorschriften darüber, wie innig man


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